Aufgrund der Ereignisse von "9/11" mussten sämtliche im US-Luftraum befindlichen Flugzeuge rasch zur Landung gebracht werden. Auf dem Flughafen von Gander in Neufundland landeten 39 Jets. An die Hilfsbereischaft der lokalen Bevölkerung denken die damaligen Passagiere bis heute mit Dankbarkeit zurück.

Eine Ansichtskarte erinnert an das große Aufkommen von Flugzeugen im September 2001 am Flughafen von Gander. Die Landebahn diente als Parkplatz . . . - © Foto: Weitlaner
Eine Ansichtskarte erinnert an das große Aufkommen von Flugzeugen im September 2001 am Flughafen von Gander. Die Landebahn diente als Parkplatz . . . - © Foto: Weitlaner

Als Flugkapitän Reinhard Knoth am Vormittag des 11. September 2001 seine Boeing 747-200 vom Flughafen Frankfurt/Main Richtung New York startet, ahnt weder er noch einer der 375 Passagiere an Bord, dass diese Reise in der Kleinstadt Gander in Neufundland enden wird. Knapp zwei Stunden vor der geplanten Landung am John-F.-Kennedy-Airport greift Knoth zum Bordmikrophon und verkündet, dass aufgrund einer Überlastung des Luftraumes in New York ein Zwischenstopp erforderlich wird.

Freundliche Zöllner


Erst nach dem Aufsetzen des Jumbos in Gander klärt Knoth die Passagiere über die Terroranschläge auf. Rund zehn Stunden müssen alle noch an Bord des Flugzeuges ausharren, ehe sie aussteigen dürfen. Mit gelben Schulbussen werden sie von der Landebahn, die inzwischen zu einem Parkplatz für 38 Großraum-Flugzeuge geworden ist, zum Terminal gebracht. Ausgeladen werden allerdings nur die Passagiere, nicht jedoch das eingecheckte Gepäck, das im Laderaum der Flugzeuge bleibt. "Im komplett überfüllten Flughafengebäude wurden wir von Zöllnern freundlich begrüßt", erzählt Johannes Luxner, ein österreichischer Student, der mit seinem Freund Andreas Pils zur Red Bull Music Academy unterwegs war.

Claude Elliott, der Bürgermeister von Gander, zeigt den Österreichern Andreas Pils (li.) und Johannes Luxner (2.v.l.), die 2001 am Flughafen gestrandet waren, Trümmer des World Trade Centers von New York. - © Foto: Weitlaner
Claude Elliott, der Bürgermeister von Gander, zeigt den Österreichern Andreas Pils (li.) und Johannes Luxner (2.v.l.), die 2001 am Flughafen gestrandet waren, Trümmer des World Trade Centers von New York. - © Foto: Weitlaner

Als am 11. September um 8:46 Uhr das erste Flugzeug in das World Trade Center rast, glaubte man an noch an einen tragischen Unfall. Knapp eine Viertel Stunde später, genau um 9:03 Uhr, fliegt das zweite Flugzeug in den zweiten Turm des Gebäudes. Spätestens jetzt weiß man, dass es sich um einen Terrorangriff handelt.

Nur acht Minuten später lässt die US-Flugsicherheitsbehörde FAA sämtliche Airports in New York schließen. Um 9.45 Uhr - nach dem Absturz eines dritten Jets ins Pentagon in Washington - wird der gesamte US-Luftraum für sämtliche Luftfahrzeuge gesperrt.

Erinnerungstafel in einer Schule von Gander. Fotos:Weitlaner - © Foto: Weitlaner
Erinnerungstafel in einer Schule von Gander. Fotos:Weitlaner - © Foto: Weitlaner

Gemeinsam mit der kanadischen Flugsicherungsbehörde NAV-Canada beginnt die Opera- tion Yellow Ribbon. Ziel ist es, alle Flugzeuge mit einem Zielflughafen in den USA entweder zum Startflughafen zurückzuschicken oder in Kanada zur Landung zu bringen. Damit sollten weitere potenzielle Angriffe auf die USA abgewehrt werden. Bevorzugte Flughäfen waren die Airports in den dünner besiedelten Regionen Nova Scotia und Neufundland.

Für die Flugüberwacher beginnt ein schwerer Tag, denn zum Zeitpunkt der Terroranschläge befinden sich rund 500 Jets mit Zielen in den USA in der Luft. "Es ist eigentlich ein Wunder, dass es bei dieser Aktion keinen Zusammenstoß gab", meint Robert Henning vom Aereal Control Center von NAV-Canada in Gander.

Rund 250 Flugzeuge mit mehr als 40.000 Passagieren müssen in Kanada landen. 47 Jets werden in die Provinzhauptstadt Halifax, die immerhin 370.000 Einwohner hat, beordert. 39 Jets mit 6122 Passagieren und 473 Besatzungsmitgliedern werden in die 10.000-Einwohner-Stadt Gander geleitet. Damit hat sich die Bevölkerung der Kleinstadt über Nacht nahezu verdoppelt.

Größter Flughafen 1938


Als die kommerzielle Luftfahrt in den frühen 1920er Jahren immer mehr an Bedeutung gewann, begann auch ein Bauboom für Flughäfen. Gander war eine solche Boomtown, die als Barackensiedlung für die Errichtung eines Flughafens jenseits des Nordatlantiks begann. Es ging darum, die kürzeste Distanz auf der Atlantiküberquerung zu finden.

Zunächst spekulierte man mit einem Flughafen-Neubau an der Küste, doch häufiger Nebel ließ die Planer umdisponieren. Nördlich des Gander-Lake - etwa 50 Kilometer im Landesinneren - schien die ideale Position für den Bau eines Flughafens zu sein. Im Jänner 1938 wurde Gander erstmals angeflogen. Knapp zehn Monate später ging der Airport mit seinen vier gepflasterten Flugpisten in Vollbetrieb und wurde zum größten Flughafen der Welt.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stieg das Passagieraufkommen auf mehr als 250.000 jährlich an. Rund 13.000 Flugzeuge starteten und landeten in Gander, das nun den Beinamen "Crossroads of the World" bekam. 1959 beschloss die kanadische Regierung den Bau eines neuen Terminals. Doch mit der Einführung der vierstrahligen Boeing 707 auf der Transatlantikroute konnte man auf Zwischenlandungen verzichten. Dadurch verlor Gander zunehmend an Bedeutung. Daran konnte auch die Tatsache nichts ändern, dass eine der beiden heute noch verwendeten Startbahnen aufgrund ihrer Länge auch als Notfalllandeplatz für Space-Shuttles diente.

Heute ist der Airport, der nur noch von regionalen Airlines bedient wird, schwer defizitär. Die Militärmaschinen der US-Air-Force, die von und nach Europa hier zwischenlanden, müssen nämlich keine Start- und Landegebühren bezahlen.

Eine Stadt steht Kopf


"Uns war im Laufe des 11. September bald klar, dass unser Airport mit einer großen Menge an umgeleiteten Flugzeugen rechnen musste", schildert Bürgermeister Claude Elliott die Geschehnisse von 2001. Unklar war jedoch, wie lange die "unerwarteten Gäste" bleiben würden. In Gander gibt es rund 550 Gästebetten. Diese blieben den Besatzungsmitgliedern der Flugzeuge vorbehalten.

Innerhalb kurzer Zeit musste sich die Kleinstadt auf die ungewöhnliche Situation einstellen. Schließlich ging es darum, die Passagiere zu versorgen. Schulen, Gemeindehäuser und Versammlungsräume, ja sogar Kirchen wurden zu Notunterkünften umgestaltet. Miteinbezogen wurden auch die umliegenden Gemeinden Gambo, Lewisporte und Gloverton. "Wir wurden ins Gander Collegiate gebracht", erzählt Andreas Pils, der gemeinsam mit seinem Freund Johannes Luxner zehn Jahre nach den Ereignissen für eine TV-Filmdokumentation wieder nach Gander zurückgekommen ist. Beide erinnern sich noch lebhaft an die unglaubliche Hilfsbereitschaft der lokalen Bevölkerung. Man bemühte sich nach allen Kräften, den Menschen einen möglichst angenehmen Aufenthalt zu ermöglichen.