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Die Geschichte der Sklaverei

Von Stefan May

Reflexionen
Auf dem Sklavenboot, circa 1830, Sammlung des Instituto Itau Cultural.
© Getty Images / Fine Art Images / Heritage Images

Der Historiker Andreas Eckert erforscht die lange Tradition der unfreien Arbeit bis in die Gegenwart.


Eigentlich stand die Sklaverei bei Andreas Eckert anfangs nicht im Fokus. Er ist Afrika-Historiker an der Humboldt-Universität in Berlin, das Büro liegt gegenüber vom Bahnhof Friedrichstraße. Sein Interesse daran wuchs aber, je länger er der Frage nachging, wie sich Arbeit im Lauf der Zeit entwickelt hat. "Vor allem war es die Frage, ob es tatsächlich so etwas gibt, was sowohl Marx als auch Liberale im 19. Jahrhundert prophezeit haben, dass nämlich unfreie Arbeit sukzessive verschwindet und durch freie Arbeit ersetzt wird und dass auch im Kapitalismus freie Arbeit ein Kernbestandteil ist", sagt Eckert. Ihm sei aufgefallen, dass dies zwar für die nordatlantische Region passe, nicht aber für viele andere Weltteile.

Der Historiker Andreas Eckert.
© Stefan May

Deshalb begann er sich damit zu beschäftigen, wie die Abschaffung der Sklaverei funktioniert hat. Hat sie das überhaupt? Auch heute noch gibt es weltweit sklavenähnliche Arbeit. Jüngst erst hat eine Studie festgestellt, dass in Deutschland nur zehn Prozent der befragten Lieferanten Pläne zur Bekämpfung moderner Sklaverei vollständig umgesetzt haben. Und auch der Wissenschafter bestätigt, dass diese Arbeitsform gegenwärtig noch weit verbreitet ist: "Viele würden das, was mit Arbeitskräften in den Golfstaaten passiert, unter Sklaverei setzen. Aber selbst in Europa arbeiten Zwangsprostituierte aus Teilen Osteuropas oder Menschen aus Teilen des globalen Südens." Auch in Indien oder Afrika ist Sklaverei noch zu finden.

Folgenlose Gewalt

Schließlich widmete sich Eckert dem großen Thema, wann es wo in der Welt unfreie Arbeitsverhältnisse gegeben hat. Und er kam zum Schluss: eigentlich immer und überall. "Natürlich gab es bestimmte Länder, die in dem Sinne keine Sklaverei kannten, aber wir wissen sowohl aus dem Habsburgerreich als auch aus den Regionen, die heute Deutschland ausmachen, dass es durchaus dort auch Sklaven gab. Nicht viele, aber es gab sie." Eckert nennt die sogenannten Hofmohren. Zudem hätten viele Banker und Geschäftsleute in der einen oder anderen Form vom Sklavenhandel profitiert.

© C.H. Beck

Andreas Eckert hat zum Thema das Buch "Geschichte der Sklaverei" geschrieben. Darin zeigt der Wissenschafter die lange Tradition unfreier Arbeit auf: Bei den Griechen und Römern war der Sklavenstand eine selbstverständliche und rechtlich klar abgegrenzte Institution. Freie wurden von Sklaven unterschieden. Der Autor streift die Sklaverei im Mittelalter, geht auf den Handel mit Menschen innerhalb Afrikas und mit Menschen aus Afrika, die Plantagensklaverei im atlantischen Raum sowie deren Ende ein. Letztlich ist wohl die gebräuchliche Kurzformel "Personen im Besitz einer anderen Person" die alle Ausformungen von Sklaverei treffendste Beschreibung.

Diese Besitzverhältnisse waren aber im Lauf der Geschichte, auch innerhalb einzelner Gesellschaften, höchst unterschiedlich ausgeprägt. "Sklaven haben oft sehr schmutzige, sehr harte Arbeit verrichtet, doch nicht immer", sagt der Berliner Historiker. "Sie haben in einigen Gesellschaften oft auch sehr hohe Positionen gehabt. Aber sie konnten eben, und das ist vielleicht ein wichtiges Kriterium, jederzeit verkauft oder getötet werden." Es konnte ihnen folgenlos Gewalt angetan werden. Manche Wissenschafter ordnen deshalb auch die Zwangsarbeit in den Konzentrationslagern der Nazis als Sklaverei ein, geraten damit aber in Gefahr, die dahintersteckende Ideologie zu nivellieren. Ebenso ließe sich Leibeigenschaft als Sklaverei definieren.

Der Sklavenhandel in Afrika begann im 8. Jahrhundert, allerdings innerhalb des Kontinents, quer durch die Sahara. Muslimische Herrscher bedienten sich der menschlichen Arbeitskraft. Später, bereits in der Neuzeit, waren in erster Linie nordafrikanische Piraten auf Menschenjagd, ihre Opfer insbesondere Seeleute und Fischer. "Im Prinzip lief aber jeder, der in dieser Zeit allein im Mittelmeerraum unterwegs war oder in den Küstengebieten Süd- und Westeuropas lebte, Gefahr, versklavt zu werden", schreibt Eckert.

"Selbst Nordengland und Island waren vor den Korsaren aus dem Maghreb nicht sicher. Primäres Ziel war es, die Gefangenen wieder auszulösen. Eines der berühmtesten Opfer war der spanische Schriftsteller Miguel de Cervantes, Autor von ,Don Quijote‘, der fünf Jahre in Algier als Sklave festsaß. Umgekehrt wurden auch Hunderttausende Menschen aus Nordafrika von europäischen Freibeutern versklavt und auf Galeeren zum Rudern eingesetzt."

Einige Ordensgemeinschaften verschrieben sich dem Freikauf christlicher Sklaven: anonyme Darstellung auf dem 17. Jahrhundert.
© Public domain / via Wikimedia Commons

Was die Sklaverei betrifft, stand Afrika an der Spitze: Neben der Binnensklaverei fand reger Sklavenhandel mit Amerika statt. Erst hatten die neuen Herren aus Europa versucht, Menschen aus der jeweiligen amerikanischen Region zum Arbeiten heranzuziehen. Die Einheimischen wehrten sich aber oder flohen. In Lateinamerika wurden zudem viele Indigene durch die von den Europäern eingeschleppten Krankheiten dahingerafft. Der Sklavenhandel mit Afrika setzte ein, weil die Spanier bereits Erfahrungen mit Arbeitskräften vom "schwarzen Kontinent" hatten. Auf den Kanarischen Inseln wurden afrikanische Sklaven für die ersten Zuckerproduktionen eingesetzt. "Es war also nicht die erste Wahl für Amerika, bot sich aber an, weil auch kein Europäer bereit war, unter diesen Bedingungen zu arbeiten", sagt Eckert.

"Deshalb erwies sich die Arbeit von afrikanischen Sklaven trotz des hohen Aufwands immer noch als die effizienteste Form." Auch habe sich das Geschäft gelohnt, da es von dort immer wieder Nachschub mit der "Ware Mensch" gab.

Weißes Privileg

Hat der Sklavenhandel Afrika nachhaltig beschädigt? Tatsächlich gingen dadurch erste Ansätze von Industrialisierung verloren, meint Eckert. Vor allem aber spiele der demografische Aderlass eine Rolle. Insbesondere wurden junge Männer, die produktivsten Kräfte des Kontinents, in andere Weltregionen verschleppt. Der Wissenschafter räumt freilich ein, dass es sich dabei um eine "komplexe Spekulation" handle, da es keine demografischen Daten Afrikas aus früheren Zeiten gebe.

Es sind oft überraschende Fakten, die Eckert zutagebefördert und die einen neuen Blick auf die Historie ermöglichen, anders als vom linearen Geschichtsunterricht in Erinnerung. Wer weiß etwa, dass es in Indien in der Mitte des 19. Jahrhunderts vermutlich mehr als acht Millionen einheimische Sklaven gab? Oder dass die Zahl der über den Indischen Ozean nach Osten verfrachteten Menschen jene des transatlantischen Sklavenhandels in Amerika übertraf? Obwohl im 18. Jahrhundert über 17.000 Sklavenfahrten über den Atlantik verzeichnet sind.

Etwas über elf Millionen Menschen wurden zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert aus Afrika nach Amerika verschleppt. Vermutlich eineinhalb Millionen Versklavte kamen bei der Überfahrt ums Leben. Die Seeleute entwickelten Techniken, um die brutale Kontrolle über die zusammengepferchten Verzweifelten zu behalten. Dieses Wissen konnten sie später als Aufseher auf Sklavenplantagen effizient anwenden.

Es war die Zeit, in der sich das Privileg der weißen Haut entwickelte. Allerdings waren nicht wenige afrikanische Machthaber in den Sklavenhandel mit den Europäern verstrickt. Ein weiteres Paradox der Geschichte ist die Tatsache, dass das Zeitalter der Aufklärung mit einer Hochblüte der Sklaverei einherging.

Sklaven auf einer Bauwollplantage in Georgia, circa 1850.
© Public domain / via Wikimedia Commons / Urheber unbekannt

Insbesondere die karibischen Inseln wurden stark von Sklaverei geprägt. Dorthin und nach Brasilien wurden im 19. Jahrhundert noch intensiv Menschen verschifft, während in den USA und in Großbritannien die Abschaffung der Sklaverei schon lange im Gange war. Der europäische Kolonialismus hat Sklaverei und Sklavenhandel dynamisiert: Zucker, Kaffee, Baumwolle - Rohstoffe, die untrennbar mit Sklaverei verbunden sind. Aufgrund des dadurch ermöglichten Welthandels gibt es wohl keine Ecke der Erde, die frei von Sklaverei wäre.

In den Kolonialreichen schufen Administratoren und Unternehmen nach dem offiziellen Ende der Sklaverei neue Wege zur Unterdrückung und Kontrolle der Arbeitenden. Und Andreas Eckert schlägt den Bogen vom Gestern ins Heute: Zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert wurden Afrikaner mit Zwang zur Plantagenarbeit nach Amerika verschifft, wobei viele bereits die Überfahrt nicht überlebten. Heute liege die Initiative bei den Afrikanern selbst, die auf der Suche nach Lohnarbeit das Mittelmeer überqueren, was nicht selten eine Reise in den Tod bedeute.

Zweiklassengesellschaft

Auf den Sklavenhandel folgte in Afrika der Kolonialismus, der ebenfalls bis heute verheerende Auswirkungen auf den Kontinent hat. "Die Tatsache, aus einer Sklavenfamilie zu stammen, kann in Afrika gesellschaftliche Nachteile haben." In vielen Gesellschaften sei auch jetzt noch eine gewisse Marginalisierung von Menschen zu beobachten, wenn es darum gehe, ob solche Personen Grundbesitz haben oder ein politisches Amt ausüben dürfen.

Sklaverei hat ihre Spuren in den Gesellschaften hinterlassen, Rassismus produziert und eine Zweiklassengesellschaft geschaffen. "Wenn man auf die Chancen der Afroamerikaner sieht, so wurde gerade im Corona-Kontext sehr deutlich, dass sie ein sehr viel größeres Risiko tragen, zu erkranken, und viel häufiger keine Krankenversicherung haben", sagt Eckert. "Es gibt eine Reihe von Zusammenhängen, und Sklaverei ist ein Faktor unter vielen, der auch zu erklären vermag, warum es eben diese Hierarchien und diesen Rassismus bis heute gibt."

In Afrika würden bereits erste Diskussionen darüber einsetzen. Aber nicht nur dort: Große Sklavenhandel-Häfen wie Liverpool, Bristol oder Nantes würden ihre Vergangenheit langsam aufarbeiten, sagt Eckert, sie würden sich mit dem dadurch erworbenen Reichtum, ihrer darauf fußenden Architektur beschäftigen.

Schlusslicht in der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit, was die Sklaverei betrifft, seien die Südstaaten der USA. Gerade in der Ära Trump habe das White-Supremacy-Denken wieder Oberwasser bekommen, sagt Eckert. Dennoch sei die Haltung im Land dazu ex-rem gespalten: Während viele Sklaverei noch positiv konnotierten, würden andere radikal kritisieren, wie wenig die Sklaverei problematisiert werde.

Andreas Eckert

Geschichte der Sklaverei

Von der Antike bis ins 21. Jahrhundert. Verlag C.H. Beck, München 2021, 128 S., 10,30 Euro.

Stefan May lebt als Jurist, Journalist und Autor in Berlin und Wien.