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Arabiens Herrscher haben ihre Legitimation verloren

Von Klaus Huhold und Michael Schmölzer

Reflexionen

Auf dem Buchmarkt boomen Werke über die großen Umwälzungen im arabischen Raum


Umwälzende politische Ereignisse werfen sehr rasch ihren Schatten auf den Buchmarkt: So ist es auch beim arabischen Frühling, dem nun eine Reihe von Veröffentlichungen gewidmet werden. So etwa von den Journalisten Karim El-Gawhary, Jörg Armbruster oder vom Politanalysten Michael Lüders. Die Ereignisse schreiten indes weiter voran: Während in Libyen während der Abfassung der Bücher noch gekämpft wurde, ist Muammar al-Gaddafi mittlerweile tot.

Jörg Armbrusters Reportage

In Jörg Armbrusters Buch "Der arabische Frühling" kommt ganz der Fernsehreporter durch: Es ist eine Abfolge von Schnitten und Szenenwechseln, der ARD-Korrespondent kommt schnell auf einen Punkt, um zum nächsten zu springen. Armbruster schickt dabei ein großes Ensemble von Gesprächspartnern vor den Vorhang, die von ägyptischen Bauern und Bloggern über libysche Rapper bis hin zu einer Anwältin des libyschen Übergangsrates reichen.

Und genau diese Vielfalt der Stimmen und Personen ist eine der Stärken des Buches, sie wirft Schlaglichter, die viel aussagen. "Ich kann den Präsidenten nicht einfach aus meinem Herzen reißen", sagt ein ägyptischer Bauer nach dem Sturz von Mubarak und macht klar, dass die Landbevölkerung den Wandel teilweise anders erlebt als die Jugend in den Großstädten. Bezeichnend auch die Beschreibung eines libyschen Taxifahrers bei einer Verkehrskontrolle, als noch Gaddafi in Libyen herrschte. "Der Taxifahrer hatte sich die ganze Zeit am Steuerrad festgeklammert und wie Espenlaub gezittert. Ich habe noch nie einen Menschen so nervös gesehen." In dieser Szene manifestiert sich der ganze Schrecken, den das Gaddafi-Regime verbreitete.

Die Schwächen des Buches sind manchmal unnötige Wiederholungen - da merkt man dem Werk an, dass es offenbar schnell entstanden ist. Dafür erhält der Leser viel Hintergrundinformationen, auch wenn etwa in Libyen die Konstellation nun eine andere ist. Zwischen seinen Nahaufnahmen schiebt Armbruster nämlich immer wieder Reflexionen ein, die einen weiten Bogen von Syrien, Jemen bis zur zukünftigen Rolle des Islam in der Politik oder die Macht des Militärs in einzelnen Staaten spannen.

Michael Lüders’ Essay

Auch der langjährige Nahost-Experte Michael Lüders umkreist in seinem Buch "Tage des Zorns" weitreichende Themenfelder. Er wählt aber eine andere Herangehensweise als Armbruster: Lüders wirft nicht Schlaglichter, sondern bedient sich einer essayistische Form.

Lüders Werk ist eine äußerst gewinnbringende und erkenntnisreiche Lektüre: Er deckt politische Hintergründe auf, wie den Einfluss Saudi-Arabiens im Jemen, oder bettet den arabischen Frühling in einen weitreichenden historischen Kontext ein. Er zeigt etwa auf, dass die Geschichte der arabischen Länder als blockierter Übergang von einer Feudal- zu einer Industriegesellschaft zu verstehen ist oder beschäftigt sich mit Machtstrukturen. "Legitimation ist der Schlüsselbegriff, um arabische Politik vor der Revolution zu verstehen. Alle Herrscher sind - waren - bemüht, sich als Vollstrecker höherer Werte zu inszenieren", schreibt Lüders. Doch diese Legitimation ist zusammengebrochen. Denn die Bevölkerung sah in vielen Ländern nur Korruption, Vetternwirtschaft, verpasste Entwicklungschancen und die Macht des Gewehrs, die einer gierigen Führungsclique ihre Pfründe sicherte.

Zudem geht Lüders auf Themen ein, die in der tagespolitischen Berichterstattung oft weniger Beachtung finden. So erzählt er etwa von arabischen Autoren, die den Koran zeitgemäß zu interpretieren versuchen.

Sowohl Lüders als auch Armbruster gehen - zu Recht - mit dem Westen hart ins Gericht, der für eine vermeintliche Stabilität Unrechtsregimes alimentierte. Laut Lüders gilt nun, auch für große Teile der westlichen Öffentlichkeit, einen oft von eingebildeter Überlegenheit durchdrungenen Blick auf die vermeintlich rückständige, religiös fanatisierte Bevölkerung in den arabischen Ländern zu revidieren, und diese Region endlich in ihren vielfältigen Erscheinungsformen wahrzunehmen.

Karim El-Gawharys Tagebuch

Der bekannte ORF-Korrespondent Karim El-Gawhary hat keine Monografie im eigentlichen Sinn verfasst, bei "Tagebuch der Arabischen Revolution" handelt es sich vielmehr um eine Zusammenstellung verschiedener Zeitungsartikel, Blogeinträge und TV-Beiträge. Das Werk erspart es dem Leser immerhin, die einzelnen Fragmente selbst im Internet zusammenklauben zu müssen.

Und man kann die Ereignisse, die in Tunesien ihren Ausgang nahmen und im libyschen Bürgerkrieg gipfelten, auch als unbearbeitete Materialsammlung ganz gut Revue passieren lassen. Dass sich El-Gawhary - vom Verlag Kremayr & Scheriau dazu gedrängt - auf ein derartiges Ruck-Zuck-Projekt eingelassen hat, ist trotzdem schade. Immerhin ist der Top-Journalist auch ein ausgezeichneter Buchautor - der Titel "Alltag auf Arabisch" hat das eindrucksvoll bewiesen.

Der enttäuschte Leser wird immerhin zu Ende des neuen Gawhary-Buches Buches ein wenig entschädigt: Hier wirft der Autor in einem längeren durchgeschriebenen Beitrag einen "Blick in die arabische Kristallkugel" und stellt die entscheidenden Fragen: Können die Demokratiebewegungen überleben oder folgt auf den "Arabischen Frühling" ein bitterkalter Winter? Wer sind die Hauptakteure, die die Zukunft die Politik in Ägypten, Tunesien und Libyen bestimmen, wie bedrohlich sind die Islamisten und wie wird es wirtschaftlich in Nordafrika weitergehen?

El-Gawhary reiht sich hier übrigens nicht in die Phalanx der Pessimisten ein, für ihn gibt es Hoffnung für eine Region, die ihm am Herzen liegt und die mitten in einem historischen Umbruch steckt.

SachbuchDer arabische Frühling
Jörg Armbruster
Westend, 238 Seiten, 17,50 Euro

Tage des Zorns
Michael Lüders
C. H. Beck, 207 Seiten, 20,60 Euro

Tagebuch der Arabischen Revolution
Karim El-Gawhary
Kremayr & Scheriau, 237 Seiten, 22 Euro