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Virale Kommunikation: Superspreader und Subtypen

Von Daniel Bischof und Andreas Rauschal

Reflexionen
Auszug aus dem Corona-Glossar . .
© WZ-Illustration: ham

Die Corona-Krise prägt nicht nur unseren Alltag, sondern längst auch unsere Sprache.


Bis vor einem Jahr war es so: Corona war ein mexikanisches Bier, Drive-in stand für motorisiertes Fast Food und eine Ampel war dazu da, den Verkehr zu regeln. Der Mund-Nasen-Schutz hieß noch Maske und wurde entweder von medizinischen Fachkräften, auf den Bühnen der Welt oder im Fasching getragen. Auf Babyelefanten traf man womöglich in der Savanne oder im Tierpark, aber sicher nicht beim Diskonter. Viren gingen hauptsächlich auf Computern um, auf Teststraßen wurden Fahrübungen absolviert und Mutanten waren nicht die Realität, sondern reine Science-Fiction.

Wir begrüßten einander mit Handschlag, Umarmungen und Küssen. Wir trennten uns mit "Bis bald!" statt "Bleib gesund!". Reisewarnungen gab es für Länder im Kriegszustand, aber nicht für Tirol. Virol ist übrigens ein sehr schönes Wort aus unserer sogenannten "neuen Realität". Und wer hätte jemals gedacht, dass ausgerechnet die Ortstafel der Wallfahrtsgemeinde St. Corona am Wechsel als Diebesgut einmal so beliebt sein würde wie jene von Fucking, als es noch existierte?

Händewaschsongs

Zwölf Monate nach Ausbruch der Corona-Pandemie hat sich nicht nur das Virus selbst im Alltag eingenistet. Gerade auch die Sprache als unser Werkzeug Nummer eins zur Beschreibung der Welt kündet davon. "Corona-Pandemie", "Babyelefant" und "systemrelevant" als vorprogrammierte und reichlich unkreative Wörter des Jahres 2020 in Deutschland, Österreich und der Schweiz sind die eine Sache. Die andere Sache sind mittlerweile mehr als 1.200 neue und umgedeutete Wörter mit Corona-Hintergrund, über die zuletzt das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache informierte. Neben Neologismen wie Abstandsbier, Corona-Party oder Händewaschsongs kam es auch zu einer Wiedergeburt von ausgestorben geglaubtem Vokabular. Grenzregime, Quarantäne und Triage wären zu nennen. Und auch der Gastrogutschein ist an sich kalter Kaffee, heute allerdings mit anderem Beigeschmack.

Die Fantastischen Vier könnten ihren Hit "MfG - Mit freundlichen Grüßen" von 1999 um neue Abkürzungen ergänzen: "MNS, FFP und PCR ..." Neben orthografischen Auffälligkeiten im Impfstoffbereich ("BioNTech", "AstraZeneca") und der besonders in Redaktionen äußerst beliebten Frage nach der korrekten Schreibweise von Mutanten wie B.1.351 und B.1.1.7 ist nicht zuletzt aber etwa auch ein Aufblühen der Anglizismen festzustellen.

Schön war die Zeit, als Corona nur ein Bier war - nämlich nicht unser Bier.
© Kjetil2006, CC BY-SA 3.0

Hochinfektiöse Kranke sind neuerdings Superspreader, die auch keine Massenansteckungen mehr auslösen. Ihre Viren schleudern sie vielmehr bei Superspreading-Events herum. Da kann sich das Contact Tracing ganz schön schwierig gestalten. Damit es aber erst gar nicht dazu kommt, sitzen wir während des Lockdowns alle schön im Homeoffice und halten uns an das Social Distancing. Public-Health-Experten fordern statt der Eindämmung das Containment des Virus. Dadurch soll nicht etwa die Infektionskurve abgeflacht werden, es geht um das "flatten the curve". Ob man damit Erfolg hat, zeigt das Dashboard des Gesundheitsministeriums. Dort werden die neuesten Corona-Zahlen eingetragen, nachdem sie von den Politikern im Livestream präsentiert wurden.

Im Gesundheitsministerium werkt keine medizinische Leiterin oder Generaldirektorin für die Öffentliche Gesundheit mehr. Im Kampf gegen das Virus übernimmt ein Chief Medical Officer das Kommando. Der im Dezember 2020 neu geschaffene Posten wurde mit der Allgemeinmedizinerin Katharina Reich besetzt. Spezialkräfte dürfte die Bezeichnung nicht verleihen: Von Reich ist seit ihren missglückten Medienauftritten nicht mehr viel zu hören.

Distance Learning

Seine helle Freude an der englischen Welle hat auch so mancher Politiker. Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) etwa, der ohnehin nie um kreative Wortschöpfungen verlegen ist. Als "item-writer" bezeichnete er schon einmal jene Personen, welche die Maturaaufgaben erstellen. Dank Corona kann Faßmann sich nun austoben, was das Zeug hält: Die Schüler werden nicht zu Hause oder im Fernunterricht unterrichtet, sie sind im Distance Learning. Für jene Schüler, die im Homeschooling zurückgefallen sind, forderte Faßmann im Mai 2020 daher auch eine Summer School. Vielleicht benötigten die Kinder ja Nachhilfe in Deutsch?

Dabei könnte das Lehrbuch "Deutsch fürs Leben" des deutschen Sprachkritikers Wolf Schneider helfen. Schneider schreibt darin: "Drei von vier Anglizismen vermindern die Verständlichkeit und die Gefälligkeit der Sprache; albern sind sie auch." Beherzigen die Schüler das, könnten sie noch zum Vorreiter, pardon, "first-mover-student" werden. In der Corona-Krise gibt es nämlich keine Vorbilder mehr, sondern lediglich "smarte First-Mover-Countries". So beschreibt Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) jene Länder, die besonders "rasch auf die Coronavirus-Pandemie reagiert" haben.

Da ist es kein Wunder mehr, dass die Sozialpartner statt eines Heimarbeit-Gesetzes ein Homeoffice-Gesetz verhandeln. Jugendliche und Kinder, die an psychischen Erkrankungen leiden, werden neuerdings ja auch im "Home Treatment" betreut, wie erst diese Woche von der Stadt Wien angekündigt wurde. Da bleibt nur zu hoffen, dass die Impfung tatsächlich zum Gamechanger wird und so manchen Anglizismus-Cluster sprengt.

Uns geht das Geimpfte auf!

Sprachlich ging die Politik aber auch abseits der Anglizismen "viral". Hilfreich war dabei eine Lawine an Pressekonferenzen, bei denen der Phrasenmäher regierte. "Koste es, was es wolle", "Wiederauferstehung nach Ostern", "Licht am Ende des Tunnels" und "Das Virus kommt mit dem Auto nach Österreich" (Sebastian Kurz) sind diesbezüglich ebenso dokumentiert wie das sehr oft gehörte "Die nächsten Wochen werden entscheidend sein" von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Die Grünen). Und auch das "langsame Hochfahren der Wirtschaft" fiel nicht nur sprachlich nachhaltiger aus als das rasch von angedachten Eintrittstests abgelöste Freitesten.

Abseits der Politik wiederum waren Balkonkonzerte aber so etwas von Lockdown 1, während sich eine auf Beinarbeit beruhende Grußformel namens Wuhan Shake in unseren Breiten gar nicht erst etablierte. Sie erinnerte vermutlich zu stark an die Wurzeln dessen, was Donald Trump als "China Virus" bezeichnet.

Ob Impfdrängler die neuen Covidioten sind, wird sich erst zeigen müssen. Jedenfalls lassen uns beide Gruppen das Geimpfte aufgehen - wie man in Wien sagen würde, wo die in Deutschland als AHA-Formel ("Abstand, Hygiene und Alltagsmasken") bekannte OIDA-Regel auf Regiolekt setzt: "Obstond hoitn. Immer d’Händ‘ woschn. Daham bleiben. A Masken aufsetzn." Und apropos: Unter einem Tiroler Subtyp hätte man früher einen anlassigen Skilehrer verstanden. Denken wir aber bitte auch darüber nach, dass in Zeiten der gesperrten Fitnessstudios auch Nichtinfizierte ihre Antikörper entwickeln. Das Virus selbst wiederum ist zwar kein Surfer, kommt aber trotzdem in Wellen. Wobei es egal sein dürfte, wie viele uns davon noch bevorstehen. Gefühltermaßen ist diese Pandemie längst eine Dauerwelle.

Zum Abschluss noch eine Überlegung für die Querdenker da draußen: Wird uns die Wahrheit verschwiegen? Regiert längst eine Geheimloge die Welt? Oder wie ist das virale Auftauchen von Viro-, Epidemio- und Infektio-Logen im Fernsehen sonst zu erklären?!?

Wie gesagt, schön war die Zeit, als Corona nur ein Bier war - nämlich nicht unser Bier. Ende Februar 2021 sind wir auch sprachlich bereits sehr pandemüde.