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Jesus als Schlachtenhelfer

Von Johann Werfring

Wissen
Die Kreuzesvision Kaiser Konstantins.
© © Herbert Stöcher/Böhlau

Als Kaiser Konstantin, den wir heute als "den Großen" in Erinnerung halten, im Jahr 312 seinem Kontrahenten Maxentius entgegenzog, verfügte er zahlenmäßig nicht einmal über die Hälfte jener Truppenstärke, die sein Gegner aufzubieten hatte. Wie überliefert ist, hatte Konstantin vor der entscheidenden Schlacht im Traum eine Vision: Eine himmlische Erscheinung in Form eines strahlenden Kreuzes, so wird berichtet, habe ihm die Worte "In hoc signo vinces" ("In diesem Zeichen wirst du siegen") signalisiert. Daraufhin ließ der Kaiser auf die Schilde seiner durchwegs heidnischen Soldaten das Christusmonogramm mit den griechischen Buchstaben X (= Chi) und P (= Rho) aufmalen und zog mit Jesus als Schlachtenhelfer seinem Feind entgegen.

Die Hilfe übernatürlicher Wirkmächte hatte bei kriegerischen Auseinandersetzungen nicht nur in der Antike, sondern auch das ganze Mittelalter hindurch und sogar bis weit in die Neuzeit hinein einen wichtigen Stellenwert. In der Merowingerzeit ließen Könige den Mantel des Martin von Tours vorantragen, wenn sie in die Schlacht zogen und machten den Heiligen solcherart post mortem zum Schlachtenhelfer.

Auch bei der für die weitere Geschichte des Abendlandes so bedeutsamen Schlacht am Lechfeld bei Augsburg im Jahr 955, bei der die damals noch heidnischen Magyaren in ihrer Angriffslust ein für allemal entzaubert wurden, leistete ein Heiliger - und zwar in Form eines aufgemalten Feldzeichens - Beistand, nämlich der Erzengel Michael. Und zur Zeit der mittelalterlichen Kreuzzüge hatte der englische König Richard Löwenherz den heiligen Georg als Schlachtenhelfer im Tornister.

Der christliche Sieg

Zurück zu Konstantin dem Großen: Als er am 28. Oktober 312 bei der Milvischen Brücke gegen Maxentius den Sieg davontrug, glaubte der Kaiser felsenfest daran, dass diese glückliche Fügung in hohem Maße auf den Beistand des numinosen Schlachtenhelfers, mit dessen Feldzeichen er in den Krieg gezogen war, zurückzuführen war. Auf die weitere Entwicklung des Christentums hatte diese kaiserliche Ansicht einen immensen Einfluss. Noch im Jahr 303 - also nur drei Jahre vor Konstantins Regierungsantritt - hatte unter Kaiser Diokletian die brutalste Christenverfolgung in der Geschichte des Römischen Reiches stattgefunden. Nach den Ereignissen bei der Milvischen Brücke wurde dem Christentum hingegen eine staatliche Protektion zuteil, die zuvor niemand für möglich gehalten hätte. Historiker sprechen in diesem Zusammenhang von der "konstantinischen Wende", die eine neue Epoche einleitete und der christlichen Kultur nachhaltig zum Siegeszug verhalf.

Ein Kirchenfenster in der Breitenseer Pfarrkirche in Wien-Penzing zeigt Konstantin im Moment der Kreuzesvision. Die Strahlen des Kruzifixes scheinen auf den würdig blickenden Kaiser, der in der Ostkirche bis heute als ein Heiliger verehrt wird, abzufärben. Der Künstler hat dem Pferd, dessen Auge weit aufgerissen ist, einen geradezu wissenden Gesichtsausdruck eingeschrieben. Die Sonne, die im linken unteren Bildausschnitt über der Stadt Rom leuchtet, wird in hohem Maße vom Lichterglanz des Kreuzes überstrahlt. Der Engel weist den Kaiser auf die Kreuzesumschrift hin: "In hoc signo vinces".

Auch auf anderen Fenstern der Breitenseer Pfarrkirche taucht das Kreuzesmotiv mit speziellen Bezügen zu Herrschern auf. Indes handelt es sich in allen anderen Fällen um Kreuzes-Szenen mit rein habsburgischen Bezügen. So etwa ist ein eigenes Fenster Rudolf I. gewidmet, der die jahrhundertlange Herrschaft der Habsburger in Österreich fundierte. Die dargestellte Szene bezieht sich auf die Situation nach der Königswahl. Rudolf wollte die Kurfürsten, die ihn gewählt hatten, sogleich vereidigen. Schon schien dieses Ansinnen zu scheitern, weil das erforderliche Schwurszepter nicht verfügbar war, da ergriff Rudolf geistesgegenwärtig ein im Raum befindliches Kreuz und hielt es den Fürsten anstelle des Szepters zum Schwur entgegen. Dem dargebotenen Kreuz konnten sich die erlauchten Herren freilich nicht verweigern - somit war die Situation gerettet, die Macht des Königs gefestigt und die Herrschaft des Hauses Habsburg auf allerhöchster Ebene begründet.

Eine weitere in einem Fenster dargestellte Geschichte handelt zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, der im Mai 1618 seinen Anfang genommen hatte. Rund ein Jahr darauf fand ein Ereignis statt, welches als "Sturmpetition" in die Geschichtsbücher Eingang gefunden hat: Am 5. Juni 1619 wurde der katholische Erzherzog Ferdinand (der nachmalige Kaiser Ferdinand II.) in der Wiener Hofburg von einer Gruppe von 50 evangelischen Adeligen mit der Forderung nach Religionsfreiheit "bestürmt". Schon sah es danach aus, dass es zu Handgreiflichkeiten kommen würde, da preschte eine Kompanie kaiserlicher Soldaten auf ihren Pferden in den Burghof. Nachdem die Adeligen dachten, die Soldaten wären eigens zu ihrer Verhaftung angerückt, ließen sie von Ferdinand ab und mäßigten sich.

Im Nachhinein brachte Ferdinands Biograf Wilhelm Lamormaini, ein Jesuit, die Geschichte in Umlauf, dass der Kaiser in seiner Bedrängnis stundenlang vor seinem Kruzifix gebetet habe. Plötzlich sei die Stimme des Gekreuzigten erklungen: "Non te relinquam" ("Ich werde dich nicht verlassen"). Dieses "Ferdinandkreuz", das später Angehörigen des Hauses Habsburg in ihrer Sterbestunde ans Bett gebracht wurde, ziert heute noch den Tabernakel der Wiener Hofburgkapelle.

Schließlich sei noch jenes Kirchenfenster betrachtet, das den Kapuzinerpater Marco d’Aviano mit seinem wundertätigen Kreuz zeigt. Der im Jahr 2003 von Papst Johannes Paul II. selig gesprochene Pater mit dem Beinamen "Die Seele der Befreiung Wiens" spielte während der Zweiten Türkenbelagerung Wiens im Jahr 1683 als geistlicher Beistand der Verteidiger eine besondere Rolle. Während der Schlacht um Wien ging er, sein Kreuz in Händen, zu den Soldaten, sprach ihnen Mut zu und segnete sie.

Populäre Erinnerung

Im Kirchenfenster ist dargestellt, wie der Kapuzinerpater vor der entscheidenden Schlacht mit dem Kreuz in der Hand am Leopoldsberg die christlichen Heerführer segnet. Mithin fungiert Jesus auch beim Kampf gegen die Osmanen als Schlachtenhelfer.

Es ist davon auszugehen, dass die überwiegende Mehrzahl der Wiener heute mit jenen Motiven, die in den Fenstern der Breitenseer Pfarrkirche dargestellt sind, kaum irgendetwas zu assoziieren imstande ist. Stefan Malfèr hat eine Fülle von Schul- und populären Lesebüchern aus der Zeit der ausgehenden Donaumonarchie gesichtet und dabei herausgefunden, dass zur Bauzeit der Kirche die mit dem Kreuz in Zusammenhang stehenden Geschichten über Kaiser Konstantin den Großen, König Rudolf I., Erzherzog Ferdinand, Marco d’Aviano und weitere in Breitensee dargestellte Akteure der Weltgeschichte praktisch jedes Kind gekannt hat.

Auch ist heute kaum noch bekannt, dass die Breitenseer Pfarrkirche zu jenen Gotteshäusern zählt, die Kaiser Franz Joseph I. zu einem seiner Regierungsjubiläen gewidmet wurden. 1898 beging der Monarch sein 50-jähriges Regierungsjubiläum, zu dem die Breitenseer mit der neuen Kaiser-Jubiläumskirche gratulierten. Alleine schon die im Buch abgehandelten Umstände, die zum Kirchenbau führten, erhellen interessante Details aus der Mentalitätsgeschichte der alten Donaumetropole.

Stefan Malfèr hat sich auch eingehend mit der vordergründig unscheinbaren, jedoch bemerkenswerten Persönlichkeit des in Breitensee wirkenden Priesters Ferdinand Ordelt auseinandergesetzt, der den Kirchenbau initiierte und das Konzept erdachte, mit welchem dem Kaiser zu seinem Jubiläum gehuldigt werden sollte. Insbesondere wurde die Huldigung mit der Darstellung habsburgischer Kreuzesfrömmigkeit in den Kirchenfenstern umgesetzt - ein Umstand, der bisher völlig unbeachtet blieb. In detektivischer Forschermanier hat sich Malfèr den einzelnen Frömmigkeitsaspekten, die in ganz handfester Weise mit der habsburgischen Herrschaft verbunden waren, angenähert und seine Ergebnisse spannend und in klarer Gedankenführung für ein durchaus breites Lesepublikum aufbereitet.

Die habsburgische Kreuzesfrömmigkeit ("Pietas crucis"), die Malfèr auf unterschiedlichen Ebenen ortet, generierte aufgrund spezifischer Traditionen aus dem das Kreuz ergreifenden König Rudolf einen "habsburgischen Konstantin", in dessen Nachfolge sich das österreichische Kaiserhaus - auch offensiv propagandistisch - zu präsentieren verstand. Die erwähnte Kreuzesvision Ferdinands in der Wiener Hofburg verwendet ebenso den Topos des konstantinischen "In hoc signo vinces": Die Zusage des Gekreuzigten ihn nicht zu verlassen, so Malfèr, sei nicht als privater Trost für den Fall einer Niederlage zu interpretieren, sondern als Zusage, dass Ferdinand für seine Standhaftigkeit in der Bewahrung des "rechten Glaubens" belohnt und seine Gegner besiegt werden.

Noch stärker kommt dieser Topos bei der Erzählung über Marco d’Aviano zum Ausdruck: Es war ein Akt mit hoher Symbolkraft, als Kaiser Leopold I. nach dem Sieg über die Osmanen das auf der Spitze des Wiener Stephansdomes befindliche Zeichen mit Stern und Halbmond entfernen und an dessen Stelle ein Kreuz mit der Aufschrift "In hoc signo vinces" anbringen ließ.

Kreuz und Thron

Höchst beeindruckend versteht es der Autor, die habsburgische Kreuzesfrömmigkeit mit vielerlei anderen Aspekten der Geschichte Österreichs und speziell Wiens in Verbindung zu setzen. Bemerkenswerterweise haben Malfèrs Forschungen auch ergeben, dass der Breitenseer Kirchenfenster-Zyklus der Kreuzesfrömmigkeit thematisch ein einzigartiges und zugleich künstlerisch hoch stehendes Monument zur Geschichte des Hauses Habsburg darstellt.

Die Breitenseer Pfarrkirche wurde nach nur zweieinhalbjähriger Bauzeit am 8. Oktober 1898 eingeweiht, und zwar im Beisein des Jubilars, Kaiser Franz Joseph I. Die bunten Glasfenster waren zum Zeitpunkt der Kirchenweihe zwar erst teilweise vorhanden, jedoch lobte der Monarch den Breitenseer Kirchenbaumeister Ludwig Zatzka (wohl auch stellvertretend für alle Beteiligten) mit den Worten "Sie haben etwas Schönes geschaffen; ich mache Ihnen mein Kompliment."

Johann Werfring, geboren 1962, ist Historiker und Kolumnist der "Wiener Zeitung" ("Museumsstücke", ,"Werfrings Weinjournal").

Stefan Malfèr: Kaiserjubiläum und Kreuzesfrömmigkeit. Habsburgische
"Pietas Austriaca" in den Glasfenstern der Pfarrkirche zum heiligen Laurentius in Wien-Breitensee. Mit Farbtafeln von Herbert Stöcher, Böhlau Verlag, 2011, 144 Seiten, 29,90 Euro.