
Es ist kurz nach 15.30 Uhr. Von außen schaut das Haus in der Baumergasse unscheinbar aus. Ziemlich abgelegen im 21. Bezirk verbirgt sich hier das "Blinden- und Sehbehindertenförderungswerk" (BSFW). Mit seinen derzeit sechzehn Angestellten und sechs Auszubildenden ist es österreichweit die einzige Ausbildungsstätte zum Bürsten- und Pinselmacher, der seine Produkte händisch, im sogenannten "Handeinzug", herstellt. Diversity Management wird hier tagtäglich gelebt.
Als wir die Tür zu diesem Haus öffnen, warten die Mitarbeiter schon. Alle geben uns die Hand, stellen sich vor und sind ganz aufgeregt, dass jemand von der Zeitung da ist. Dann werden wir vom Geschäftsführer Bernd Ahrens und seinem Assistenten Sven Rechsteiner durch die Räumlichkeiten geführt.
Eigentlich befänden wir uns hier in einer ganz normalen Arbeitsstätte, hätten nicht alle Mitarbeiter bis auf Ahrens und Rechsteiner einen Grad der Behinderung von mindestens 50 Prozent. "Drei Mitarbeiter haben keine Sehbehinderung, sondern andere Einschränkungen, der Rest der Belegschaft ist blind bzw. schwerst sehbehindert", erklärt Rechsteiner.
Die Mitarbeiter sind an diesem Donnerstag kurz vor Feierabend (gearbeitet wird bis 16.30 Uhr) engagiert dabei, Produkte zu fertigen, zusammenzuräumen oder Bestellungen und Rechnungen einzugeben.
Quasi zum Inventar gehört hier auch der erst zwei Monate alte Cocker Spaniel-Pekinesen Mischling Chico, der zur allgemeinen Psychohygiene beiträgt. Er lässt sich geduldig streicheln und schleckt allen die Hände.
Der lange Weg zur
eigenen Lebensform
"Wir haben seit 2006, der Firmengründung in Wien, hier mehrere Säulen und Prinzipien, auf die wir aufbauen. Teamfähigkeit, Menschlichkeit, Ehrlichkeit, Toleranz, Offenheit und Hilfsbereitschaft", erklärt Bernd Ahrens. "Wenn jemand zu uns kommt und nichts kann, ist das kein Problem, aber er muss die menschlichen Qualifikationen mitbringen", ergänzt er.
Überall sehen wir Bürsten, Besen, Kerzen, Seifen in allen Variationen und viele duftende Produkte, die alle in minutiöser Handarbeit hergestellt werden. Es ist nicht zu übersehen, dass die Belegschaft sehr selbstständig arbeitet.
Im nächsten Zimmer befinden sich sechs Arbeitsplätze. Hier sitzt auch Mario Gally. Flink spannt er ein Gemisch aus Rosshaar und anderen Stoffen mittels einer Maschine zu einer Besenbürste. Loch für Loch geht die Arbeit so schnell voran, dass man als Zuschauer kaum folgen kann.
Leicht hat es Mario nie gehabt. Als einer von vier Geschwistern mit einer Sehbehinderung geboren, musste der heute Einundzwanzigjährige bald lernen, mit seiner Einschränkung umzugehen. "Schon zu meiner Schulzeit wurde ich aufgrund meiner offensichtlichen Behinderung gehänselt und verspottet. Ganze neun Jahre musste ich mir immer wieder abfällige Bemerkungen und den Spott meiner Mitschüler anhören. Hinzu kam, dass ich ab meinem siebenten Lebensjahr in ein Heim gesteckt wurde, was eine zusätzliche Belastung für mich war", berichtet Mario Gally.
Auch danach blieben ihm viele Wege, etwa der einer Lehre, verschlossen, da sich keine Firma fand, die ihm eine Chance geben wollte. Selbst ein Praktikum musste er abbrechen, da der psychische Druck des Mobbings einfach zu groß war. Die Folge: Mario fühlte sich einsam, allein und fiel in ein tiefes Loch. Was blieb, war der Wille, "so zu sein wie die anderen und einen normalen Beruf zu erlernen". Daher absolvierte er freiwillig ein Jahr an einer für Blinde und Sehbehinderte spezialisierten Schule. Bei der darauf folgenden Jobsuche holte ihn aber die Realität sehr schnell ein. Er erhielt nur Absagen - Enttäuschungen und Frust machten sich breit.
Doch an jenem Tag im Juli 2010, wo er ein Praktikum beim BSFW angeboten bekam, änderte sich sein Leben schlagartig. Erstmals wurde er trotz seiner Einschränkung menschlich behandelt, schloss sein Praktikum hervorragend ab und begann unmittelbar danach die Ausbildung zum Bürsten- und Pinselmacher (Handeinzug).
Berufliche Erfolge und Verpflichtungen
Er berichtet: "Im April habe ich meine Ausbildung mit Auszeichnung abgeschlossen und konnte sofort meinen Dienstvertrag unterschreiben. Noch vor einem Jahr hätte ich mir nicht im Traum vorstellen können, als ausgelerntes und vollständig integriertes Mitglied in einer Firma arbeiten zu dürfen. Nun habe ich meine eigene Wohnung, eine Firmenfamilie und Freunde, die mich hundertprozentig unterstützen und mich so akzeptieren, wie ich bin", berichtet Mario.
Wie in jedem Betrieb muss man sich aber auch hier an Regeln halten. Wer fortlaufend zu spät kommt, unangenehm auffällt, kurz, nicht im Team arbeiten kann, wird (nach einigen Verwarnungen) gekündigt. Auf ein funktionierendes soziales Gefüge wird vonseiten der Unternehmensführung großen Wert gelegt. "Zur Teamfindung finden Mittwochs nach dem Dienst oft Grillfeste statt, damit sich die Mitarbeiter auch im privaten Bereich besser kennen lernen und ihrer soziale Kompetenz festigen", unterstreicht Sven Rechsteiner, während er den Sozialraum mit dem daran anschließenden Außenbereich zeigt.