Über einige Ungereimtheiten rund um den Tod des Doors-Sängers vor 50 Jahren, am 3. Juli 1971.
Am 1. März 1969 landete der amerikanische Rockstar, Bluessänger und Poet James Douglas Morrison in Miami in seinem Heimatstaat Florida und begab sich per Taxi nach Dinner Key, wo er am Abend mit der Band The Doors auftreten sollte.
Einst hätte er elegant mit einem Wasserflugzeug direkt vor dem zur Konzerthalle umgebauten Hangar auf der glitzernden Meeresoberfläche ankommen können, wie ein bärtiger Messias des 20. Jahrhunderts, denn der noble Bade- und Marineort bot ab 1934 den ersten Küsten-Landungssteg der US-Fluggesellschaft PanAm an. Dort landeten riesige viermotorige Sikorsky-Flugboote und machten an jenem Pier fest, der unmittelbar neben zwei eher flachen, aber riesigen Hallen stand - ein nobles Ambiente.
Doch das war bereits vor mehr als 50 Jahren Schnee bzw. Meeressand von gestern, das Areal glich um 1969, als Morrison den Windfang durchschritt oder vielleicht eher durchtorkelte, mehr einem riesigen Autoabstellplatz samt Hafengebäude und einer muffigen Riesenbaracke, dem "Dinner Key Auditorium", das nach Umbauten entstanden war.
Exzess und Demos
In jenen geduckten und düsteren Räumlichkeiten sollte es an jenem Abend des 1. März zu einem Skandal kommen, der den ganzen Bundesstaat erschütterte und zu heftigen, von katholisch-konservativen Organisationen befeuerten Kundgebungen in der "Orange Bowl" wenige Wochen später führte. Für Anstand und Moral, gegen Lüsternheit und Lästerung - so lautete das Anliegen der Demonstranten, einige Wochen nach den exzessiven Vorgängen im Auditorium von Miami. Die Mühlen der Justiz begannen zu mahlen.
Die Eskalation in Miamis Auditorium hatte eine simple Vorgeschichte: Der ähnlich wie Franz Kafka von Straßenkünstlern und deren raffinierter Einbeziehung des Publikums begeisterte Jim Morrison hatte, wie zumeist, den einen oder anderen Whisky unterwegs getrunken. Er plante diesmal, das Publikum herauszufordern und zu Akten gegenseitiger Empathie zu animieren - oder auch alle zu verstören. Manipulation der Masse war ein Thema, das ihn seit Collegezeiten begleitete und faszinierte. Aber für eine durchdachte Bühnenshow fehlte Morrison an diesem Tag die Klarheit des Geistes. Schlussendlich wirkte sein Auftritt deviant wie der eines aggressiven Alkoholikers. Seiner Anreise war ein Streit mit Dauerfreundin Pamela Courson vorangegangen. Auf dem langen Flug hatte Morrison sich bemüht, die Ärgernisse zu verdrängen, was ihm aber nicht gelang.
Die Ereignisse beim Miami-Konzert der Doors sind bekannt und müssen nicht im Einzelnen angeführt werden. Die Halle war überfüllt, düster und stickig, die Bühne wirkte desolat und instabil, die Stimmung erwies sich von vornherein als aggressionsgeladen. Morrison begann mit Liebes-Aufforderungen und trunkenen Monologen, die zudem explizit, ja ordinär waren. Die musikalische Performance blieb hinter den Erwartungen zurück, die hunderte Male geprobte, allerdings durch Halbtonschritte besonders sensible Blues-Nummer "Love Me Two Times" sang der Frontman falsch und zudem versäumte er die Einsätze bei "When The Music’s Over".
Am besten wäre es gewesen, die missglückte Darbietung abzubrechen, aber dafür war zu viel Geld im Spiel, denn die Doors waren unter 30.000 Dollar oder einer mehr als 50-prozentigen Einnahmenbeteiligung nicht auf die Bühne zu bekommen. Ein Teil des Publikums erwartete sich zudem Provokationen, Skandale und Randale. Die gab es reichlich bis hin zu obszönen Gesten und einem Striptease, wobei der Vorwurf der Entblößung und Masturbation auf der Bühne später vor dem Gericht des Dade County erhoben, aber nicht bewiesen wurde.
Kaution und Berufung
Schlussendlich fasste der von Anwalt Max Fink vertretene Künstler mehrere Monate Haft und lächerliche 500 Dollar Geldstrafe aus. Aus präventiven Gründen wäre höchstens eine Strafe wegen Trunkenheit in der Öffentlichkeit und - allenfalls - Obszönitäten gerechtfertigt gewesen, wobei auch mehrere tausend Dollar die Band nicht nachhaltig geschädigt hätten. Aber Haft für "Gotteslästerung" und ähnliche verschwommene Vorwürfe erschienen unangemessen, sodass Fink sofort Berufung anmeldete.
Morrison musste eine Kaution leisten und sich fortan bei Auslandsreisen beim Gericht abmelden. Das war vermutlich die schwerste und unangenehmste Folge des nicht rechtskräftigen Urteils. Der Rocksänger war zudem vorbelastet, da er als 19-Jähriger in Tallahassee von der Polizei wegen Gewalttätigkeit nach einem Football-Match verhaftet worden war; in Dallas gab es eine Anzeige wegen Belästigung einer Stewardess, die sich aber nicht mehr an den wahren Täter, vermutlich Morrisons Begleiter, erinnern konnte.
Überdies waren zahlreiche Vaterschaftsklagen gegen den Star wider Willen anhängig, mit der Familie (Eltern und zwei Geschwistern) riss der Kontakt ab. Dennoch war Morrison alles andere als ein Straftäter oder ein Mensch ohne moralische Ansprüche. Manche seiner Verse zeigen den sensiblen Poeten.
Floridas (damals noch) repu-blikanischer Gouverneur Charlie Crist, ein Doors-Fan, griff den Fall im Herbst 2010, fast vierzig Jahre nach Morrisons Tod, nochmals auf. Der Jurist hatte vier Jahre lang als Generalstaatsanwalt die Gelegenheit gehabt, Begnadigungsakten zu studieren, und er befand, dass eine Verurteilung Morrisons wegen Zurschaustellung von Genitalien auf der Bühne ohne liquiden Beweis rechtswidrig war; den Entlastungszeugen war vom autoritären Richter kein Gehör geschenkt worden. Crist sah sich alle Polizeifotos an, auf keinem einzigen sah man die "private parts" des Sängers - ein krasses Fehlurteil also.
Weiters erwog Crist, dass das erste Amendment zur US-Verfassung auch verstörende und schockierende Aussagen abdeckte, und gemeinsam mit zwei Regierungsmitgliedern begnadigte der Gouverneur, der wenig später zu den Demokraten wechselte (seit 2017 als Abgeordneter im Repräsentantenhaus) und ein Buch über den Niedergang der "Grand Old Party" unter Ex-Präsident Trump veröffentlichte, den Doors-Sänger.
Paris und Pam
Als Morrison Anfang März 1971 nach Paris reiste, schwang die Verurteilung immer noch negativ nach. Sein Gesundheitszustand war mäßig, er litt an den Folgen einer Lungenentzündung. Morrison wollte in der "Stadt der Liebe" dichten und wieder Fuß fassen, wie er an Max Fink schrieb, der das Berufungsverfahren in den USA abwartete. Der Anwalt war zuversichtlich, der stets in Hemd und oft in Nappalederhosen auftretenden Pop-Ikone die beschämende Haft ersparen zu können.
Währenddessen wollte Morrison mit Lebensgefährtin Courson Frankreich, Spanien und Marokko erkunden. Am besten gefiel ihm Granada, aber noch lieber saß er am Vogesen-Platz unweit der Mietwohnung in der Rue Beautreillis 17-19, wo ihn die Feuerwehr im Wohnblock A im vierten Stock am Morgen des 3. Juli tot in der Badewanne auffand.
Wer die genauen Umstände des Todes erkunden will, kann sich in mehreren Büchern (u.a. von Gerstenmeyer, Manzarek, Schober, Seymore, Sugerman) darüber informieren. Allerdings ist die Lektüre ernüchternd, weil sie trotz publizierter Polizeiakten keine Klarheit bringt, ja niemals bringen wird können, weil die empirischen Daten fehlen.
Morrisons korpulenter Leichnam wirkte äußerlich unversehrt, der Untersuchungsbeamte fand weder Einstiche noch Verletzungen. Doch das Badewasser hatte eine rosa Färbung, Blut schien aus der Nase getropft zu sein. Die im Morgenmantel befindliche Freundin Pam (später als Gattin bestätigt), wirkte verzweifelt und konnte zunächst nicht in ihrer Muttersprache befragt werden.
Bei einem späteren Verhör am Nachmittag erschien sie mit Morrisons Freund Alain Ronay, der sich als amerikanischer Staatsbürger und Filmtechniker "Alan" nannte, aber als Franzose in Neuilly-sur-Seine geboren wurde. Es scheint so, als ob sich Ronay eine glaubwürdige Version der Todesumstände ausgedacht hatte, denn er bestätigte die Atemnot, die gesundheitlichen Probleme und er stellte Morrison tatsachenwidrig als Feind des Drogenmissbrauchs hin. Courson erzählte die Geschichte von der nächtlichen Übelkeit, dem Bad und dem stillen Herz-Tod Morrisons, während sie schlief.
Im Stich gelassen?
Spätestens seit der Publikation des "Handbuchs für Untersuchungsrichter" und ähnlicher kriminalistischer Werke um 1890 ist klar, was von den Behörden in einem solchen Fall anzuordnen ist: die Obduktion des Leichnams, das heißt die Öffnung, Untersuchung der Organe und Körperflüssigkeiten.
Courson hätte mit einem Gerichtsdolmetsch verhört werden müssen. Widersprüche zwischen ihrer und Ronays Aussage waren zu klären; die Nachbarn wurden nicht einvernommen, von denen einer die Wohnung betreten hatte. Die anwesende belgische Regisseurin Agnès Varda hielt die Polizei für eine Amerikanerin.
Courson griff die französische Polizei mit Glacéhandschuhen an. Die zarte Kalifornierin aus einem Ort namens Weed, die wie Morrison mit 27 Jahren, 35 Monate nach ihrem Ehemann, an einer Überdosis Heroin starb, hatte aber womöglich den Sterbenden im Stich gelassen, nachdem sie ihn fahrlässig nicht über eine Substanz aufklärte, die aussah wie Kokain, aber vermutlich Heroin war.
Es gibt tatsächlich Anhaltspunkte dafür, dass die rötlichblonde Common-law-Ehefrau Mitschuld am Tod des Sängers traf. Aber davon wird das Ehepaar Morrison, das nach dem gemeinen Recht des Bundesstaates Nevada faktisch und rechtlich als Mann und Frau verbunden war, auch nicht mehr lebendig.
Gerhard Strejcek, geboren 1963, ist Ao. Professor am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien und Autor.