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Was gehört zu Weihnachten?

Von Heiner Boberski

Reflexionen
Ob "Stille Nacht" oder "Jingle Bells", am Heiligen Abend dürfen Weihnachtslieder nicht fehlen.
© stock.adobe.com / alexkich

Bei Menschen "guten Willens" dürfte vom religiösen Ursprung des frohen Festes mehr mitschwingen, als viele meinen.


Alle Jahre wieder - das gilt für mehrere Ereignisse im Leben, vor allem aber für bestimmte Feste wie Weihnachten, weshalb auch ein bekanntes Weihnachtslied mit diesen Worten beginnt. Im Umgang mit Dingen, mit denen wir uns in regelmäßigen Abständen befassen müssen, entwickeln wir bestimmte Gewohnheiten, je kürzer diese Abstände sind, umso prägnanter. Was Tag für Tag passiert, daheim, unterwegs oder am Arbeitsplatz, bei den Mahlzeiten oder in der Freizeit, wird meist routiniert erledigt.

Bei dem, was nicht alltäglich, aber doch regelmäßig ansteht, beschreiten wir nicht ganz so eingefahrene Bahnen und fragen uns zum Beispiel: Wohin fahren wir heuer auf Urlaub? Wie feiern wir heuer Silvester?

Mit der Familie

Auch überlegen wir mitunter: Wie feiern wir dieses Jahr Weihnachten? Was gehört für uns zu Weihnachten? Was macht für uns Weihnachten aus? Oder haben wir auf diese Fragen schon längst fertige Antworten, weil wir "alle Jahre wieder" mit genau der gleichen Einstellung an dieses Fest herangehen und es daher auch immer auf die gleiche Weise begehen?

Umfragen zufolge stehen zu Weihnachten für eine relative Mehrheit im Land das Einkaufen, Schenken und Beschenktwerden im Vordergrund, für eine andere große Gruppe das Zusammensein in der Familie und nur noch für einen relativ kleinen Teil der Bevölkerung der Glaube an die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. Dabei kann natürlich für viele Personen jeder dieser Aspekte eine Rolle spielen, nur eben einer davon eine größere. Es mag auch Leute geben, die gar nicht nach dem Sinn eines Feiertages fragen und denen jeder Anlass recht ist, Freizeit zu genießen und zu feiern.

Was unbestritten zu Weihnachten gehört, ist eine auf dieses Fest bezogene Musik, meist in Form von Liedern, mögen sie nun im Kerzenlicht unter einem Nadelbaum gesungen werden oder - auch in weniger stimmungsvoller Umgebung - aus einem elektronischen Gerät erklingen. Die beliebtesten Titel haben sich natürlich im Lauf der Zeit, entsprechend dem Wandel in der Haltung zum Fest, geändert.

"Sei uns willkommen, Herre Christ", heißt es im ältesten bekannten deutschsprachigen Weihnachtslied, das spätestens im 14. Jahrhundert Verbreitung gefunden hat. Als weltweit bekanntestes Lied dieser Gattung gilt "Stille Nacht, heilige Nacht", getextet vom Priester Joseph Mohr und als Komposition von Franz Xaver Gruber erstmals 1818 in Oberndorf bei Salzburg gesungen. Bis weit ins 20. Jahrhundert dominierten Lieder mit religiös geprägten Texten. Doch in den letzten Jahrzehnten erlangten weitgehend profane Songs die größte Beliebtheit: In "White Christmas" zum Beispiel geht es um die Verbindung von Weihnachten mit Schnee, im textlich simplen "Feliz Navidad" um Weihnachtswünsche und in "Last Christmas" um das Ende einer Beziehung.

"Weihnachtlich glänzet der Wald", heißt es im Adventlied "Leise rieselt der Schnee". Für viele gehört zu Weihnachten eine verschneite Winterlandschaft, wie sie aber nur in unseren Breiten möglich ist und auch hier in den Zeiten der Klimaerwärmung nicht mehr selbstverständlich ist. Populär gewordene Songs wünschen Schnee herbei ("Let it snow") oder träumen von flotten Schlittenfahrten mit fröhlichem Gebimmel der Glöckchen ("Jingle Bells").

Eine Terminfrage

Weihnachten und Glockenklang - diese Kombination ist vielen von Kindheit an vertraut, auch durch das Lied "Kling, Glöckchen, klingelingeling". Die Tradition, dass das zarte Erklingen eines Glöckchens die Bescherung einleitet, ist weit verbreitet, dazu kommt seit jeher der Glockenklang von den Kirchen, der im Lied "Süßer die Glocken nie klingen" besungen wird.

Der unbesiegte Sonnengott schmückte eine christliche (!) Nekropole des 3. Jahrhunderts in Rom.
© Public domain / User:Leinad-Z / via Wikimedia Commons

Das Christentum steht eindeutig an der Wiege des Weihnachtsfestes. Seit dem 4. Jahrhundert wird am 25. Dezember die Geburt Jesu Christi gefeiert - 336 ist der entsprechende Feiertag in Rom belegbar, aber erst Jahrzehnte später in Konstantinopel, was gegen eine Einführung durch Kaiser Konstantin spricht. Es gibt unterschiedliche Erklärungen dafür, warum die Kirche diesen Termin gewählt und Weihnachten damit für unsere Breiten zu einem winterlichen Fest gemacht hat. Dass man sich dabei an alten germanischen Bräuchen orientiert hat - eine Behauptung der Nationalsozialisten -, ist absolut nicht belegbar. Eine anerkanntere Theorie besagt, dass man das römische Sol-invictus-Fest umfunktioniert hat, um den Menschen Jesus als das "wahre Licht" und "Sonne der Gerechtigkeit" nahezubringen.

Vielleicht wurde aber, so eine andere Theorie, dieser Termin gewählt, weil man damals bei bedeutenden Menschen davon ausging, dass ihr Leben ganze Jahre währen musste. Da man den Todestag Jesu kannte und deshalb auch seine Zeugung auf Ende März datierte, musste seine Geburt neun Monate später angesetzt werden.

Der an der Universität Wien tätige evangelische Theologe Hans Förster meint, dass das Sol-invictus-Fest gar keine große Bedeutung gehabt habe (siehe auch Artikel in "Wiener Zeitung"). Die frühen Christen seien auch meist bestrebt gewesen, sich von heidnischen Bräuchen abzugrenzen. Weihnachten, so Förster in einem ORF-Interview, sei aber "ganz tief mit einer Sonnensymbolik verbunden". Daher sei "die Wintersonnenwende eine absolut geniale Terminwahl" für dieses Fest gewesen.

Vor dem Fest

Fest steht jedenfalls, dass Weihnachten, das Geburtsfest Jesu und die Wintersonnenwende auf der Nordhalbkugel zusammengehören. Wann Jesus wirklich geboren wurde, ließ sich nie genau herausfinden - aber auch im modernen England hat man sich erlaubt, die offiziellen Feiern zum Geburtstag der Queen vom richtigen Datum im April in den Juni zu verlegen, weil da meist besseres Wetter herrschte.

Wer Weihnachten feiert, kann aus einem riesigen Fundus von Bräuchen und Ritualen schöpfen. Viele davon sind weit verbreitet, manche werden nur von einer Minderheit gepflegt. Schon Wochen vor dem Fest erwachen weihnachtliche Gefühle - mit dem Entzünden der Kerzen am Adventkranz, dem Einkaufen von Geschenken, dem Backen von Keksen und Lebkuchen, den Vorbereitungen für die Bescherung und die festlichen Mahlzeiten, dem Versand von Weihnachtsgrüßen auf digitalen und analogen Wegen.

Der Besuch bestimmter Einkaufstempel oder der Christkindlmärkte, die mit entsprechender Ausstattung, Beleuchtung und Musikberieselung Kunden anlocken, ist für viele zur festen Gewohnheit geworden. Bei Kindern ist der Adventkalender beliebt, besonders wenn sich nicht nur Bilder, sondern auch Süßigkeiten hinter den Türchen verbergen.

Für praktizierende Katholiken kann auch zum Advent gehören, sich vor dem Morgengrauen zum Besuch einer stimmungsvollen Rorate-Messe aufzuraffen. Weit profaner geht es natürlich auf betrieblichen oder anderen Weihnachtsfeiern zu, die in den Wochen vor dem Fest stattfinden. Zur Weihnachtszeit gehört für viele auch der Genuss spezieller Getränke wie vor allem Punsch oder Glühwein.

Geschenke gehören zu Weihnachten dazu - sind aber nicht das Wichtigste.
© Kira auf der Heide

Am 24. Dezember mühen sich die einen gestresst mit den letzten Vorbereitungen ab, während sich andere in passiver Vorfreude ergehen. Nebenbei laufen das Radio oder der Fernseher, mitunter auch beide, mit einschlägigen Programmen. Und dann kommt der Heilige Abend, zu dem traditionell ein Familientreffen gehört, der aber - vor allem für Alleinstehende oder Menschen, die an diesem Abend ihren Beruf ausüben müssen - auch ganz anders verlaufen kann. Es gibt auch den - nach Corona vermutlich wieder zunehmenden - Trend, zu Weihnachten zu verreisen und diese Tage fern, mitunter sogar sehr fern von daheim zu verbringen.

"Markt und Straßen stehn verlassen, still erleuchtet jedes Haus, sinnend geh ich durch die Gassen, alles sieht so festlich aus." In Joseph von Eichendorffs romantischem Weihnachtsgedicht spiegelt sich eine andere Zeit als unsere, die von weitaus mehr Hektik geprägt ist. Aber wenn er von staunenden, beglückten Kindern schreibt, so wird man solche hoffentlich auch heute finden.

Die Zahl individueller Gewohnheiten, die Weihnachtstage zu begehen, ist sicher grenzenlos. Was aber - mit ganz wenigen Ausnahmen - zu jeder Weihnachtsfeier gehört, sind ein festlich geschmückter und behängter Christbaum, eine üppige Mahlzeit und das Verteilen von Geschenken. Ob auf dem Baum nun Wachskerzen oder Stromlämpchen leuchten, ob die Lieder selbst gesungen oder eingespielt werden, ob es selbst gekochte oder gelieferte Speisen gibt, ob privat gebackene oder gekaufte Kekse serviert werden, mag für die einen kaum einen, für andere einen großen Unterschied ausmachen.

Ähnliches gilt für die Frage, was wann bevorzugt auf den Tisch kommt. Lange Zeit war der Heilige Abend vor allem dem Fisch, meist einem Karpfen, und der Christtag eher dem Geflügel, häufig einer Gans, vorbehalten. Ein relativ neuer Brauch besteht darin, sich vor der Bescherung das in Bethlehem entzündete, von dort importierte und an bestimmten Stellen verteilte "Friedenslicht" ins Haus zu holen. An einem traditionell christlich gefeierten Heiligen Abend dürfen natürlich die Krippe, das Verlesen des Weihnachtsevangeliums und eventuell ein gemeinsames Gebet sowie der Besuch der Christmette in der Kirche nicht fehlen.

Um in Weihnachtsstimmung zu kommen, stehen für viele bestimmte Musikstücke oder Filme - als beliebteste gelten "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel", "Kevin allein zu Haus" und "Der kleine Lord" - auf dem Feiertagsprogramm. Zum Ritual der Weihnachtszeit kann auch das Aufsuchen bestimmter Orte, das Gehen bestimmter Wege oder ein Treffen mit bestimmten Personen gehören.

Gehört aber das, was einzelne Menschen in Weihnachtsstimmung bringt, schon unbedingt zum Fest an sich? Machen die allgemeinen Bräuche und Gewohnheiten, die sich im Lauf der Geschichte eingestellt haben und die wir jetzt untrennbar mit Weihnachten verbinden, bereits den Kern dieses Festes aus?

Weihnachtliche Werte

Weihnachten wurde ursprünglich schlicht als Geburtsfest Jesu gefeiert und ist viel älter als die Krippe, der Christbaum, der Adventkranz oder der Brauch, zu diesem Fest Geschenke auszutauschen. Die Krippe mit statischen Figuren kam vermutlich im 14. Jahrhundert in Italien auf. Was Franz von Assisi, der lange als Urheber der Krippe galt, 1223 in Greccio machte, fällt eher unter die damals schon länger üblichen Krippenspiele.

Der Weihnachtsbaum, dessen Vorläufer vielleicht der in mittelalterlichen Mysterienspielen verwendete "Paradiesbaum" zum Adam-und-Eva-Tag am 24. Dezember war, kam in privaten Haushalten erst im 18. Jahrhundert in Mode, in Wien ist er erst 1814 erstmals nachweisbar. Der erste Adventkranz wird auf 1839 datiert.

Eine Weihnachtskrippe aus Kärnten.
© CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0) / Naturpuur / via Wikimedia Commons

Schon im Mittelalter war es üblich, dass Kinder am Tag des für seine versteckte Wohltätigkeit bekannten Heiligen Nikolaus (6. Dezember) oder am Tag der Unschuldigen Kinder (28. Dezember) Geschenke bekamen. Ab dem 13. Jahrhundert lässt sich der Brauch belegen, einander zu Weihnachten zu beschenken. Im Lauf der Zeit avancierten für Kinder das Christkind, das besonders Martin Luther förderte, und der Weihnachtsmann - Bezeichnungen wie "Santa Claus" oder "Sinterklaas" weisen auf die Herkunft dieser Figur hin - zu den heimlichen Lieferanten der Weihnachtsgaben.

Es bleibt ein Faktum, dass Weihnachten - wie die Mehrheit unserer Feiertage - im Christentum wurzelt. Doch was gehört in einer Zeit schwindender Religiosität für möglichst alle zu diesem Fest, welche "weihnachtlichen Werte" können und sollen die Menschen verbinden?

Vielleicht fällt eine Antwort leichter, wenn man sie von der anderen Seite her sucht. Was eindeutig nie zu Weihnachten gehören sollte, ist Einsamkeit. Jedes fröhliche Fest ist mit Geselligkeit verbunden, aber bei keinem anderen sind das Zusammensein in der engeren Familie am Festabend und Kontakte mit anderen Verwandten und Freunden im Umfeld des Festes so ausgeprägt wie zu Weihnachten. Es ist weitgehend gesellschaftlicher Konsens, sich um möglichst alle zu kümmern, sozusagen "Licht ins Dunkel" zu bringen, wie es auch eine gerade ein halbes Jahrhundert alt gewordene Aktion auf ihre Fahnen geschrieben hat, und zumindest ein bisschen tätige Nächstenliebe zu üben.

Was keinesfalls zu Weihnachten passt, sind Verzweiflung und Trostlosigkeit. Angesichts der Vielzahl aktueller Krisen in aller Welt, auch auf unserer einstigen "Insel der Seligen", fällt es allerdings äußerst schwer, Optimismus zu bewahren. Selbst wenn es uns gelingen sollte, die politischen, wirtschaftlichen und gesundheitlichen Probleme der Gegenwart zu bewältigen oder deutlich zu reduzieren, wird uns das Damoklesschwert der Klimakatastrophe keine Ruhe lassen. Auch zu Weihnachten lassen sich Krisen nicht wegschieben, aber das Fest ermöglicht vielleicht ein kurzes Innehalten, um mit neuer Hoffnung in die Zukunft zu schauen.

Was absolut nichts mit Weihnachten zu tun haben sollte, sind gewaltsame Konflikte oder Krieg. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs war das vielen Soldaten noch bewusst: In Belgien haben 1914 Angehörige der deutschen und der britischen Armee zu Weihnachten die Waffen ruhen lassen und sind aus den Schützengräben aufeinander zugegangen, in einem Fall ist sogar ein gemeinsamer Gottesdienst belegt. Inzwischen ist "Friede auf Erden den Menschen guten Willens", die biblische Weihnachtsbotschaft der Engel, auch in angeblich christlich geprägten Ländern ins Hintertreffen geraten, Friedensappelle verhallen folgenlos.

Hoffnung und Liebe

© S&B Vonlanthen

Aber auch im eigenen Haus, wo der Friede beginnen soll, gilt Weihnachten schon lange als ein Datum, an dem eheliche und familiäre Konflikte leicht eskalieren können. Das liegt aber nicht am Fest, sondern meist an der Unfähigkeit der Beteiligten, gemäß ihrem "guten Willen" - sofern dieser vorhanden ist - zu agieren. Und dann blicken manche auf "Last Christmas" als ein Datum zurück, an dem eine inzwischen zerbrochene Beziehung noch bestanden hat. Mariah Careys Song "All I Want For Christmas" lässt spüren, dass eine geglückte Beziehung der größte Weihnachtswunsch sein kann.

Im profanen Idealfall ist Weihnachten ein Fest des Miteinander und einer Freude, wie sie in Beethovens Neunter Symphonie nach Schillers "Ode an die Freude" besungen wird: "Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt." Das religiöse Pendant wäre das Bekenntnis zu einer globalen Menschheitsfamilie, in der sich alle als Kinder eines göttlichen Vaters fühlen.

Geschenke verbinden, gemeinsame Mahlzeiten verbinden. Auch Religionen sollten verbinden, nicht trennen. "Religionen sind nicht harmlos", sagte der Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, kürzlich bei einem Adventempfang. Ein fundamentalistisches, alle anderen ausgrenzendes Verständnis von religiösem Glauben kann Katastrophen auslösen, es widerspricht in jeder Hinsicht dem Sinn des Weihnachtsfestes.

Alles in allem wollen die meisten Weihnachten als Fest der Hoffnung und der Liebe sehen und feiern. Damit dürften sich gläubige und weniger religiöse Menschen zumindest über die Bedeutung von zwei Dritteln der christlichen Grundtugenden einig sein. Wahrscheinlich, und das darf man trotz aller Zerwürfnisse in der Gesellschaft positiv sehen, stimmen sie sogar mit deren Bewertung überein, wie sie der Apostel Paulus in seinem ersten Brief an die Gemeinde von Korinth vornimmt: "Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe."

Heiner Boberski, geboren 1950, war Chefredakteur der "Furche", von 2004 bis 2015 Redakteur bei der "Wiener Zeitung" und ist Verfasser zahlreicher Sachbücher.