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Napoleon: Eines Gewaltigen Glück und Ende

Von Wolfgang Häusler

Reflexionen
Napoleon und seine Offiziere bei der Schlacht von Borodino auf einem Gemälde des russischen Malers Wassili Wereschtschagin (1897).
© Public domain, via Wikimedia Commons

Vor zweihundert Jahren starb der entmachtete Kaiser der Franzosen im Exil auf St. Helena. Von manchen vergöttert, von anderen verachtet, prägte er als "Weltseele zu Pferde" eine Epoche. - Ein Essay.


Bei Sonnenuntergang, am 5. Mai 1821, 17.49 Uhr, endete das Leben des Kaisers der Franzosen Napoleon - seinen Staatsgefangenen auf der einsamsten Insel des Atlantiks ließ England nur als "General Bonaparte" gelten.

"Der Schiffer und sein Sohn auf der Höhe der Insel St. Helena im Jahre 2315", dichtete Franz Grillparzer auf den bei Waterloo besiegten "mächt’gen weitberühmten Mann", "wie ihn seit ihrer Schöpfung Tagen / Die Welt, zum Glück, ein einzigmal getragen", und schloss mit den Worten: "Es ist ein Gott! Er strafet das Verbrechen."

Parade in Schönbrunn

Die Todesnachricht wurde Anlass für ein zweites Gedicht. Napoleon wird "das Fieber einer kranken Zeit", "Geißel Gottes" genannt, jedoch sollte "sühnend auf seinem Leichenstein" stehen: "Er war zu groß, weil seine Zeit zu klein." Unter der Zensur durfte nicht gefragt werden: "Ward Tyrannei entfernt mit dem Tyrannen? / Ist auf der freien Erde, seit du fort, / Nun wieder frei Gedanke, Meinung, Wort?"

Das Kriegsjahr 1809, das Österreich eröffnete, sah den Studenten Grillparzer auf den Basteien, zu halbherziger Verteidigung der Stadt; die Übergabe erfolgte nach kurzer Beschießung. Obschon "Franzosenfeind", versäumte Grillparzer "keine seiner [Napoleons, Anm.] Musterungen in Schönbrunn und auf dem Felde der sogenannten Schmelz. Noch sehe ich ihn die Freitreppe des Schönbrunner Schlosses mehr herablaufen als -gehen, die beiden Kronprinzen von Bayern und Württemberg als Adjutanten hinter sich, und nun mit auf dem Rücken gefalteten Händen eisern dastehen, seine vorüberziehenden Gewalthaufen mit den unbewegten Blicken des Meisters überschauend. Seine Gestalt ist mir noch jetzt gegenwärtig, seine Züge haben sich leider mit den vielen gesehenen Porträten vermengt. Er bezauberte mich wie die Schlange den Vogel."

Grillparzers Erinnerung (1847!) dürfte sich auf die große Parade vom 12. Oktober beziehen, die dem Frieden von Schönbrunn zwei Tage vorherging. Das noch kämpfende Tirol, Salzburg, Teile Oberösterreichs, die illyrischen Provinzen mussten abgetreten werden, die Monarchie verlor ihren Zugang zum Meer. Der bayerische Kronprinz war der spätere König Ludwig I., der 1809 nur widerstrebend auf französischer Seite stand.

Der Attentäter Friedrich Stapß wird von Napoleon befragt (dazwischen dessen Leibarzt): Illustration von 1866.
© Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons

Es dürfte jene Parade gewesen sein, während der Friedrich Stapß, der 17-jährige Pastorensohn aus Naumburg, ein Attentat auf den Kaiser versuchte. Er wurde mit einem scharf geschliffenen Küchenmesser entdeckt, von General Rapp, einem Elsässer, dann von Napoleon selbst verhört. Napoleon wollte Stapß begnadigen, doch dieser weigerte sich: "Ich werde darum nicht minder Sie töten."

Am 16. Oktober wurde Stapß bei der Oesterleinschen Gewehrfabrik in der Mariahilfer Straße (Oesterleingasse) von württembergischen Soldaten füsiliert. "Es lebe die Freiheit! Es lebe Deutschland! Tod den Tyrannen!", soll er laut den apokryphen Memoiren des Sekretärs Bourrienne gerufen haben. Das Messer gelangte in das Napoleon-Museum von Monaco, dessen reicher Bestand 2014 versteigert wurde; ich habe es noch mit der eingravierten Inschrift gesehen. Arthur Schnitzler verarbeitete den Stoff, zusammen mit der Widerstandshandlung des Sattlermeisters Eschenbacher, in dem symbolischen Historiendrama "Der junge Medardus", nach Widerständen 1910 am Burgtheater aufgeführt.

Wiener Monumente

Das widerspenstige Wien wurde seines Festungsstatus beraubt: Die brutale Sprengung von Burgtor und Burgbastei vernichtete alle Fensterscheiben der Umgebung, und die gekrönten Häupter und die Diplomaten des Wiener Kongresses blickten aus den Hofburgsälen und der Staatskanzlei auf eine Trümmerlandschaft. Hier entstand ein symbolisch aufgeladener Erinnerungsort mit dem Äußeren Burgtor, das 1824 als Denkmal der Leipziger Völkerschlacht eröffnet wurde.

Der Volksgarten wurde unter den Augen des fürsorglichen Monarchen der bevorzugte Spazierort der Wiener Bürger, in seiner Mitte der Theseustempel, eigens für den einen Kentauren bezwingenden Heros Antonio Canovas erbaut. Die Marmorgruppe, noch von der italienischen Republik Napoleon gewidmet, der sich 1805 in Mailand mit der Eisernen Krone zum König von Italien krönen ließ, kaufte Kaiser Franz; der Transport nach Wien rund um die Alpen war eine technische Großtat. Heute begrüßt der im Sterbejahr Napoleons in Wien angekommene Theseus die Besucher des Kunsthistorischen Museums, die zumeist nicht um die gewandelte Bedeutung wissen. Aus dem antiken Staatsgründer und Helden, der die Barbarei überwindet, wurde der Bezwinger der aus der Revolution entsprungenen Gewaltherrschaft. Das Pendant, der nackte Napoleon als Mars pacificator, war doch etwas peinlich.

Die Tradition ging in die Gestaltung des Heldenplatzes ein. Anton Dominik Fernkorns Statue von Erzherzog Karl, den Napoleon als Gegner achtete, sollte als persönliche Stiftung Franz Josefs zum 50. Jahrestag der Schlacht von Aspern 1859 enthüllt werden. Wegen der Niederlage von Solferino wurde das Reiterdenkmal erst im Folgejahr enthüllt.

Bilder der Sieger

Die Legende vom fahnenschwingenden Feldherrn vereinte zwei Hauptmotive der napoleonischen Siegerposen: Jacques-Louis Davids Alpenübergang des Ersten Konsuls 1800 (das Mailänder Exemplar war ehemals Schlusspunkt der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums, jetzt im Oberen Belvedere) und Antoine-Jean Gros’ Porträt des auf der Brücke von Arcole (1796) die Trikolore vorantragenden jungen Generals.

Der stolze Sieger Erzherzog Karl, in Erz gegossen.
© Herzi Pinki, CC BY-SA 4.0, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons

Beide Ikonen haben Napoleons Selbstgefühl und -darstellung entscheidend geformt. Als er sich nach den "Hundert Tagen" mit widersprüchlichen Plänen trug - ein Kommando als General oder die Auswanderung als Forscher oder Farmer in Amerika -, spielte Napoleon mit der Annahme des Decknamens Muiron. Damals, auf der Brücke von Arcole, hatte der Adjutant Jean-Baptiste Muiron den tödlichen Schuss abgefangen. Schon das Flaggschiff der ägyptischen Expedition hatte seinen Namen getragen.

Den Stellvertretertod nach Waterloo starb Marschall Michel Ney - die Saarländer sprechen den Namen des Landsmanns aus Saarlouis deutsch aus. Der Fürst von der Moskwa, "Tapferster der Tapferen" und Nachhut der Großen Armee 1812, sollte im Dienst der Bourbonen Napoleons Rückkehr von Elba aufhalten. Den Übertritt zu seinem alten Meister musste er büßen: Das Kriegsgericht erklärte sich für nicht zuständig, die Pairskammer willfahrte mit dem Todesurteil durch Erschießen, das Ney selbst kommandierte, am 7. Dezember 1815.

Wie sehr Napoleon seine Darstellungen als Personalunion von Regisseur und Schauspieler seiner selbst (Papst Pius VII.: "Commediante!") verinnerlichte, zeigen seine Worte vom Sterbebett von St. Helena. "Joséphine" und "France" wollte man gehört haben, in der Agonie sah er sich an der "tête d’armée". Da er zuvor noch nach seinen Heerführern Masséna und Desaix gerufen, sie zur Eile angetrieben hatte, bezieht sich dieser letzte Appell auf die Schlacht von Marengo (1800), den mit Mühe und Glück errungenen Sieg zur Festigung der Macht des Ersten Konsuls auf dem Weg zum Kaiser der Franzosen.

Als diplomatisches Meisterstück führte Metternich Österreich nach der Niederlage von 1809 an die Seite des Eroberers. Das Bündnis wurde durch die Ehe mit der Kaisertochter Marie Louise besiegelt, bei der Trauungszeremonie fungierte Erzherzog Karl als Stellvertreter des Bräutigams. Bis zum Russlandfeldzug von 1812 blieb Österreich an der Seite des Siegers. Fürst Karl Schwarzenberg führte das südliche Flankenkorps der Grande Armée; er sollte sich vor der Katastrophe "wegmanövrieren" und wurde 1813 der siegreiche Feldherr der Völkerschlacht von Leipzig.

Grillparzer erprobte sich nach "Ahnfrau" und Argonauten-Trilogie und "ungeheurer Leserei" am historischen Drama. "Eines Gewaltigen Glück und Ende" zielte auf die Ablösung des Böhmenkönigs Ottokar durch Rudolf von Habsburg. "Vergleichungen mit der jüngeren Zeitgeschichte" lagen auf der Hand. Die Geschichte der Ehen Ottokars - mit der Babenbergerin Margareta und, nach der Verstoßung der Kinderlosen, mit der leichtfertigen Kunigunde - glich offenkundig Napoleons Trennung von Joséphine und der Vermählung mit Marie Louise, die den Franzosenkaiser 1814 verließ, nie mehr mit ihm Kontakt hatte und sich mit dem martialischen Offizier Neipperg rasch tröstete.

Polizeichef Josef von Sedlnitzky und Metternich befürchteten "unangenehme Erinnerungen" des Publikums und befanden das Drama als "zur Aufführung" nicht geeignet. Sedlnitzky legte Grillparzer ferner das Gedicht über die "Ruinen des Campo Vaccino" (1817) zur Last, er habe damit antiklerikale, ja antichristliche Gesinnung gezeigt.

Dank der arglosen Lektüre der Kaiserin kam "Ottokar" am 19. Februar 1825 ins Burgtheater. Nun trat ein, was Sedlnitzky vorhergesagt hatte: "Reibungen der verschiedenen Volksstämme des österreichischen Kaiserstaates untereinander", in Gestalt des Protests böhmischer Adeliger. Das Stück wurde nicht zur vaterländischen Apotheose der habsburgischen Dynastie, sondern zum Trauerspiel der österreichischen Geschichte.

Napoleons Spur führt auch nach Baden, wo er mit seinem Stabschef Berthier am 1. Oktober 1809 das "Tal von St. Helena" von der Burg Rauhenstein aus überblickte. Es müsse, so hält es die Anekdote fest, "herrlich sein, an diesem Ort sein Leben zu beschließen". Zusammen mit der "kleinen Insel" wurde St. Helena zum Symbol von Verbannung und Isolation des "Störers der Ruhe der Welt" - als solchen hatte ihn der Wiener Kongress bei seiner Rückkehr von Elba geächtet.

Napoleons Sohn

Der Herzog von Reichstadt in einem Gemälde von Leopold Bucher, 1832.
© Leopold Bucher, Public domain, via Wikimedia Commons

Am 20. März 1811 wurde in den Tuilerien der ersehnte Erbe geboren: Napoleon Franz Joseph Karl, dem der Vater auf dem Höhepunkt seiner Macht den Titel eines Königs von Rom zudachte. Die kostbare Wiege, aufbewahrt in der Wiener Schatzkammer, vereinigt alle Symbole des napoleonischen Herrschaftsanspruchs: das große N, Adler, Sterne, Bienen, Seine und Tiber.

Marie Louise ging nach Napoleons erstem Sturz 1814 mit dem Knaben sofort nach Wien. Wie ein österreichischer Erzherzog wurde er unter der Kontrolle des Großvaters Kaiser Franz ohne den Namen des Vaters erzogen, mit dem Titel eines Herzogs von Reichstadt, einer böhmischen Kleinstadt. Im Sommer 1830 kam es zu einer seltenen Begegnung mit der Mutter in Baden. Der Offizier Reichstadt wurde hier vor dem Griechischen Tempel im Park zum Bataillonschef des Infanterieregiments Nr. 54 ernannt.

Napoleons Gesicht in einem Abguss zu Lebzeiten (links oben) und nach dem Tod (rechts oben). Darunter die Totenmaske seines Sohnes, des Herzogs von Reichstadt.
© Rollettmuseum Baden

Das Badener Rollettmuseum zeigt neben der erschütternden Totenmaske des an Tuberkulose verstorbenen jungen Mannes zwei Masken Napoleons: ein Exemplar der von Dr. Francesco Antommarchi abgenommenen Totenmaske und eine mutmaßliche Lebendmaske. Diese wurde vom Museumsgründer Dr. Anton Rollett, nach späterer Angabe seines Sohnes Dr. Hermann Rollett von 1894, als Kinderspielzeug aufgefunden. Ob und auf welchem Weg sie nach Baden kam und wie sie "vergessen" wurde, bleibt ungewiss.

In seinem spätromantischen Drama "L’Aiglon" (1900) verarbeitete Edmond Rostand den Stoff um Napoleons Sohn, erfolgreich mit Sarah Bernhardt in der Hosenrolle des "kleinen Adlers". Die Szenenfolge beginnt in Baden 1830.

Beigesetzt in Paris

Napoleon wünschte in seinem Testament die Überführung seiner Asche an das Ufer der Seine, in die Mitte des französischen Volkes, das er so sehr geliebt habe. In einer für das Bürgerkönigtum heiklen politischen Situation - Orient- und Rheinkrise - wurde dieser Wunsch erfüllt: 1840 ließ Louis Philippe den Sarg in den Invalidendom überführen.

Heinrich Heine hatte, seit er als 14-Jähriger sein Herrscherideal 1811 in Düsseldorf gesehen hatte, Napoleons Aufstieg, Sturz und Nachleben begleitet. Vom Schlachtfeld von Marengo ließ Heine die "Emancipation der ganzen Welt" ausstrahlen, er rühmte Napoleon gar als "Gonfaloniere (Bannerträger) der Demokratie" - nicht nur der Kaiser, die Menschheit, mit ihr die Ideale der Französischen Revolution, hätte die Schlacht von Waterloo verloren.

Heine sprach aber auch zuletzt von der "vampyrischen Existenz" des untoten Revenants. Am 15. Dezember 1840, als in einer pompösen Zeremonie der Sarg auf vergoldetem Katafalk, begleitet von Veteranen der Grande Armée, von 16 Rappen zum Invalidendom gezogen wurde, vernahm der Dichter "den verschollenen Liebesruf, das Vive l’Empereur!"

Napoleons monumentales Grab im Invalidendom in Paris.
© Thesupermat, CC BY-SA 3.0, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0, via Wikimedia Commons

Genau ein Jahrhundert später veranlasste Hitler die Überführung des Sohnes Napoleons aus der Kapuzinergruft an die Seite des Vaters. Bei dieser Blitzaktion hatte man die Herzbeisetzung in der Loretokapelle der Augustinerkirche vergessen: Dort steht noch die kleine Herzurne Napoleons II., König von Rom und Herzog von Reichstadt, kenntlich an einem trikoloren Bändchen.

Außer dem Invalidendom mit dem Sarkophag aus russischem Porphyr von 1861 ist die Kirche St.-Louis-des-Invalides, mit ihren (reduzierten) Fahnen und der Statue des Petit Caporal von der Vendômesäule, als Teil des Musée de l’Armée die wichtigste Napoleon-Gedenkstätte. Die Erinnerungsstücke und Reliquien erstrecken sich über Tabaksdosen, Degen, Hüte und Uniformen bis zur Nachbildung des Sterbezimmers im Longwood House und zum ausgestopften Reitpferd Le Vizir. Die Deckplatten des Grabes von St. Helena, zweitverwendet von einer britischen Artillerieplattform, wurden in eine kleine Grünanlage verlegt; vor Jahren wurde noch das Katafalkgerüst, aus dem Souvenirjäger Späne schnitzten, gezeigt.

Die heroischen Episoden auf dem Großen St. Bernhard und auf der Brücke von Arcole oder das Fahnenschwenken Erzherzog Karls bei Aspern haben sich so nicht zugetragen - die Opfer der blutigen Schlachten sind Realität. Das Pfarrgedenkbuch von Aderklaa berichtet nach der Schlacht von Wagram: "14 Tage hindurch lagen die Todten auf den Feldern", man musste die Leichen schließlich verbrennen, "und die Todten-Körper brannten wie Schmalz". Die gegenwärtige Bautätigkeit bei Aspern und Wagram eröffnet neue Forschungsmöglichkeiten der Schlachtfeldarchäologie.

Die "Weltseele zu Pferde" (Hegel), das "Kompendium der Welt" (Goethe) hinterließ der Nachwelt das widerspruchsvolle Erbe des Sohnes der Revolution, durch fünf französische Republiken, zwei König- und zwei Kaiserreiche. "Die Mächte führen ihren Krieg nicht eigentlich gegen mich, sondern gegen die Revolution", erkannte der Entmachtete 1815 in Malmaison. Das Europa der Nationen, das er durch Kriege habe schaffen wollen, übertrug er als Friedensaufgabe seinem Sohn.

Napoleon erkannte selbst, dass nur ein Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen führt. Die "Farce" Napoleons III. nach der Tragödie brandmarkte Karl Marx im "Achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte", eine scharfsichtige Diagnose des Scheiterns der bürgerlichen Revolution an ihren inneren Widersprüchen und Analyse des modernen Historismus: "Aber unheroisch, wie die bürgerliche Gesellschaft ist, hatte es jedoch des Heroismus bedurft, der Aufopferung, des Schreckens, des Bürgerkriegs und der Völkerschlachten, um sie auf die Welt zu setzen."

Mythos & Tradition

Napoleon im Krönungsornat als Kaiser: Gemälde von François Gérard, 1805.
© François Gérard, Public domain, via Wikimedia Commons

Frankreichs Präsidenten standen und stehen in Licht und Schatten der unentrinnbaren napoleonischen Tradition, bis hin zur blutigen Groteske der zentralafrikanischen Kaiserkrönung Jean-Bédel Bokassas I. am 4. Dezember 1977, als deren Zeremonienmeister sich Giscard d’Estaing hergab. Ob und wie Präsident Macron das schwere Erbe der Geschichte zum 200. Todestag wird vertreten können, erscheint ungewiss. Seine "République en marche" ist durch die Kundgebungen der Gelbwesten auf den Champs Élysées und vor dem Arc de Triomphe aus dem Tritt gekommen. Auf St. Helena ist ein touristisches Reenactment in der französischen Exklave angekündigt, coronabedingt wird die Peinlichkeit vermieden werden.

"Ich war die Stimme der neuen Zeit", sagte Napoleon zu seinem Generaladjutanten Montholon, im Horizont der Zukunft. Beethovens dritte Sinfonia Grande intitolata Bonaparte von 1804 steht in dieser Ambivalenz der Moderne. Ihr zweiter Satz ist ein Trauermarsch, die Widmung wurde zornig ausradiert. Überzeitlich gültiges Zeugnis des Verlusts der Humanität im Krieg wurden Francisco Goyas "Los Desastres de la Guerra". Und Napoleons Gegner Chateaubriand, der royalistische Romantiker, erkannte: "Lebend hat Napoleon die Welt nicht erworben. Tot besitzt er sie."

Wolfgang Häusler, Historiker und em. Professor der Universität Wien, forscht und publiziert zur Geschichte von Revolution und Demokratie.