Zum Hauptinhalt springen

Die Schwäche des Westens

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© WZ

Widerwillig muss Berlin jetzt doch an Nord Stream 2 rütteln lassen. Wem das nützt, ist offen.


Der russische Präsident Wladimir Putin erwischt den transatlantischen Westen auf dem denkbar schwächsten Fuß für eine Kraftprobe um die Zukunft der Ukraine. Und das hat für einmal nichts mit Corona zu tun.

US-Präsident Joe Biden steht bereits nach seinem ersten Jahr vor den Trümmern seiner Amtszeit. Eigentlich muss der 79-Jährige seine Energie auf die inneren Reformen richten, um eine drohende zweite Amtszeit Donald Trumps zu verhindern. Und dann stören Putins Drohungen auch noch die Konzentration der USA auf die Eindämmung Chinas.

Der Regierungschef der stärksten westeuropäischen Militärmacht, Großbritanniens Premier Boris Johnson, kämpft um den Verbleib im Amt. Weil in europäischen Demokratien Militäroperationen als Ablenkung von inneren Problemen perdu sind, mobilisiert Johnson gegen die letzten großen Feinbilder seiner Anhänger: die altehrwürdige BBC und illegale Migranten. Putin steht nicht weit oben auf seiner Prioritätenliste.

Das wirtschaftlich wichtigste Land Europas, Deutschland, hat seit kurzem eine neue Regierung. Die SPD bleibt dabei als Kanzlerpartei im Umgang mit Russland ihrer alten Linie "Wandel durch Handel" treu. Und die grüne Außenministerin spricht zwar gerne von einer Außenpolitik der Werte, betont ansonsten aber die Notwendigkeit eines Ausgleichs mit Moskau. Für Österreicher klingt das vertraut.

Hinzu kommt das Pech der kalten Jahreszeit. Seit Herbst sind die Energiekosten in die Höhe geschossen. Das setzt jede Regierung unter Druck. Putin könnte mit einem Nicken die Preise für Erdgas und Öl wieder auf Talfahrt schicken. Klar, langfristig wird sich Europa in Sachen Energieversorgung von Russland unabhängig machen. Aber langfristig sind wir bekanntlich alle tot. Unter dem Druck der Partner steht jetzt auch die Zukunft der Pipeline Nord Stream 2, die russisches Gas nach Deutschland pumpen soll und an der auch die OMV beteiligt ist, wieder zur Disposition. Wenn Putin losmarschiert, ist das fertige Milliardenprojekt gestorben. Das kann Putin nicht wollen und Berlin noch weniger.

Die Frage ist: Hält das Putin von einer Offensive gegen Kiew ab oder treibt es Deutschland in zu große Zugeständnisse an Moskau? Putin weiß, dass die meisten Menschen im Westen drängendere Probleme haben als eine Konfrontation mit Russland - und nicht nur sie, sondern auch ihre Regierungen. Dieser Eindruck verleitet zu gefährlichen Fehlkalkulationen. Hoffentlich ist Putin so schlau, wie alle glauben, damit er auch das einkalkuliert. In besseren Zeiten kann die EU ja dann vielleicht eine gemeinsame, schlüssige und umsetzbare Politik gegenüber Russland erarbeiten.