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Armselige Nachbarschaft

Von Christian Pinter

Reflexionen
Der helle Hundsstern Sirius überstrahlt seine Umgebung.
© Pinter

Glanzlichter wie Alpha Centauri oder Sirius sind rar in Sonnennähe. Hier dominieren Zwerge und Versager.


In unserem kosmischen Grätzl - wir stecken dessen Radius hier etwas willkürlich mit neun Lichtjahren ab - sind nur zwei Fixsterne hell genug für das unbewaffnete Auge. Bewohner unserer Breiten müssen sich mit dem Sirius begnügen, der an frühen Märzabenden recht tief in Südrichtung funkelt. Er gilt als hellster aller Fixsterne, doch das ist nur seinem geringen Erdabstand von 8,6 Lichtjahren geschuldet.

Im dritten Jahrtausend v. Chr. fiel sein alljährliches erstes Sichtbarwerden in der Morgendämmerung mit der für Ägypten lebensnotwendigen Nilflut zusammen. Daher genoss dieser Stern dort besondere Verehrung. Die Griechen zeichneten das Sternbild Großer Hund um ihn herum. Sie - und später die Römer - machten den Sirius für die Sommerhitze verantwortlich. Unser Begriff "Hundstage" erinnert an dieses Fehlurteil.

Je heißer das Antlitz eines Sterns, desto mehr Licht strahlt jeder Quadratmeter ins All. Mit 9.700 Grad Celsius an der Oberfläche (unsere Sonne ist 5.500 Grad Celsius heiß) und dem 1,7-fachen Sonnendurchmesser erzielt Sirius die 25-fache Leuchtkraft. Er raffte bei seiner Geburt die zweifache Sonnenmasse an sich. Neunzehnmal jünger, hat er das Milchstraßenzentrum wohl erst ein einziges Mal komplett umrundet.

Im Prinzip kreisen alle Sterne um das galaktische Zentrum, allerdings mit individuellen Eigenheiten. Im Straßenverkehr sticht uns der Ortswechsel naher Fahrzeuge rasch ins Auge. So auch am Himmel: Schnelle Eigenbewegung relativ zu den anderen Fixsternen ist ein Indiz für besondere Erdnähe. Sie verzerrt die alten Sternbilder im Laufe von vielen Jahrzehntausenden. Irgendwann lösen sie sich auf.

Sirius, der hellste Fixstern (links), steht zum Jahreswechsel genau im Süden.
© Pinter

Die Eigenbewegung der vorgeblichen "Fixsterne" fiel erstmals dem englischen Astronomen Edmond Halley auf. 1718 verglich er einen antiken Sternkatalog mit dem eines Zeitgenossen: Der Sirius hatte sich um einen ganzen Vollmonddurchmesser verschoben. Wie der Deutsche Friedrich Wilhelm Bessel 1844 bemerkte, zog er aber nicht geradlinig dahin, sondern in einer Schlangenlinie. Offenbar wurde sein Lauf rhythmisch von einem unentdeckt gebliebenen Begleiter gestört.

1862 erspähte der US-Instrumentenbauer Alvan Graham Clark diesen Störenfried beim Testen einer 47 cm weiten Teleskoplinse: Der neuentdeckte Sirius B erhielt den Spitznamen "Pup" (engl., Welpe). Er und der altvertraute helle Hundsstern Sirius A umrunden einander alle 50 Jahre, woraus sich die Massen ableiten lassen. Sirius B "wiegt" demnach so viel wie unsere Sonne.

Zwergstern Sirius B, eng neben Sirius A. Artefakte stammen von der speziellen Aufnahmetechnik.
© Pinter

1915 verriet die Spektralanalyse: Dieser "Welpe" ist zweieinhalbmal heißer als sein Partner - und trotzdem 10.000-mal lichtschwächer. Er muss also winzig sein. Sirius B zählt zu den Weißen Zwergsternen. Hier drängen sich etwa 330.000 Erdmassen in einer Kugel von Erdformat zusammen. Einst hätte er um vieles mehr als Sirius A auf die Waage gebracht. Doch dann blähte er sich auf und blies den Großteil seiner Materie ins All. Zurück blieb nur der freigelegte Sternenkern - also der einstige, nun aber inaktive Fusionsreaktor. Weiße Zwerge wie Sirius B sind Sternleichen, unfassbar dicht gepackte Kugeln aus Sauerstoff und Kohlenstoff. Sie kühlen im Laufe von Jahrmilliarden aus.

Theoretisch wäre Sirius B ein leichtes Fernglasobjekt. Doch Sirius A überstrahlt ihn dramatisch. Mit Amateurteleskopen beißt man sich hier meist die Zähne aus. Schade, denn Sirius B gestattet einen Blick in die Zukunft: Unsere Sonne mutiert in etwa sechs Milliarden Jahren zu einem Weißen Zwerg.

Um den anderen freisichtigen Nachbarn zu erblicken, muss man etwa nach Miami reisen. Erst südlich des 29. nördlichen Breitenkreises bietet sich eine Chance, den hellsten Lichtpunkt im Sternbild des Kentauren selbst zu sehen. Der deutsche Jurist Johannes Bayer schenkte ihm 1603 den Namen Alpha Centauri. Jean Richaud richtete 1689 von Indien aus ein Fernrohr darauf und sah ihn doppelt; Alpha Centauri besteht aus zwei Sonnen. Sie umkreisen einander im Lauf von 80 Jahren. Beide sind knapp 4,4 Lichtjahre von uns entfernt.

Gemeinsam strahlen sie doppelt so viel Licht in den Raum wie unsere Sonne - Sternpartner A etwas mehr, Sternpartner B etwas weniger. 1915 stieß der gebürtige Schotte Robert Innes in weitem Abstand zu diesem Paar auf ein drittes Sternchen: Das geizt allerdings mit Licht, ist bloß im Fernrohr zu erspähen. Dennoch steht es uns mit 4,24 Lichtjahren Abstand noch eine Spur näher als die beiden anderen Sterne des Alpha-Centauri-Systems. Um das helle Duo zu umrunden, braucht das Sternchen 600.000 Jahre.

Robert Innes taufte diese schwache Sonne "Proxima" (lat., "die Nächste"). Sie ist ein Roter Zwergstern mit einem Siebentel des Sonnendurchmessers und einer Temperatur von bloß 2.800 Grad Celsius. Selbst der Leuchtfaden einer grellen Glühbirne ist heißer. Vor sechs Jahren wies man einen Planeten um Proxima nach, der nicht viel größer und älter ist als unsere Erde. Er absolviert eine komplette Sternumrundung in bloß elf Erdtagen. Deshalb wird auch seine Rotation um die eigene Achse von Proxima manipuliert.

Pfeilschneller Eilmarsch

Im schlimmsten Fall hält ihr dieser Planet nun stets die selbe Seite hin. Die sternabgewandte Hemisphäre läge dann in ewiger, eisiger Dunkelheit: Eine etwaige Atmosphäre erstarrte dort zu Eis. Es sei denn, sie wäre dicht, zirkulierte um den Planeten und sorgte so für Temperaturausgleich. Mancherorts könnte dann flüssiges Wasser existieren, denn auf der Tagseite ist es dank der sehr geringen Distanz zur Zwergsonne ausreichend warm.

Bloße Spekulation: Wie sieht es auf dem gemäßigsten der drei Proxima-Planeten aus?
© Grafik: Pinter

Sterne mit weniger als einem Drittel der Sonnenmasse sind durch und durch konvektiv. Es brodelt darin wie im Kochtopf. Vom Kern weg steigt heißes Plasma bis an die Oberfläche auf. So entstehen gewaltige, lokale Magnetfelder, die sich immer wieder in gewaltigen Strahlungsausbrüchen entladen. Proximas Glanz steigt dann plötzlich an: Der Stern flackert gewissermaßen. Aber auch harte UV- und Röntgenstrahlung wird freigesetzt. Ein Planet, der so respektlos nah über der Oberfläche eines Flackersterns dahinzieht, wäre ihr gnadenlos ausgeliefert. Die Moleküle seiner Atmosphäre würden womöglich aufgebrochen, leichtere Elemente ins All befördert. Zurück bliebe eine sterile öde Steinwüste. Das trifft mit Sicherheit auf eine weitere, gerade erst entdeckte Welt zu, die Proxima alle fünf Tage und damit auf äußerst enger Bahn umrundet. Der dritte, äußerste Proxima-Planet braucht hingegen fünf Jahre für den Umlauf: Dort ist es unvorstellbar kalt.

Rote Zwerge bekamen bei ihrer Entstehung bloß die Hälfte bis ein Dreizehntel jener Materialmenge mit, die unsere Sonne an sich riss. Das reicht aber, um im Innersten Wasserstoff in Helium zu verwandeln und dabei Energie zu erzeugen. Drei Viertel aller Sterne sind solch lichtschwache Gnome. Aus unserer Perspektive zeigt sich kein einziger dem freien Auge. Man muss zu Fernglas oder Fernrohr greifen. Darin sind diese Zwerge freilich nicht rot wie Paradeiser, sondern präsentieren einen pastellartigen, leicht orangefarbenen Teint.

Das gilt auch für Barnards Pfeilstern, von dem uns sechs Lichtjahre trennen. Erst 2.300 Objekte seines Schlags würden so viel Licht ins All strahlen wie unsere eigene Sonne. Dem US-Astronomen Edward Emerson Barnard fiel 1916 die "pfeilschnelle" Bewegung dieses Lichtpünktchens im Sternbild Schlangenträger auf: ein Vollmonddurchmesser in 170 Jahren. Mit einem langbrennweitigen Teleskop und einer Digitalkamera weisen Amateurastronomen diesen Eilmarsch heute schon nach wenigen Monaten nach.

Luyten 726-8: ein Rotes Zwergenpaar in neun Lichtjahren Erddistanz.
© Pinter

Der Heidelberger Max Wolf bannte den Sternenhimmel noch auf Glasplatten. Als er Aufnahmen der Jahre 1901 und 1911 miteinander verglich, wurde er auf ein flinkes, äußerst schwaches Objekt im Sternbild Löwe aufmerksam: Wolf 359 ist knapp 7,9 Lichtjahre entfernt. Er gehört zu den kleinsten der Roten Zwerge. Mit einem Elftel der Sonnenmasse gelingt ihm das Wasserstoffbrennen gerade noch. Der 8,3 Lichtjahre entfernte Lalande 21185 besitzt hingegen vier Zehntel des Sonnendurchmessers und ist gewissermaßen ein "König" im roten Zwergenreich. Nichts von all dem wusste Jérôme Lalande, als er ihn 1801 mit einem Teleskop des Pariser Observatoriums im Großen Bären aufstöberte. In knapp neun Lichtjahren Abstand stieß der auf Java geborene Willem Jacob Luyten 1948 auf ein schwaches Sternchen: Luyten 726-8 besteht aus zwei Roten Zwergen, die umeinander tanzen.

Kosmische Fehlzündung

Unter einem Dreizehntel der Sonnenmasse setzt die Fusion von Wasserstoff zu Helium gar nicht erst ein. Solche Objekte können bloß Deuterium als Brennstoff nützen. Dieses Wasserstoff-Isotop ist allerdings rar. Es erschöpft sich nach wenigen Millionen Jahren. Die US-Astronomin Jill Tarter prägte 1975 in ihrer Dissertation den Namen "Braune Zwerge" für solche kosmischen Versager. Zwei Jahrzehnte später wies man sie erstmals nach. Diese "gescheiterten" oder "misslungenen" Sterne füllen die Lücke zwischen den kleinsten Roten Zwergsonnen und den größten Gasplaneten. An ihren Oberflächen herrschen meist nur Küchen- bis Backofentemperaturen. Könnten wir Braune Zwerge sehen, zeigten sie einen purpur- bis magentafarbenen Teint.

2013 gab Kevin Luhman die Entdeckung von zwei Braunen Zwergen in 6,5 Lichtjahren Erdabstand bekannt. Sie besitzen jeweils drei Prozent der Sonnenmasse und umkreisen einander. Das Tanzpaar wird Luhman 16 AB genannt. Im selben Jahr spürte dieser US-Astronom ein 7,4 Lichtjahre entferntes Objekt im Sternbild Wasserschlange auf: Die Oberfläche von WISE 0855 ist kalt wie Sankt Petersburg im Winter.

Um die erwähnte Deuteriumheizung anzuwerfen und sich als Brauner Zwerg zu qualifizieren, braucht es wenigstens ein Achtzigstel der Sonnenmasse. WISE 0855 besitzt aber nicht einmal ein Hundertstel. Vielleicht ist das ein frei schwebender Planet, der vor Milliarden Jahren aus einem Sternsystem herausgeschleudert wurde. Die pechschwarze Kugel zieht heute jedenfalls mutterseelenallein durch unser kosmisches Grätzl.

Christian Pinter, geboren 1959 in Wien, schreibt seit 1991 über Astronomie im "extra". Im Internet: www.himmelszelt.at