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Das Schlafzimmer als Tonstudio

Von Christian Pinter

Reflexionen
Die Software einer Digital Audio Workstation (DAW) - in diesem Fall Reaper - verwandelt den schnellen Heimcomputer in ein Musikstudio.
© Pinter

In den 40 Jahren nach Bruce Springsteens Album "Nebraska" ist Homerecording zum beliebten Hobby geworden.


Colts Neck, New Jersey, 1982: Bruce Springsteen hat mit der E Street Band bereits mehrere epochale Studioalben aufgenommen - "Born To Run" (1975), "Darkness On The Edge Of Town" (1978) oder die Doppel-LP "The River" (1980). Er gilt als prominenter Vertreter des Heartland Rock, einer Melange aus Folk-, Country- und Rockmusik. Die Texte widmen sich Träumen oder Erlebnissen von Menschen der "Unterschicht" und der Blue-collar workers: Arbeiter stellen einen erheblichen Anteil der US-Bevölkerung und sind stark vom Niedergang der Schwerindustrie betroffen.

Springsteen schreibt Lieder, die von Arbeitslosigkeit, Desillusionierung, Niederlagen und persönlichen Fluchtversuchen erzählen. Aber auch hymnische Songs voller Energie - wie "Tenth Avenue Freeze-Out" oder später "Dancing In The Dark".

Der Solist als Quartett

Studiozeit ist kostbar. Musikalische Ideen wollen daheim rasch aufgezeichnet werden. Oft nutzen Künstler dazu schwere Tonbandmaschinen oder simple Mono- bzw. Stereo-Kassettenrekorder. Bruce Springsteen ersucht seinen Gitarrentechniker Mike Batlan, ihm eine einfach zu bedienende Bandmaschine zu beschaffen. Ein lokaler Musikhändler verkauft ihm das TEAC 144: Dieser kleine Kassettenrekorder ist seit 1979 auf dem Markt und der erste, der gleich vier Tonspuren mit den allseits bekannten Kompaktkassetten aufnimmt.

TEAC 144: Bruce Springsteen verwendete ein solches Gerät für "Nebraska".
© TEAC-TASCAM

Im Prinzip zeichnen ja auch normale Kassettendecks vier Spuren auf: zwei, weil in Stereo; zwei weitere, wenn man die Kassette wendet. Doch dank seines vierspaltigen Tonkopfs spricht das TEAC 144 diese Spuren sowohl einzeln als auch gemeinsam an. Man kann zum Beispiel eine Spur abhören und im selben Moment eine weitere aufnehmen. So lassen sich bis zu vier Instrumente nacheinander festhalten, um sie dann gleichzeitig abzuspielen. Der Solist mutiert zum Quartett.

Mischt man drei fertige Spuren auf die vierte ab, mag man sogar drei weitere Instrumente auf den nun frei gewordenen Tracks hinzufügen. Dieses Track Bouncing lässt sich fortsetzen. Es verwandelt den Musiker auf Wunsch in ein ganzes Orchester, das allerdings mit zunehmendem Bandrauschen zu kämpfen hat. Wenden sollte man die bespielte Kassette nicht; denn dann würden alle Spuren rückwärts laufen.

Mit dem TEAC 144 richtet Batlan ein improvisiertes Tonstudio im Schlafzimmer von Bruce Springsteens Haus ein. Nur ein paar Kilometer davon entfernt ist der Musiker 1949 geboren worden und auch aufgewachsen. In einer Jännernacht des Jahres 1982 nimmt er gleich 15 Songs mit dem Vierspurrekorder auf. Zu akustischer Gitarre und Gesang fügt er elektrische Gitarre, Tamburin, Mundharmonika oder Glockenspiel hinzu. Die beiden Shure-M57-Mikrofone leisten ihm gute Dienste. Sie werden seit 1965 produziert. David Bowie, Tom Waits, Peter Gabriel oder John Lennon haben bzw. hatten sie damals im Einsatz. Auch jeder US-Präsident seit Lyndon B. Johnson soll sie benutzt haben.

Springsteens Aufnahmen dienen als Demo für seine E Street Band, die sich im April 1982 in einem New Yorker Studio trifft. Sie spielt mehrere Lieder davon ein. Ein Teil dieser Teamarbeit findet zwei Jahre später Eingang in das Album "Born In The U.S.A.". Etliche der mit dem 4-Track-Recorder aufgenommenen Balladen verlieren mit zunehmender Instrumentierung jedoch an Wirkung. Der Gitarrist Steve Van Zandt schlägt vor, sie lieber in der ursprünglichen Demofassung herauszubringen.

Filme im Kopf

Doch das ist schwierig. Springsteen und Batlan hatten die vier Spuren schon auf Stereo-Kassette abgemischt: und zwar mit einem Panasonic-Radiorekorder, der nach einer Kanufahrt sogar eine Zeit lang im Fluss gelegen war. Die Kassette ist stellenweise übersteuert und hörbar verrauscht. Mehrere Mastering-Studios mühen sich damit ab. Man überlegt, das Werk ebenfalls nur auf Kompaktkassette zu veröffentlichen. Doch dann entscheidet man sich doch für die qualitativ bessere Langspielplatte. Die Musik-CD steckt damals noch in den Kinderschuhen.

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So überrascht Bruce Springsteen seine Fans im September 1982 mit einer Solo-LP: "Nebraska"versammelt dunkle, spärlich instrumentierte Songs, die im Kopf des Zuhörers Filme entstehen lassen. Sie erzählen von Verbrechern und von Verzweifelten, von der Kluft zwischen Arm und Reich, von der Sehnsucht nach einem besseren Leben und nach Geborgenheit. Die LP "Nebraska" erreicht nicht ganz den Erfolg der Alben davor und danach. Sie ist aber äußerst einflussreich. 18 Jahre nach ihrem Erscheinen nehmen mehrere andere berühmte Musiker, darunter Chrissie Hynde und Johnny Cash, ein Tribute-Album mit Coverversionen auf: "Badlands - A Tribute To Bruce Springsteen’s Nebraska".

Nach dem TEAC 144 von TASCAM stellen bald weitere Firmen Vierspur-Kassettenrekorder vor, darunter Fostex, Akai, Yamaha oder Marantz: Dank fallender Preise nimmt das Homerecording damals einen gewaltigen Aufschwung. Die Digitalisierung ermöglicht schließlich den Bau von Achtspurgeräten mit Festplatte und jeder Menge eingebauter Effekte. Das TASCAM 32SD zeichnet heute sogar 32 Spuren auf SD-Karte auf. Egal ob Sprache, Gesang oder Instrumentalmusik: Für wenig Geld kann sich jeder als Bedroom Producer versuchen.

Poppschutz empfohlen

Das Mikrofon heißt liebevoll "Mic". Man hält 5 bis 30 Zentimeter Abstand dazu. Allerdings wird der Gesang von Schallreflexionen am Boden und am Plafond, an Wänden, Fenstern oder Spiegeln des Heimstudios getrübt. Umso leerer das Zimmer und umso glatter dessen Flächen, desto störender wird der Raumschall. Das klingt unprofessionell. Trotzdem will nicht jeder sein Schlafzimmer mit Akustikschaumstoff tapezieren oder es mit einer speziellen Gesangskabine bestücken. Ein Glück, dass Textiles den Raumschall dämpft! Deshalb versprechen Teppiche, Vorhänge und Decken Linderung. Man kann sich beim Singen aber auch vor den geöffneten, voll behangenen Kleiderschrank stellen.

Ein Poppschutz empfiehlt sich für Sprache und Gesang.
© Pinter

In den 1950er Jahren war die Nierenform beliebt, etwa bei Tischen oder Pools. Bei der Richtcharakteristik von Mikrofonen ist sie es noch heute. Der Zusatz "Niere" verrät hier: Wenigstens von hinten dringt da wenig Raumschall ins Mic ein. Oft hilft es auch, besonders dicht an den Schallwandler heranzutreten. Das begünstigt außerdem die tiefen Frequenzanteile der Stimme und schafft den intim anmutenden Naheffekt.

Zielt das Mic direkt auf den Mund, knackt es bei Plosivlauten wie "k", "p" und "t" allerdings stark. Solche Laute "poppen" auf der Aufnahme. Ein direkt vor dem Mic montierter Poppschutz verhindert das. Er ähnelt einem Nylonstrumpf, der über eine weite Drahtschlaufe gespannt wurde. Ein übers Mic gestülpter Windschutz aus Schaumstoff hilft dagegen wenig. Die Plosivlaute zielen etwas nach unten und damit auch auf den Mikrofonschaft. Deshalb hängt man die Mics gern kopfüber auf. Mic-Stative mit Ausleger werden noch immer recht unsensibel "Mikrofongalgen" genannt.

Anderen Sprach- und Gesangsproblemen rückt man mit Effektgeräten zu Leibe. So mindert der DeClicker nicht nur Klick-, sondern auch Schmatzgeräusche. Der DeEsser nimmt Zischlauten wie "ss", "sch", "z" und "tz" die Schärfe. Der Expander dient nicht der körperlichen Ertüchtigung des Künstlers; er dämpft vielmehr Signale, die unter einer einstellbaren Lautstärkegrenze liegen - etwa Atemgeräusche.

Auch wenn der Name anderes suggeriert: Der Kompressor hebt leisere Passagen hervor. Dazu presst er die kräftigen Signale über einer wählbaren Schwelle zusammen - bei Gesang beispielsweise im Verhältnis 4 zu 1. Erst danach dreht er das Signal lauter. Die Stimme erhält so letztlich mehr Durchsetzungskraft. Der Exciter verzerrt das Signal im hohen Frequenzbereich und gebiert so neue Obertöne: Sie steigern die Sprachverständlichkeit.

Komplexe Rechenarbeit

Dynamische Mikrofone, dazu zählen auch die beiden von Springsteen benutzten Shure M57, arbeiten wie "Mini-Dynamos": Sie erzeugen tatsächlich Strom aus Schall. Hingegen müssen Kondensatormikrophone von außen mit Energie versorgt werden. Diese Phantomspeisung ist, wie der Kabarettist Günther "Gunkl" Paal einmal anmerkte, "keine Fütterung halbmanifester Wesensheiten". Vielmehr fließt hier Strom durch das Mikrofonkabel selbst in den Schallwandler. In manche Mics lassen sich stattdessen Batterien einlegen. Doch die erhöhen, falls nicht mehr ganz frisch, das Rauschen.

Bei Gitarren zieht man rechtzeitig vor der Aufnahme neue Saiten auf. Der Klang der Akustikgitarre wird mit Tonabnehmern unterschiedlicher Bauart oder ebenfalls mit dem Mic eingefangen. Der massive Korpus der E-Gitarre bewegt zu wenig Luft. Zum Glück produziert die schwingende Stahlsaite eine Wechselspannung in den Spulen der am Korpus montierten Pickups. Leitet man dieses Zehntelvolt direkt in den Rekorder, ist der Klang steril. Oft favorisiert man daher ein antiquiert anmutendes Verfahren: die Verstärkermikrofonierung.

E-Gitarren nimmt man mit dem Mic vor dem Lautsprecher auf.
© Pinter

Manch älterer Leser hat in jungen Jahren vielleicht die eine oder andere ausgeborgte Langspielplatte behelfsmäßig "kopiert" - mit Mikrofon und Kassettenrekorder vor dem Lautsprecher des elterlichen Plattenspielers. Ähnlich macht man es bei E-Gitarren. Deren Klang wird nämlich vom (oft noch mit Röhren bestückten) Verstärker und dem daran angeschlossenen Lautsprecher mitgeprägt. Um ihn einzufangen, richtet man ein Mikrofon auf die schwingende Lautsprechermembran.

Wer keinen Mehrspurrekorder anschaffen möchte, baut den Heim-Computer in eine Digital Audio Workstation (DAW) um. Der PC muss aber flink sein. Während man bei der Fotobearbeitung ein paar Augenblicke auf die Vollendung der Bildmanipulation warten kann, erfordert das Musizieren komplexe Rechenarbeit in Echtzeit. Programme wie Reaper, Pro Tools, Cubase oder Studio One bilden Studiomischpulte samt Aufnahmegerätschaft nach. Die DAW-Software stellt außerdem etliche virtuelle Instrumente und Effektgeräte bereit. Was noch fehlt, lässt sich zumeist mittels Plugins anderer Entwickler nachrüsten.

MIDI-Technik

Im Monat, bevor "Nebraska" herauskam, wurde der MIDI-Standard eingeführt. Genormt hat man damit aber nicht die Rocklänge der Musizierenden, sondern den Datenaustausch zwischen ihren Instrumenten. Beim Konzertflügel überträgt ein mechanisches Spielwerk den Anschlag auf den Hammer. Bei einem aufgeschraubten elektronischen Keyboard fände man hingegen bloß Kontakte und Kabel zwischen Klaviatur und Tonerzeugung. Nichts lag also näher, als die hier fließenden Ströme verbindlich zu kodieren und die Signale nach außen zu leiten.

Dank der MIDI-Technik steuert ein Keyboard seither auf Wunsch auch elektronische Instrumente anderer Hersteller, Synthesizer inklusive. Der Musiker herrscht über virtuelle Streicher, Trompeter und Chöre aus unterschiedlichsten Quellen - mitunter ein berauschendes Gefühl! Gerät das Orchester außer Kontrolle, beendet der MIDI-Panikschalter den Spuk.

Wer sein Keyboard nicht immer wieder quer durch die Wohnung tragen möchte, stellt gleich einen MIDI-Controller vor den PC-Monitor. Mitunter schauen solche Eingabegeräte aus wie abgesägte Klaviaturen für zu schmal geratene Hände. Per USB angeschlossen, senden sie jedenfalls MIDI-Daten an die DAW-Software. Man mag die gespielten Noten anschließend noch am Bildschirm verändern - in Abfolge, Lautstärke, Tonhöhe oder Dauer. Das geht fast so einfach, als korrigierte man Manuskripte im Texteditor. War das Spiel allzu taktlos, richtet die Software die Noten rhythmisch korrekt aus. War das Spiel zu perfekt, baut sie "menschliche" Fehler ein.

"Kuhschwanzregler"

Bruce Springsteen setzte damals zusätzlich ein altes Gibson Echoplex ein. Bei solchen Bandhallgeräten wurde das Signal von einem Sprechkopf auf ein Endlosmagnetband gespielt. Nachfolgende Wiedergabeköpfe nahmen es ab. Der Abstand der Köpfe und die Bandgeschwindigkeit regelten die Dauer der Verzögerungen. Heute werden Nachhall (Hall, engl.: Reverb) und Widerhall (Echo, engl.: Delay) fast immer digital erzeugt. Gekonnt gewählt, erhält die Stimme damit Breite und Charakter. Falsch angewandt, klingt sie hingegen wie beim Karaoke.

Beim Abmischen der aufgenommenen Spuren bildet man gern räumlich anmutende Szenerien nach. Der tonangebende Gesang bleibt meist in der Mitte, andere Instrumente werden mit den Panoramareglern links oder rechts davon angeordnet. Was scheinbar vorne stehen soll, behält einen hellen Klang. Dumpfes, gepaart mit Hall oder Echo, gaukelt räumliche Tiefe vor. Vorsicht ist bei Duetten geboten: Eine hohe Frauenstimme deckt bei gleicher Lautstärke die tiefere Männerstimme zu.

Das TEAC 144 brachte zwei "Kuhschwanzregler" pro Spur mit: Diese dämpften, ganz ähnlich wie bei der vertrauten Stereo-Anlage, pauschal Höhen oder Tiefen. Der heute im Heimstudio verbaute Klangregler, der Equalizer, ist drei- bis dreißigbandig. Damit stimmt man die Frequenzanteile von Instrumenten oder Stimmen wesentlich feiner aufeinander ab.

Unendlich & limitiert

"Nebraska"-Albumcover.
© Sony Music

Die heimische HiFi-Anlage eignet sich nur bedingt, den Mix zu überwachen. Musiker ziehen aktive Lautsprecherboxen mit möglichst linearem, unverfälschtem Frequenzgang vor. Sie sprechen hier gelegentlich von "Abhöranlagen" - auch fern jeder geheimdienstlichen Nebentätigkeit.

Das Homerecording bietet heute schier unendliche Möglichkeiten. Ein limitierender Faktor bleibt jedoch: die eigene musikalische Genialität. Bruce Springsteen bewies sie im Überfluss. Selbst die 1982 im Schlafzimmer verwendete, spartanische und unvollkommene Aufnahmetechnik trübte den Erfolg seiner Arbeit nicht. Sie trug vielmehr zur intimen, unverfälschten Stimmung des Albums "Nebraska" bei, das bis heute legendär ist.

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Christian Pinter, geboren 1959, arbeitet als freier Wissenschaftsjournalist in Wien. Er schreibt seit 1991 im "extra", zumeist über Astronomie und Raumfahrt. Im Internet: www.himmelszelt.at