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Oberstes Ziel Verständlichkeit

Von Walter Hömberg

Reflexionen

Das Netzwerk "Leichte Sprache" hat es sich zur Aufgabe gemacht, komplexe Informationen möglichst einfach zu vermitteln.


Barrierefreiheit - diese Forderung gilt nicht nur für den Zugang zu öffentlichen Einrichtungen, sondern auch für das Verstehen von Informationen. Besonders der formelhafte Politikjargon und das verquaste Behördenvokabular sind für viele Zeitgenossen schwer verständlich. Die Mitteilungen vom Finanzamt, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Versicherungen, Energieunternehmen und Versandfirmen - für Nichtjuristen sind sie häufig ein Buch mit sieben Siegeln. Aber auch viele Zeitungsartikel und Rundfunksendungen sind nur für Eingeweihte zu entschlüsseln.

Wenn schon der normale Mittelschulabsolvent hier Verständnisprobleme hat, um wie viel mehr trifft dies dann auf "funktionale Analphabeten" zu. Darunter versteht man jene Frauen und Männer, die zwar einzelne Sätze lesen und schreiben können, jedoch keine zusammenhängenden Texte. Im deutschen Sprachraum gehört etwa jeder siebte Erwachsene zu dieser Gruppe. Die Ursachen für solche Defizite liegen vor allem in schwierigen Familienverhältnissen und prekären Lebenssituationen.

Abkürzungen verpönt

Die Corona-Pandemie und aktuell die Energiediskussion haben eindringlich gezeigt, wie wichtig es ist, komplexe Informationen auch an Menschen mit Lernschwierigkeiten und Mitbürger mit geringen Sprachkenntnissen zu vermitteln. Genau dies hat sich das Netzwerk "Leichte Sprache" zur Aufgabe gemacht, das damit auch eine Forderung der UN-Behindertenkonvention umsetzt. Ziel ist die Inklusion, das heißt die Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben. Das Netzwerk "Leichte Sprache" existiert seit rund eineinhalb Jahrzehnten und umfasst inzwischen mehr als 120 Mitgliedsorganisationen und Büros in Deutschland, Österreich und der Schweiz - und in vier weiteren europäischen Ländern.

"Leichte Sprache"-Logo.
© Netzwerk leichte Sprache

Es hat 13 Regeln der Verständlichkeit festgelegt: Favorisiert werden zunächst einfache Wörter, die etwas genau beschreiben ("Bus und Bahn" ist etwa leichter verständlich als "öffentlicher Nahverkehr"). Statt stilistischer Abwechslung sollen die gleichen Begriffe wiederholt und lange Wörter durch Bindestriche getrennt werden (zum Beispiel "Energie-Preis-Erhöhungen"). Schließlich sollen aktive statt passive Verb-Formen verwendet werden.

Neben diesen positiven werden auch negative Empfehlungen gegeben: Verpönt sind Abkürzungen sowie der Gebrauch des Genitivs und des Konjunktivs. Neben Verneinungen sollen Ironie und der Einsatz von Redewendungen vermieden werden. Jeder Satz soll nur eine Aussage enthalten. Statt langer Satzgebilde mit Haupt- und Nebensätzen sollen kurze Sätze aufeinanderfolgen.

Immer mehr Medien liefern entsprechende Zusatzangebote. Beispielhaft genannt sei die Wochenzeitung "Das Parlament", die der Deutsche Bundestag herausgibt. Neben aktuellen politischen Ereignissen steht hier jeweils ein Schwerpunktthema im Zentrum der Berichterstattung. Dieses ist dann auch Gegenstand der vierseitigen Beilage "leicht erklärt". In den letzten Monaten ging es etwa um Themen wie "NATO-Beitritt: Wie wird man Mitglied in der NATO?", "Zu viele Urlauber: Was ist Über-Tourismus?", "Fehlende Fach-Kräfte: Probleme und Lösungen" sowie "Weltweite Sicherung der Ernährung: Probleme durch den Krieg in der Ukraine". Eine externe Redaktion übersetzt die Texte in Leichte Sprache. Ob die Inhalte die Zielgruppe - Menschen mit Lernbehinderung oder kognitiver Einschränkung - erreichen können, das entscheiden Prüfer, die dieser Zielgruppe angehören, also als Experten in eigener Sache fungieren.

In Österreich liefert die Austria Presse Agentur fünf Mal pro Woche einen Nachrichtenüberblick in Leichter Sprache. Dieser wird vom ORF im Teletext übernommen. Radio Wien sendet jeweils sonntags den Wochenrückblick "Einfach! Wichtig!", in dem Informationen ausgiebig erklärt werden. Auch einige öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten in Deutschland senden Nachrichten in Leichter Sprache: der Norddeutsche Rundfunk, der Deutschlandfunk und der Mitteldeutsche Rundfunk, in dem sogar eine eigene Redaktion für Barrierefreiheit zuständig ist.

Auch Zeitungen in Österreich (u.a. "Die Kleine Zeitung" oder der "Kurier") leisten sich inklusive Redaktionsteams, die täglich ausgewählte Artikel in eine vereinfachte Version umschreiben. Damit sollen sowohl Menschen in nichtdeutscher Muttersprache als auch solche mit Lern- und Leseschwierigkeiten erreicht werden. Testleser aus diesen Zielgruppen prüfen auch hier die Beiträge auf Verständlichkeit.

Im Bereich der Politik wächst inzwischen die Einsicht, dass die klassischen Informationsstrategien unzureichend sind. So versucht die Öffentlichkeitsarbeit zunehmend auch gesellschaftliche Gruppen abseits des Mainstreams zu erreichen. Dies war in den Pandemiekampagnen doppelt wichtig: einmal zur Information über die jeweils gültigen Vorschriften, zum anderen zur Förderung der Impfbereitschaft.

Grundversorgung

Auch politische Institutionen gehen inzwischen neue Wege. So präsentiert sich der Vorarlberger Landtag seit zwei Jahren in einer attraktiven Broschüre, die in Leichter Sprache verfasst ist. Zentrale Begriffe sind unterstrichen, damit man sie im "Wörterbuch" am Ende des Textes leicht auffinden kann.

Literatur in einfacher Sprache.

Die derzeitige österreichische Regierung strebt laut Koalitionsvertrag eine "verständliche Verwaltungssprache" an. Auf der Homepage des Parlaments wird dies in den Erläuterungen zu politischen Institutionen und aktuellen Agenden umzusetzen versucht. Dies hat in Österreich Tradition: Angeblich ließ schon Kaiserin Maria Theresia alle Gesetze einem "einfachen Menschen" vorlegen, um ihre Verständlichkeit zu überprüfen.

Unter dem Titel "LiES" ist vor zweieinhalb Jahren das erste Buch mit literarischen Geschichten in einfacher Sprache erschienen. Heike Hückstädt, der Leiter des Literaturhauses in Frankfurt am Main, konnte als Herausgeber prominente Autorinnen und Autoren (u.a. Judith Hermann, Anna Kim und Arno Geiger) zur Mitarbeit motivieren. Solche Aktivitäten wollen die klassische Literatur nicht verdrängen, sondern den Kreis der Leser erweitern. Leichte Sprache liefert die Grundversorgung - und kann dann vielleicht auch zu weiteren Exkursionen in die Vielfalt sprachlicher und literarischer Welten motivieren.

Walter Hömberg, Kommunikationswissenschafter und Publizist, war Lehrstuhlinhaber für Journalistik an den Universitäten Bamberg und Eichstädt und hat viele Jahre als Gastprofessor an der Universität Wien gelehrt.

Weitere Infos: https://www.leichte-sprache.org/