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Sorbisch? Na klar!

Von Bernadette Conrad

Reflexionen
Spitze Türme sind typisch für die Barockstadt an der Spree.
© Bernadette Conrad

Das sächsische Bautzen hält seine Identität als Hauptstadt der Sorben hoch. Ein Besuch.


"Mach’s gut, du bitt’res Kraut! Auf dich kann ich gut verzichten!" Spricht’s und stürmt von der Bühne. In Windeseile finden Jakub und Kata sich im "Schnellscheidungszentrum" wieder, einem Drive-in, damit man einander noch schneller los ist. Wie sich auf der Bühne des sorbischen Kulturzentrums im Oberlausitzer Dorf Schleife das temperamentvolle Ehepaar den einen oder anderen hässlichen Satz an den Kopf wirft, ist opernreif. Und tatsächlich schmettern beide als professionelle Sänger ihre Vorwürfe auch musikalisch, vom Orchester begleitet, aufs Schönste dem ungeliebten Partner entgegen.

Der Zuschauerraum ist fast bis auf den letzten Platz besetzt: Die komische Oper "Vogelhochzeit" gehört zum Kernbestand der sorbischen Kultur in der Lausitz, und wer des Sorbischen noch - oder wieder - mächtig ist, macht es am Jahresanfang irgendwie möglich, eine jener Aufführungen der "Vogelhochzeit" zu erwischen, die um den sorbischen Feiertag am 25. Jänner herum stattfinden. Ganze 152 Jahre ist die Opera buffa "Jakub a Kata" - Jakob und Kata - schon alt: Damals vollendete der sorbische Komponist Awgust Kocor das Werk, nachdem das Libretto für dieses "Märchen von den verzauberten Nasen" schon etliche Jahre vorher existiert hatte.

Bunte Trachten bei der "Vogelhochzeit".
© Bernadette Conrad

Der Applaus ist groß, bevor sich das Publikum in den kalten Wintertag hinausbegibt. Auf dem Weg zum erstaunlichen Happy End der Scheidungsgeschichte haben die Tänzerinnen und Tänzer, auch in bunten Trachten, etliche Auftritte gehabt und haben vor allem zwei "überarbeitete", operativ verschönte Versionen von Jakub und Kata bewundern dürfen, die nach einigen Jahren des Alleinlebens doch wieder auf Partnersuche sind und nicht erkennen, dass die/der "Neue", eigentlich der/die "Alte" ist.

Verschwundene Dörfer

So bunt dürfte es nicht oft zugehen in Schleife, dem winzigen Dorf, das, grob gesprochen, zwischen Cottbus und Hoyerswerda liegt - im "Kerngebiet" also der slawischsprachigen Minderheit der Sorben, die hier zuhause sind. In einem Stimmengewirr zwischen Sorbisch und Deutsch bewegt sich das Publikum zum Ausgang und dann zu den Autos.

Wir sind nicht nur mitten im "Sorbenland", sondern auch mitten im Braunkohletagebaugebiet der Lausitz. Nur wenige Kilometer entfernt liegt Mühlrose, das aktuell vom Abgebaggertwerden und also vom Verschwinden bedroht ist. 88 Dörfer der Lausitz sind in den letzten hundert Jahren dem Bagger zum Opfer gefallen, wird Robert Lorenc, Ethnologe im Sorbischen Institut in Bautzen, am nächsten Tag erklären: "Insgesamt sicher ein Drittel des sorbischen Gebiets." Es gibt das Sprichwort: "Gott hat die Lausitz geschaffen, der Teufel die Kohle darunter."

Es ist nicht nur die Sprache, sondern es sind auch Grund und Boden selbst, die schon lange bedroht sind. Eine umso höhere Bedeutung hat das immaterielle Kulturerbe, wie Lorenc beschreibt. "Das Sammeln von Immateriellem und Materiellem ist ein Wesenskern menschlicher Kultur."

Und dann nähert man sich am nächsten Tag durch das Lausitzer Bergland der eindrucksvollen Stadtsilhouette von Bautzen: Ein Anblick, bei dem schnell klar wird, wie sehr die geläufige Assoziation mit entweder dem berüchtigten "Stasi-Knast" oder dem über Landesgrenzen hinaus bekannten "Bautz’ner Senf" zu kurz greift. Es sind vor allem spitze, filigrane Türme aus Barockzeiten, die dieser "Stadt der Türme" aus der Ferne ihr Gesicht geben.

Es war im 17. Jahrhundert, dass die massiv im Dreißigjährigen Krieg verwüstete Stadt im Barockstil wiederaufgebaut wurde. Die vorherige wirtschaftliche Blütezeit, die für Bautzen 1346 begonnen hatte, als es zur Hauptstadt des "Sechsstädtebundes" gewählt wurde, als also Handel und Handwerke einen Aufschwung erlebten, der über die nächsten Jahrhunderte anhielt, sollte so nicht wiederkehren. Politische Unruhen standen dagegen. So waren es erst die Industrialisierung in der Mitte des 19. Jahrhunderts und der Anschluss an das Eisenbahnnetz in Richtung Dresden, die eine ökonomisch erfolgreiche Zeit für Bautzen brachten.

Sobrisch auf Schritt und Tritt...
© Bernadette Conrad

Dass Bautzen aber nicht nur Barockstadt ist, sondern auch Hauptstadt der sorbischen Kultur, springt ebenfalls beim Hineinfahren in die Stadt ins Auge: Serbski Ludowy Ansambl, das Sorbische National-Ensemble, das wir in Schleife auf der Bühne haben sehen dürfen, hat hier seinen Sitz. Man schaut in große verglaste Räume auf der Rückseite des Theaters hinein und sieht Tänzerinnen und Tänzer an der Stange proben.

"Willkommen in der Lausitz!", auch dies in beiden Sprachen, steht groß an der Häuserwand auf der anderen Seite der Brücke über die Spree. "Sorbisch? Na klar!" Entlang kleiner Stadtvillen findet man nun den Weg zum ursprünglich 1952 gegründeten Sorbischen Institut Bautzen, vor dem Robert Lorenc schon wartet. Man könne seinen Weg durch Bautzen gut entlang der sorbischen Meilensteine nehmen, wie Lorenc beschreibt, der selbst Sohn eines sorbischen Vaters ist.

"In der DDR fand die erste umfassende institutionelle Förderung der sorbischen Minderheit statt", erklärt Lorenc mit Blick auf das Stadthaus, in dem das Institut residiert. Nach der Wende entstand 1990 die "Stiftung für das Sorbische Volk", die das großzügig von Bund und Ländern bereitgestellte Geld verteilt. Und das ist nicht wenig, wie der Weg durch die Stadt zeigt. Der monumentale Nachkriegsbau des "Sorbischen Hauses", des Dachverbandes aller sorbischen Institutionen und Vereine, bestimmt den kleinen Postplatz, den wir nun kreuzen.

Zweisprachigkeit

Während wir durch die vor allem vom Barock geprägten Straßen laufen, beschreibt Lorenc das Anliegen, das Kulturgut der slawischsprachigen Minderheit bestmöglich zu tradieren und zu bewahren. Zu diesem Zweck wird am Sorbischen Institut nun mit der Erstellung eines umfassenden digitalen Registers des sorbischen Kunst- und Kulturguts begonnen.

"Es ist vielgestaltig und reich und über eine völlig heterogene Landschaft von Institutionen verteilt", beschreibt Lorenc die Problematik. "Da sind zum Beispiel kleine Heimatvereine, die oft nicht in eine nächste Generation gehen, sondern einfach verschwinden. Diese Sammlungen sind gefährdet." Die Notwendigkeit, sich hier an eine systematische Erfassung zu machen, ist schon seit längerem bekannt; nun endlich ist eine zunächst zeitlich befristete Stelle geschaffen, die sich Lorenc als Kulturwissenschafter mit einem Informatiker teilt. "Das Konzept ist da, die Sondierungen beginnen. Es ist ein Prozess, der sicher 15, 20 Jahre dauern wird."

Noch geht man von rund 60.000 sorbischsprachigen Menschen aus, "die natürlich zweisprachig sind", wie sich Lorenc beeilt, hinzuzufügen. Zwar gibt es dank sorgfältiger Förderung die Möglichkeit, den schulischen Weg vom Kindergarten bis zum Abitur auf Sorbisch zu absolvieren. "Aber natürlich sind unter den 50 Absolventinnen und Absolventen der sorbischen Schulen auch solche, die Mechatroniker werden oder BWL studieren - während wir immer hoffen, dass viele als Lehrerinnen oder Schauspieler selbst auch beruflich zu Sprachvermittlern werden."

Robert Lorenc vor dem Sorbischen Museum.
© Bernadette Conrad

Die Zeit, als es hier ausschließlich sorbischsprachige Menschen gab, ist seit mehr als hundert Jahren vorbei. Die heutigen Sorben sind in der Regel zweisprachig, wie auch die "Vogelhochzeit" präsentiert war: Auf einem großen Screen zwischen Bühne und Orchester konnte man die Handlung sowohl mit dem sorbischen als auch mit einem deutschen Text verfolgen.

Imposante barocke Stadthäuser und kleine Plätze prägen das Bild, während man sich dem Dom St. Petri, einer monumentalen Hallenkirche aus dem 13. Jahrhundert, nähert. Innen erwartet die Besucher ein zweigeteilter Kirchenraum, ein katholischer Altar im Chorraum, ein evangelischer im Langhaus: Seit der Reformation beherbergt St. Petri beide Konfessionen und ist damit die älteste "Simultankirche" Deutschlands. Aber damit noch nicht genug mit der Mehrkonfessionalität: Fast mottogebend hängt im hinteren Teil der Kirche ein Gedicht der jüdischen Lyrikerin Mascha Kaléko, deren Karriere von den Nazis jäh beendet wurde:

"Jage die Ängste fort/ und die Angst vor den Ängsten./ Für die paar Jahre wird wohl alles noch reichen:/ Das Brot im Kasten/ und der Anzug im Schrank", beginnt der wunderbare Text, dessen Bedeutung weit über das Schicksal der Emigration hinausreicht: "Sage nicht mein,/ Es ist dir alles geliehen./ Lebe auf Zeit und sieh,/ wie wenig du brauchst./ Richte dich ein./ Und halte den Koffer bereit."

Von hier aus ist es nur noch ein kurzes Stück ansteigenden Wegs, bis man, am "Bautz’ner Senfladen" vorbei und entlang schöner Stadthäuser aus Mittelalter und Renaissance, auf den spätgotischen Matthiasturm zugeht und dahinter den weitläufigen Burgplatz mitsamt dem "Highlight" der sorbischen Kultur, dem Sorbischen Museum, vorfindet. Der Blick in die Auslage einer Bäckerei zeigt aus Baiser geformte Vogelküken, ein traditionelles sorbisches Gebäck zu Jahresbeginn.

Kunst und Literatur

Es ist hier im Museum, dass man anhand der Trachten und sorgfältigen Rekonstruktion der Volkskultur durch die Jahrhunderte die lange sorbische Geschichte ein wenig begreift. Schon im 6. Jahrhundert n. Chr. war die Gegend sorbisch besiedelt. Am stärksten beeindruckt die blühende sorbische Kunst und Literatur im 20. Jahrhundert.

Eine eindrucksvolle Kunstausstellung präsentiert Künstlerinnen und Künstler aus der 1923 gegründeten ersten Vereinigung sorbischer bildender Künstler: Da ist Hannah Schneider, die auf Sorbisch Hanka Krawcec war, und da ist Aloys Andritzki, der die "Verschwundenen Dörfer im Braunkohlerevier Lausitz" zeigt.

Und da ist, auf Seiten der Literatur, der berühmte Krabat-Mythos, der historisch auf Janko Šajatović, deutsch: Johann von Schadowitz, zurückgeht, der im 17. Jahrhundert lebte und um den sich Zaubergeschichten rankten. Bevor Otfried Preußler "Krabat" unsterblich machte, war es der sorbische Schriftsteller Jurij Brězan, der in seiner literarischen Bearbeitung Krabat zur idealen sorbischen Identitätsfigur entwickelte.

Und so verlässt man das Museum mit einem Staunen - und dem klaren Eindruck, dass in diesem verborgenen Winkel Deutschlands eine Minderheit, über die man sträflich wenig wusste, gut gefördert und hochaktiv ein blühendes Kulturleben hegt und pflegt. "Ja, es gibt diese stolze Kultur", bestätigt Robert Lorenc, "aber sie muss als Minderheitenkultur um ihren Erhalt kämpfen, und so ist es gut, dass wir hier in Bautzen dabei so aktiv mitwirken können."

Bernadette Conrad lebt als freie Literaturjournalistin und Schriftstellerin in Berlin. Aktuell erscheint ihr Roman "Was dich spaltet" (Transit Verlag, Berlin 2023).