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Profite in der Schlossallee

Von Jeannette Villachica

Reflexionen

Wer kennt es nicht, das Spiel mit dem quadratischen, blassgrünen Spielfeld, bei dem man seine Geldgier so richtig ausleben kann? Monopoly gibt es seit 76 Jahren, 275 Millionen Exemplare wurden weltweit verkauft - mehr als von jedem anderen Gesellschaftsspiel. Von den USA aus zog das Spiel nach Europa und dann in die ganze Welt; heute werden 43 länderspezifische Ausgaben angeboten. Im Laufe der Jahre erschienen immer neue Ableger wie Monopoly World, Monopoly Disney, Monopoly Banking, eine Ausgabe für Blinde, zahlreiche regionale Editionen wie die bayerische Version, exklusive Firmen- und Jubiläumsausgaben. Zum 75. Geburtstag des Spieleklassikers erschien im letzten Jahr "Monopoly Revolution" mit einem runden Spielbrett in Schwarzweiß, bargeldlosem Zahlungsverkehr und futuristisch anmutenden Spielfiguren. Und natürlich kann man Monopoly auch längst auf dem Computer und online spielen.

Dass Monopoly jedoch mehr ist als ein Gesellschaftsspiel und vor allem mehr als ein "erzkapitalistisches Grundbesitzerspiel", wie es Vertreter der politischen Linken insbesondere der 68er-Generation immer wieder bezeichneten, zeigt Andreas Tönnesmann in seinem Buch "Monopoly. Die Stadt, das Kapital und das Glück", das kürzlich in der "Kleinen Kulturwissenschaftlichen Bibliothek" des Wagenbach Verlags erschienen ist.

Regelveränderungen

Tönnesmann studierte Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft an deutschen und italienischen Universitäten und lehrt Kunst- und Architekturgeschichte in Zürich und Basel. Dieses Buch beginnt er mit eigenen Kindheitserinnerungen: "Rücke vor bis zur Schlossallee. Fünf Worte, ich erinnere mich genau, haben über mein Schicksal entschieden", schreibt der Autor, Jahrgang 1953, und meint damit, dass er nach dem Ziehen der Ereigniskarte mit diesen fünf Worten und nachdem er die Wuchermiete an den Besitzer der Schlossallee gezahlt hatte - wenn er sie überhaupt bezahlen konnte - oft pleite war. Das Spiel war damit für ihn beendet - es sei denn, sein Bruder, der fast jedes Spiel gewann, bot ihm ein Darlehen an. Die Regeln sähen das zwar nicht vor, schreibt Tönnesmann, aber durch die Verbreitung des Spiels hätten sich so viele Varianten eingebürgert, dass kaum jemand Monopoly exakt nach den Regeln spiele.

Spielprinzip und Gestaltung der klassischen Edition haben sich durch die Jahrzehnte hindurch kaum verändert. Es geht darum, möglichst schnell strategisch klug Straßen, Plätze, Bahnhöfe sowie Elektrizitäts- und Wasserwerk (in manchen Länderausgaben auch ganze Städte) zu kaufen, darauf Häuser und Hotels zu errichten und so durch die teilweise extrem hohe Miete, die Mitspieler zahlen müssen, die durchs Würfeln auf diese Felder kommen, ein Monopol zu errichten. Die zwei bis acht Spieler ziehen im Kreis und überwinden dabei Hindernisse, die ihnen unter anderem durch Ereignis- und Gesellschaftskarten gestellt werden. Wer zahlungsunfähig wird, fällt aus dem Spiel. Wer zuletzt übrig bleibt, hat gewonnen. Über Gewinner und Verlierer entscheidet zum Großteil die Augenzahl der Würfel, also der Zufall.

Besonders Jugendliche genießen es bis heute, dass das Spiel ohne intellektuellen oder pädagogischen Anspruch daherkommt und man, um zu gewinnen, wie Tönnesmann meint, "ein gehöriges Maß an Rücksichtslosigkeit, ja Niedertracht mitbringen sollte". Erwachsene fragen sich dagegen oft, ob ihre Kinder durch die schier unerschöpflichen Möglichkeiten der Geldvermehrung bei Monopoly nicht zu Zockern und skrupellosen Kapitalisten erzogen werden; sie wollen ihren Kindern nicht den Spaß verderben, viele Eltern finden jedoch, das Spiel gebe vor, es sei möglich und erstrebenswert, mit ein bisschen Glück und Taktieren und auf Kosten seiner Mitmenschen schnell reich zu werden.

Politische Gegenspieler

Zwischen 1968 und 1980 entstanden diverse Anti-Monopoly-Varianten, bei denen Monopole zerschlagen werden oder Arbeiter und das "Kapital" gegeneinander kämpfen sollten. In der DDR und den Ostblockstaaten war Monopoly verboten, was das Spiel als Schmuggelware umso begehrter machte. Ob gewollt oder nicht, Monopoly ist immer politisch. Duch das materialistische Ziel des Spiels und die Auswahl der Straßen- beziehungsweise Städtenamen entspricht der Spielplan dem jeweiligen Ideal einer Stadt oder eines Staates. Ein Beispiel ist die israelische Version, wo es nur Straßennamen und Städte gibt, die vorwiegend jüdisch besiedelt oder zionistische Neugründungen sind. Arabisch besiedelte Städte wie Bethlehem kommen nicht vor. Wie verbreitet das Spiel schon im Europa der Vierziger Jahre war, zeigt die Tatsache, dass es sogar eine Ausgabe namens Ghetto gab, deren Spielplan dem Konzentrationslager Theresienstadt nachempfunden und dort per Hand hergestellt wurde. Die erste deutsche Ausgabe war bereits 1937 erschienen, verkaufte sich jedoch schlecht. Eine deutsche Neuausgabe erschien 1953 und wurde sofort erfolgreich. Dieses Mal war der Spielplan nicht Berlin nachempfunden, sondern zeigte eine fiktive westdeutsche Stadt. In Österreich gab es vor der Einführung einer österreichischen Monopoly-Version sehr ähnliche Spiele wie Business, Spekulation und DKT - Das kaufmännische Talent. Der Wiener Spielehersteller Piatnik lizensierte Monopoly für Österreich; seit 1991 werden österreichische Ausgaben (unter anderem die Standardversion und Monopoly Banking) von Hasbro unter dem Label Parker Brothers vertrieben.

Wie die meisten Brettspiele, die über Jahrzehnte hinweg erfolgreich sind, so ist auch Monopoly das Ergebnis einer langen Entstehungs- und Optimierungsgeschichte. Andreas Tönnesmann beschreibt die Niederlagen und Erfolge der Vorgängerversionen und porträtiert die Entwickler bis hin zu Elizabeth Magie Phillips, die die Spielidee, die Monopoly zugrunde liegt, schon unter dem Namen The Landlord’s Game umgesetzt hatte. Bis heute gilt sie vielen als die eigentliche Erfinderin von Monopoly. Es war aber erst Charles B. Darrow, der das Spiel mit einem stabileren Spielplan, gedrucktem Spielgeld, Chance- und Gemeinschaftskarten und Geschenkkarton zum gebrauchstüchtigen Luxusprodukt machte und unter dem Namen Monopoly lizenzieren ließ. 1935 verkaufte er es an Parker Brothers. Der Traum vom großen Geld für jedermann, der Monopoly zugrunde liegt, wurde für Darrow wahr: Es machte ihn zum Millionär.

Maß und Raum

Eigentlich, so Tönnesmann, ist Monopoly "ein Unding von einem Spiel: Es dauert zu lang und bietet kein klares Ziel und keine Wahlmöglichkeit des Ziehens, es appelliert an niedrige Instinkte und hat so unsinnige Regeln, dass man kaum umhinkommt, sie planmäßig zu brechen". Dafür biete es "Topographie und Form, Maß und Raum in Fülle, ja in Vollendung". Monopoly sei zwar Spiel, vor allem aber Stadt. "Eine Stadt in der nichts funktionieren muss, in der aber alles seinen Ort gefunden hat, die allen gehört und jedem Heimat bietet." Eine fiktive Stadt mit Anklängen an die Realität, in der sich sowohl Gewinner als auch Verlierer garantiert zurechtfinden - ein wichtiges Erfolgskriterium für den weltweiten Siegeszug des Spiels im Kalten Krieg. Und für den sofortigen Erfolg von Darrows Version während der Depression der 1930er Jahre.

Insofern ist Monopoly Erzeugnis, aber auch Zeuge der Moderne, gespielte Utopie und als Idealstadt zugleich eine Allegorie der idealen Gesellschaft. Diese Idealstadt ist angelehnt an reale Städte, beziehungsweise Staaten, vereinigt jedoch viele, sich teils widersprechende wirtschafts- und staatstheoretische Ideen in sich. Anders als alle früheren Wirtschaftsspiele ist Monopoly zwar erst beendet, wenn - der Name sagt es - ein Spieler das Monopol hat, also alle Vermögenswerte auf sich vereint, die außerhalb der Bank in Umlauf sind; die Bank ist jedoch - anders als in der Realität - schier endlos zahlungsfähig und nicht auf die Mehrung des eigenen Kapitals aus, sondern auf das Wohl aller.

Künstliches System

Im Spielverlauf kommt durch das Ziehen über "Los" und verschiedene Ereigniskarten immer mehr Geld ins Spiel. Dieses Geld ermöglicht es den Spielern erst, viele Grundstücke zu kaufen und Häuser zu bauen. Anders als im realen Kapitalismus ist auch, dass alle Spieler über das gleiche Startkapital verfügen und jeder Hypotheken aufnehmen kann. Das Wirtschaftssystem bei Monopoly ist also ein künstliches, eines, das nicht nur kapitalistische, sondern auch egalisierende Elemente enthält, dessen Regeln manchmal einfach im Spielverlauf begründet sind. Ein Beispiel dafür sind die absurd niedrigen Immobilienpreise und die unverhältnismäßig hohen Mieten. Bei normalen Mieten würde das Spiel viel zu lange, vielleicht gar endlos dauern.

Auch nach 76 Jahren ist Monopoly nicht alt und verknöchert. Ständig enstehen neue Varianten, vielleicht spiegelt sich in einer der nächsten die aktuelle Unzufriedenheit mit der Macht der Finanzmärkte. Da so viele Menschen das Spiel kennen, verwundert es auch nicht, dass Anspielungen darauf auch immer wieder in Kunst und Medien auftauchen: Der deutsche Musiker Klaus Lage singt im Refrain seines Lieds "Monopoli": "Wir sind nur die Randfiguren in einem schlechten Spiel (. . .) Und die in der Schlossallee verlangen viel zu viel." Bushido rappt: "Und Berlin ist wie Monopoly, ich kauf mir jetzt die Straßen". In einer Folge der Simpsons erwähnt Mr. Burns, dass er das Elektrizitäts- und das Wasserwerk sowie ein Hotel auf der Badstraße besitzt; das Männchen aus dem Monopoly-Logo tritt in der Serie auch öfters in Erscheinung. Der US-Regisseur Ridley Scott plant derzeit eine actionreiche Monopoly-Verfilmung. Der Run auf das große Geld geht weiter.

Jeannette Villachica, geboren 1970, lebt als Kultur- und Reisejournalistin in Hamburg.

Andreas Tönnesmann: Monopoly: Das Spiel, die Stadt und das Glück.Wagenbach Verlag, 144 Seiten mit vielen, teils farbigen Abbildungen. 23,60 Euro.