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Weltgeschichte in der Lobau

Von Alfred Pfoser

Reflexionen
Napoleons Überfahrt aus der Lobau nach der verlorenen Schlacht bei Aspern, auf einem Gemälde von Anton von Perger (1845).
© ullstein bild / Heritage Images

Die Schlacht von Aspern im Mai 1809 gehört, trotz brutalen Gemetzels und hohen Blutzolls, zu den großen österreichischen Geschichtsmythen. Eine Ausgrabung.


Am Tag danach feierten die Österreicher den vermeintlichen Triumph. Sie wollten sich bei der Feier einen Lokalaugenschein des Ortes nicht entgehen lassen, wo sich eine historische Sensation zugetragen hatte. Erzherzog Carl hatte in der "Schlacht von Aspern" gesiegt. Aber war es wirklich ein Sieg über Napoleon? Seine Armee hatte sich zurückgezogen. Der französische Kaiser realisierte, dass ein Sieg über Österreich an diesem Tag nicht zu haben war.

Natürlich durften Kaiser Franz und sein mächtiger Außenminister Graf Stadion bei dieser Festlichkeit am 23. Mai, dem Pfingstdienstag des Jahres 1809, nicht fehlen. Auch andere zahlreiche Würdenträger fanden sich auf dem Gebiet im östlichen Kagran ein. Angeführt durch die Generalität, ritt man über das Schlachtfeld.

Was als Höhepunkt des Tages gedacht war, entpuppte sich aber als grausamer Gespensterreigen: Denn was sie zu Gesicht bekamen, war schaudererregend: Zerstörung, Tod - und furchtbarer Gestank. Von den kleinen Dörfern Aspern und Essling waren nur mehr Ruinen zurückgeblieben. Auf den Feldern lagen, offen und weithin sichtbar, tausende von Soldatenleichen, noch immer eingepfercht in ihre metallenen Brustpanzer, die Kürasse. Dazwischen die Leiber vieler getöteter Pferde.

Grausiger Moment

Ein österreichischer Oberstleutnant, Karl Johann von Grueber, hielt in seinen Erinnerungen diesen grausigen Moment fest: "Dort hatte es den Anschein, als wäre der ganze Bodenstrich mit Silber beschlagen." Noch Tage danach, als die Armee die ortsansässigen Bauern bereits angehalten hatte, auf ihren Feldern die Leichen in Massengräbern zu begraben, so Grueber, ragten Arme und Füße aus dem Ackerboden. Ein Verscharren der Toten wurde neu angeordnet, weil man Krankheiten befürchtete; schließlich lagerte die kaiserliche Armee in der Nähe.

Der Löwe von Aspern, das von Anton Dominik Fernkorn geschaffene Kriegerdenkmal, wurde 1858 am Asperner Heldenplatz (heute ein Teil des  22. Wiener Gemeindebezirk Donaustadt) errichtet.
© Alfred Pfoser

Die Schlacht von Aspern gilt in der Militärgeschichte als eine der bis zu diesem Zeitpunkt blutigsten Auseinandersetzungen, sie läutete, so der französische Historiker
Louis Madelin, "das Zeitalter der großen Blutbäder" ein. Innerhalb von dreißig Stunden wurden dreißig- bis vierzigtausend Männer getötet. Fast jeder Fünfte von den insgesamt 200.000 Soldaten, die gegeneinander angetreten waren, ließ das Leben. Nicht zu vergessen die zehntausenden Schwerverletzten und Verletzten. Wer während der Schlacht ausfiel, durfte nicht mit besonderer Wertschätzung rechnen. Zweckmäßige Entsorgung war Standard, was hieß: Gefallene wurden in den Boden getrampelt oder schnell beiseitegeschoben. Die Lebenden nutzten Leichname als Schutzschilde. Nach den Kämpfen sortierten Chirurgen und Sanitäter die Verletzten nach ihren Überlebenschancen. Kameraden betätigten sich wie Leichenfledderer: Gefallenen wurden Stiefel abgenommen, Kürasse wurden nach der Schlacht zur Wiederverwendung eingesammelt.

Nach der Schlacht war vor der Schlacht, Wagram (5./6. Juli 1809) folgte auf Aspern. Diesmal sollte es keine Überraschungen geben, Napoleon ließ, sorgfältig geplant, seine Kriegsmaschine hochfahren. Die größte Schlacht, die der militärische Genius bis dahin geschlagen hatte, besiegelte die Niederlage Österreichs. Der Blutzoll war ähnlich hoch. Der französische Kaiser hatte rund 200.000 Soldaten und eine starke Artillerie aus halb Europa herbeigeordert, die der österreichischen Gegenseite (170.000 Mann) eindeutig überlegen waren. Nach der Schlacht blieben zehntausende Tote (Historiker schreiben von 70.000 Opfern) auf dem Marchfeld zurück. Die in der sommerlichen Hitze glühenden Getreidefelder zwischen Deutsch-Wagram und Enzersfeld waren ein "schauderhafter Mordacker", so der preußische Major Rühle von Lilienstern, übersät auch von Schwerverletzten, die einfach zurückgelassen wurden, ohne jede Hilfe, ohne Wasser und Brot. "Widerwärtiger Brand- und Mordgeruch" lagerte über den ausgebrannten Ortschaften.

Patrick Rambaud hat das Drama von Aspern in seinem preisgekrönten Roman "Die Schlacht" (Prix Goncourt 1997, übersetzt 2000) geschildert und dabei nachzuvollziehen versucht, wie die Soldaten mit dem Sterben, mit dem Morden und Verrecken umgingen, wie sie das hohe Todes- und Verletzungsrisiko aushielten. Vor dem Kampf wurde viel Alkohol ausgeschenkt, "Todesverachtung" als höchster Wert gehandelt. Geld und Karriere winkten als Lohn. Die Soldaten wurden mit feurigen Reden zu wilder Begeisterung und sinnloser Selbstpreisgabe angespornt: "Siegen oder Sterben", "Schande oder ewiger Ruhm".

Die Gegner Napoleons hatten gelernt. Wenn sie der französischen Überlegenheit beikommen wollten, mussten ihre Soldaten in gleicher Weise Leib und Leben riskieren, sich auch mit "Kriegsbegeisterung" und "Vaterlandsliebe" munitionieren. "Tollkühn" hatte etwa die Kavallerie mit Lanzen gegen die Geschosse der Artillerie und die Gewehrsalven der Infanterie anzureiten. Voller "Heldenmut" suchten die Soldaten den Nahkampf. Hingabe, Schnelligkeit und Überraschung waren in Napoleons Frühzeit die Rezepturen seiner militärischen Erfolge. Zur Schau gestellte Furchtlosigkeit bezweckte Einschüchterung und Überrumpelung der Gegner. Wer gegen Napoleon bestehen wollte, musste an Grausamkeit zulegen. Aspern und Wagram waren Belege dafür.

Geschönte Bilder

Heute scheint die Welt der Napoleonischen Kriege weit weg. Was wir in den Museen sehen, verkleinert nicht die Distanz. Ein großformatiges Gemälde von Johann Peter Krafft im Heeresgeschichtlichen Museum verbirgt nicht, dass es Opfer gab, aber diese werden auf dem Bild liebevoll betrauert und versorgt. Ergänzend zu den geschönten Schlachtbildern zeigen sich die musealisierten Napoleonischen Kriege als Geschichte großer Männer, ohne Furcht und Tadel. Porträts betreiben geradezu putzige Heldenverehrung, präsentieren Offiziere mit roten Ärmelborten und Orden auf der Brust; auf den goldgesäumten Kappen wirken die kleinen Wedel pittoresk.

Johann Peter Krafft: Die Sieger von Aspern, 1820
© Gemeinfrei

Erstaunlich, dass auch auf dem Schlachtfeld Wert auf imposante Kleidung gelegt wurde. Archäologen rekonstruieren heute mit Kleidungsresten das damalige Outfit. Man zog in den Krieg, wie wenn man auf einen Ball gehen würde. Reenactment-Gruppen, die heute die Schlachten aus der napoleonischen Zeit nachspielen, legen Wert darauf, die historische Wirklichkeit getreulich nachzubilden.

Die wahren Gedächtnisorte liegen unter der Erde. Aspern, Essling und die Felder des Marchfelds sind nach wie vor Totenstädte. Das Gemetzel liegt zwei Jahrhunderte zurück, aber die menschlichen und tierischen Überreste lagern im Boden, zum Teil noch leicht zu finden. Als das 340 Hektar große Areal rund um den ehemaligen Flughafen Aspern Anfang der 2000er Jahre als neues Stadtentwickelungsgebiet ausgewiesen wurde, meldete auch die Stadtarchäologie ihr Interesse an dem Projekt an. Dort, wo sich heute die Seestadt erhebt, wurde von Archäologen zwischen 2008 und 2016 auf einer Fläche von 600.000 Quadratmetern der Aushub kontrolliert. Neun Soldatengräber mit mindestens 86 Gefallenen sowie 17 Pferdegräber mit 21 Kadavern wurden dabei ausgegraben. Was die Forscher verblüffte: Die Knochen lagen nur 30 bis 50 Zentimeter unter der Oberfläche. Der Firnis über der Vergangenheit ist dünn.

Im Bezirksmuseum von Aspern und seiner Dependance in Essling ist versammelt, was private Sammler an Waffen, Munition und Ausrüstung auf dem historisch verminten Acker- und Siedlungsboden zusammentrugen. Auch die Heimatmuseen von Deutsch-Wagram oder Groß-Enzersdorf zeigen kleine Schausammlungen zu den Napoleonischen Kriegen, Reste, die das wahre Drama nur andeuten.

Das Reiterstandbild von Erzherzog Carls auf dem Heldenplatz
© Herzi Pinki, CC BY-SA 4.0

Die Schlacht von Aspern gehört zu den großen österreichischen Geschichtsmythen. Am prominentesten pflegt das ruhmhafte Gedenken daran wohl das Reiterstandbild Erzherzog Carls auf dem Heldenplatz. Auch der Husarentempel bei Mödling war Teil der Aspern-Erinnerungskultur im 19. Jahrhundert. Vor dem und im Ersten Weltkrieg war es Usus, dass jährlich am 21./22. Mai die militärische Führung, begleitet von den Spitzen der Monarchie und der herausgeputzten Wiener Schuljugend, rund um das elegische Marmordenkmal des sterbenden Löwen (1858) am Asperner Siegesplatz paradierte und die heldenhafte Tüchtigkeit der habsburgischen Armee pries.

Verschwiegen wurde, dass die Schlachten anno 1809 ein Fiasko waren. Die österreichische Regierung unter Graf Stadion hatte sich verkalkuliert. Was als deutscher Befreiungskrieg angelegt war, entpuppte sich als österreichischer Alleingang mit verheerenden Folgen (immensen Landverlusten, Reparationszahlungen). Napoleon wollte diesen Krieg eigentlich nicht, aber als die österreichische Armee in das mit Frankreich verbündete Bayern vordrang und München okkupierte, setzte es Gegenaktionen. Die Gefechte bei Eckmühl und Regensburg brachte die Armee Erzherzog Carls in die Defensive, Napoleon konnte ungehindert bis nach Wien vordringen und Quartier in Schloss Schönbrunn beziehen. Die Verteidigung Wiens brach am 12. Mai 1809 nach nächtlichem Artilleriebeschuss zusammen.

Strategie der Sabotage

Der heutige Napoleonweg erinnert daran, dass die Lobau, damals noch ganz und gar eine Insel, als Logikzentrum, Aufmarschgebiet und Rückzugsraum einer riesigen Armee fungierte. Der Schachzug, die Lobau als Lager zu verwenden, war theoretisch genial, weil für den Gegner unerwartet. Die österreichische Armee hatte sich am Nordufer der Donau neu formiert. Napoleon suchte die Konfrontation. Aber bald entpuppte sich die Wahl als hochriskant, weil sie mit erheblicher Selbstgefährdung behaftet war. Kurz sah es so aus, als ob die Franzosen sich selbst eine Falle gestellt hätten.

© Alfred Pfoser

Denn ein österreichisches Spezialkommando agierte höchst erfolgreich mit der Strategie der Sabotage. Unbemannte Schiffe und Flöße wurden als Geschosse gegen den Lebensnerv der französischen Armee, die Brücke über den Hauptarm der Donau, losgeschickt. Am zweiten Tag der Schlacht von Aspern zerstörte eine losgebundene Schiffsmühle, die zusätzlich in Brand gesetzt wurde, die wackeligen Pontons. Napoleon reagierte auf die Schreckensnachricht mit einem Befehl zum Rückzug, der möglichst unauffällig aussehen sollte, um Erzherzog Carl nicht auf die Idee kommen zu lassen, mit Kanonen und Artilleriefeuer die abgeschnittene Grande Armée zu attackieren und sie in den Untergang zu treiben. Die Lobau hätte ein vorzeitiges Waterloo werden können. Nachher setzte Napoleon die Geschichte in die Welt, dass "Général Danube" ihn kurzfristig vom Sieg abgehalten habe. Eineinhalb Monate wurde in der Lobau, auf der "Île Napoléon", Weltgeschichte geschrieben.

Alfred Pfoser, geboren 1952, lebt als Historiker, Bibliothekar und Sachbuchautor in Wien.