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Der Entdecker der Perkussion

Von Brigitte Biwald

Reflexionen
Leopold Auenbrugger (1722-1809) mit Ehefrau Marianne von Priesterberg und einer aufgeschlagenen Ausgabe seines Hauptwerkes "Inventum novum".
© Bettmann Archive

Der am 19. November vor 300 Jahren geborene österreichische Mediziner fand erst spät Anerkennung - trotz Pionierleistungen.


Lange Zeit wurde er nicht ernst genommen: Der geniale Arzt Leopold Auenbrugger gilt mit seiner Entdeckung der Perkussion als Wegbereiter der physikalischen Diagnostik, die als klinische Basisuntersuchung auch im "Zeitalter der Apparatemedizin" ihre Bedeutung behalten hat.

Leopold Schönbauer, bekannter und wegen seiner NS-Vergangenheit umstrittener Chirurg, hat in den 1940er Jahren eine beeindruckende Abhandlung über Wiens Medizingeschichte vorgelegt. In dieser ist auch Leopold Auenbrugger ein Kapitel gewidmet. Schönbauers Buch zählt bis heute zu den Standardwerken der Medizingeschichte.

Für die umfangreiche und zeitraubende Quellenforschung dankt er, in der zweiten Auflage, seiner Privatassistentin, der jüdischen Ärztin Marlene Jantsch. Schönbauer wundert sich eingangs, dass Gerard van Swieten, Auenbruggers Lehrer, seinen Schüler nicht beachtete. Er schreibt: "Merkwürdigerweise hat Gerard Van Swietens stark entwickelter Sinn für außergewöhnliche Mediziner bei seinem einstigen Schüler, Johann Leopold Augenbrugger, einem der wichtigsten Ärzte seiner Zeit, völlig versagt." Diese Fehleinschätzung van Swietens führte dazu, dass Auenbrugger viele Jahre warten musste, bis seine Methode des Abklopfens im Brustbereich allgemeine Anerkennung fand.

Versuche an Leichen

Von 1751 bis 1762 arbeitete Auenbrugger als Sekundar- und dann als Primararzt am sogenannten Spanischen Spital in Wien, das von 1718 bis 1785 bestand. Dort "perkutierte" er jahrelang mit seinen Fingerspitzen den Brustkorb seiner Patientinnen und Patienten. Das unterschiedliche "Echo" der einzelnen Brustkorbsektionen wusste er zu deuten. Die Erfahrung und erste Erkenntnisse sammelte er im Rahmen von Klopfversuchen an Leichen, wobei er verschiedentlich Wasser in den Brustkorb injizierte. Damit gilt er als Erfinder der "Perkussion" als Diagnosehilfe.

Um nun diese Erkenntnis der Entdeckung von Brustkrankheiten durch Perkussion (Schlag, Stoß) voranzutreiben, entschloss sich der 39-jährige Auenbrugger, im Jahr 1761 mit einer Arbeit in lateinischer Sprache an die Öffentlichkeit zu treten: "Inventum novum ex percussione thoracis humani ut signo abstrusos interni pectoris morbos detegendi" ("Neue Erfindung mittels Anschlagens an den menschlichen Brustkorb, als ein Zeichen, um verborgene Brust-Krankheiten zu entdecken"). Doch Auenbrugger war nicht der Einzige, der sich mit der pathologischen Anatomie auseinandersetzte.

Der umstrittene Chirurg Leopold Schönbauer notierte: "Merkwürdigerweise hat Gerard Van Swietens stark entwickelter Sinn für außergewöhnliche Mediziner bei seinem einstigen Schüler, Johann Leopold Augenbrugger (...), völlig versagt."
© GuentherZ, CC BY 3.0 via Wikimedia Commons

Im Jahre seiner Veröffentlichung erschien in Venedig ein Werk des fast 80-jährigen Professors Giovanni Morgagni, der sich mit ähnlichen Themen befasste. In Wien wurden diese Forschungen zunächst nicht beachtet. Erst der Schweizer Arzt Albrecht von Haller referierte nach dem Erscheinen von "Inventum novum" in den "Göttingischen gelehrten Anzeigen" über die neue Methode und meinte, dass diese "aller Aufmerksamkeit würdig sei".

Der ersten Auflage von "Inventum novum" folgte schon 1764 die zweite. Die Schrift wurde also gelesen. 1770 übersetzte Rogiéres de la Chassagnac sie ins Französische, allerdings mit der Bemerkung, dass er die seltsame Methode nicht praktisch erproben wolle. An der Universität Erlangen trat der in Wien geborene Mediziner Jacob Friedrich Isenflamm mit seiner Schrift aus dem Jahr 1762, "Versuch von denen Ursachen der gegenwärtig allgemeinen Brustkrankheiten", für Auenbruggers Methode ein. In Leipzig bezeichnete 1763 Christian G. Ludwig diese als "eine Fackel, die Licht in die Finsternis der Brustkrankheiten bringen werde".

Aber nicht nur van Swieten, sondern auch sein Kollege und einstiger Studienkollege Anton de Haen, Leiter der Ersten Wiener medizinischen Klinik der Universität Wien, ignorierte Auenbruggers Methode der Perkussion, obwohl deren Ergebnisse pathologisch-anatomisch geprüft worden waren. Erst sein Nachfolger Maximilian Stoll arbeitete erfolgreich mit Leopold Auenbrugger zusammen und wandte seine Methode auch im Unterricht am Krankenbett an. Nach dem frühen Tod des bekannten und beliebten Professors der Medizin im Alter von 45 Jahren geriet die Perkussion ab 1787 jedoch wieder in Vergessenheit.

Im Jahr 1808 erlebte der 86-jährige Auenbrugger doch noch den Durchbruch seiner Methode. Jean-Nicolas Corvisart des Marets, Napoleons Leibarzt, hatte von der Perkussion durch ein Buch Maximilian Stolls erfahren und sie an seiner Klinik ausprobiert. 1808 ließ er eine französische Übersetzung von Auenbruggers "Inventum novum" anfertigen und fügte dieser einen Kommentar hinzu, in dem er einschlägige Fälle beschrieb. In 20-jähriger Prüfung hatte Corvisart die neue physikalische Diagnostik der Brustkrankheiten als gut befunden und diese ergänzt. Er würdigte Auenbruggers "Schöpfung und Verdienst", wobei er darauf hinwies, wie leicht es gewesen wäre, die verschollen gewesene Perkussionslehre in einer neuen Bearbeitung als sein geistiges Eigentum auszugeben.

Ablehnendes Verhalten

Erst 1843 erschien Auenbruggers Buch in deutscher Sprache mit einer Einleitung Josef Škodas, der feststellte, "daß Auenbrugger mit dem vollsten Rechte den Ruhm verdient, als der Gründer der neuen Diagnostik angesehen zu werden". Škoda entwickelte die Untersuchungsmethoden der Perkussion und Auskultation (abhorchen) weiter und erforschte deren physikalische Grundlagen sowie die Zusammenhänge mit den pathologisch-anatomischen Verhältnissen bei Patienten.

Die Hauptschuld dieser jahrzehntelangen Verzögerung der Anerkennung der Methode Augenbruggers tragen nach Schönbauers Meinung van Swieten und de Haen, "die beide", so Schönbauer, "Lehrer Auenbruggers gewesen waren, ohne sich jedoch dadurch auch nur zu der oberflächlichsten Prüfung seiner Entdeckung veranlasst zu sehen".

Leopold Auenbruggers Lehrer Gerard Van Swieten als Büste von Franz Xaver Messerschmidt im Kunsthistorischen Museum in Wien.
© U.Name.Me, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

In den sogenannten "Kommentaren" van Swietens behandeln die 1764 und 1772 erschienenen Bände unter anderem die Lungenschwindsucht und Brustwassersucht, ohne die Perkussion auch nur zu erwähnen. Ebenso hat sie de Haen in keiner seiner Veröffentlichungen besprochen. "Dieses ablehnende Verhalten ist umso sonderbarer", so Schönbauer, "als Auenbrugger der naturbeobachtenden hippokratischen Schule, mithin den Lehrern Boerhaves und seiner beiden Apostel Van Swieten und de Haen entsprochen und seine klinischen Befunde überdies pathologisch-anatomisch erhärtet hat".

Im Istituto Ortopedico Rizzoli in Bologna hängt ein beeindruckendes Ölgemälde, das Leopold Auenbrugger und seine Frau Marianne von Priesterberg zeigt. Auf diesem Bild hält Leopold Auenbrugger sein berühmtes Werk "Inventum novum" mit aufgeschlagenem Titelbild in seiner linken Hand.

Auenbruggers Lebensweg beschrieb der Grazer Apotheker Bernd E. Mader: Am 19. November 1722 wurde "Joannes Leopoldus, ehelicher Sohn des Herrn Sebastian Aunbrukher, bürgerlicher Gastgeb und der Maria Theresia uxor eius nata Koschutnikhin, morgens 8 Uhr geboren". An Auenbruggers Grazer Geburtshaus in der Griesgasse 2 befindet sich eine kleine Gedenktafel, die daran erinnert.

Auenbrugger hatte sechs Geschwister. Sein Vater, Sebastian Auenbrugger, führte das bekannte und beliebte Gasthaus "Zum Mohrenwirt". Dieses befand sich an der Adresse Südtirolerplatz 5 / Griesgasse 2. Es könnte möglich sein, dass Leopold bereits als Kind seinem Vater im Wirtshaus half und so lernte, im Keller die Füllung von Weinfässern durch Klopfen an die Fasswand abzuschätzen. Eine Erfahrung, die ihm später, als Arzt, hilfreich gewesen sein könnte.

Nach dem Tod seines Vaters und seiner Schwester begann 1743 der wirtschaftliche Abstieg der Familie, der einige Jahre später in einem Konkurs endete. Sebastian Auenbrugger ließ seinem Sohn eine gediegene Ausbildung zukommen: Leopold besuchte das Jesuitengymnasium und absolvierte in Wien ein Medizinstudium. Zu dieser Zeit war durch das Wirken Gerard van Swietens der hervorragende Ruf der Ersten Wiener Medizinischen Schule begründet worden. Im Todesjahr seines Vaters war Leopold 21 Jahre alt. Er blieb in Wien und hatte keinerlei finanzielle Unterstützung zu erwarten.

Im Dreifaltigkeitsspital war er 1746 als Alumnus eingeschrieben. Mit Hilfe eines Stipendiums promovierte er im November 1752. Seine erste Anstellung fand Auenbrugger im Spanischen Militärspital in der Waisenhausgasse, wo er ab 1751 als unbesoldet, ab 1755 als besoldeter Sekundararzt tätig war. 1758 wurde er dort Primararzt. Im Jahr 1754 heiratete der 32-Jährige Marianne von Priesterberg, sechs Jahre später eröffnete er eine Privatpraxis.

Ein Musikliebhaber

Leopold Auenbrugger beschäftigte sich auch mit anderen medizinischen Problemen. Regentin Maria Theresia, die nur die besten Ärzte um sich scharte, ernannte ihn 1762 zum Hofarzt. Im selben Jahr hatte Auenbrugger auch eine Arbeit über die Lungenkrankheiten der Steinbrucharbeiter veröffentlicht. 17 Jahre später erschien in Wien die Schrift "Heilart der epidemischen Ruhr im Jahre 1779".

Weniger bekannt ist, dass sich Auenbrugger auch mit psychischen Krankheiten auseinandersetzte und darüber publizierte. Kaiser Joseph II. verlieh ihm im Februar 1784 den Titel "Edler von Auenbrugg". Im Jahr 1796, als 74-Jähriger, wurde er von der medizinischen Fakultät als Prüfer bei Rigorosen zugezogen.

Eine Gedenktafel erinnert am Neuen Markt in Wien an Leopold Auenbrugger.
© Viennpixelart, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Der Familienvater Leopold Auenbrugger beschäftige sich gerne mit Musik. Er veranstaltete in seinem Wiener Haus beliebte Musikmatineen, an denen auch Haydn und Mozart teilnahmen. 1774 war er Antonio Salieris Trauzeuge und verfasste zu dessen Singspiel "Der Rauchfangkehrer" ein Textbuch, das aber von Mozart kritisiert wurde. Auenbruggers Töchter Franziska und Marianne, die mit 23 Jahren an "Schwindsucht" starb, waren erfolgreiche Pianistinnen. Joseph Haydn widmete ihnen die Sonaten Nr. 13 und 35 bis 39 seiner Gesamtausgabe.

Die Sterbematrikel des Wiener Magistrats setzte den Schlussstrich unter ein beeindruckendes Leben: "Leopold Edler von Auenbrugg, Dr. der Medicin, ist im Schloissniggschen Hause 1121 am Neuen Markte an der Entkräftung, 88 Jahre alt, am 18. Mai 1809 gestorben."

Er wurde auf dem alten, längst aufgelassenen Matzleinsdorfer Friedhof bestattet. Sein Grabstein ist verschwunden, doch findet man, wie erwähnt, in Graz und am Haus in Wien 1., Neuer Markt 9, Gedenktafeln.

Brigitte Biwald, geboren 1951, ist Historikerin und veröffentlicht zum Thema Medizin- und Militärgeschichte.

Literatur:

Erna Lesky: Meilensteine der Wiener Medizin. Wien 1981.

Bernd E. Mader: Johann Leopold Auenbrugger, Edler von Auenbrugg (1722-1809). In: Blätter für Heimatkunde 79 (2005), S. 37-45.

Leopold Schönbauer: Das Medizinische Wien. Berlin-Wien 1947.