
"Aqui nasceu Portugal" - "Hier wurde Portugal geboren", erinnert ein weißer Schriftzug entlang der alten Stadtmauer von Guimarães an die historische Geburtsstätte des Landes. João Manuel zeigt mit dem Finger auf die großen Buchstaben und lächelt königlich. "Dahinter liegt die Wiege der Nation", sagt der 69-jährige, leicht ergraute Portugiese. Zumindest will es so die geschichtliche Überlieferung. Als gebürtiger Vimaranense, wie die Einwohner von Guimarães genannt werden, ist João Manuel stolz darauf, aus der ersten Königsstadt Portugals zu kommen.
Anfang des 8. Jahrhunderts war die Iberische Halbinsel beinahe vollständig unter maurische Herrschaft gefallen. Der (vermutlich) in Guimarães geborene Alfons, Graf von Portucale, eroberte 1139/40 große Teile des heutigen portugiesischen Staatsgebietes von den Mauren zurück. Nach der Befreiung ernannte sich der junge Graf selbst zu König Alfons I. und Guimarães zur ersten Hauptstadt seines neuen Reiches. Seitdem wird die Stadt im Braga Distrikt mit nationaler Identität assoziiert. Rund 900 Jahre später hat Guimarães wieder einen Grund zum Feiern. Neben dem slowenischen Maribor (Marburg) darf sich die junge Universitätsstadt "Kulturhauptstadt Europas" nennen.
Bewohnerbeteiligung
Als Teil von "Eu sou Guimarães" ("Ich bin Guimarães") hat João Manuel gelernt, die Besucher in "seiner" Stadt willkommen zu heißen. Seit einigen Monaten finden regelmäßige Versammlungen statt, bei denen die Organisatoren von Guimarães 2012 versuchen, die Bewohner in das Kulturjahr zu involvieren. Vorwiegend werden dabei im Tourismus arbeitende Personen angesprochen, aber auch andere Interessierte sind willkommen. João Manuel führt seitdem Touristen unentgeltlich durch die Stadt, erklärt ihnen Geschichte und gibt Hintergrundinformationen - alles im Sinne einer europäischen Kulturhauptstadt.
Hinter der Stadtmauer von Guimarães eröffnet sich eine mittelalterlich anmutende Filmkulisse wie aus einem Geschichtsbuch. Über enge Gässchen spannen sich kunstvolle Steinbögen. Schattige Kreuzgänge verstecken sich hinter unscheinbaren, zierlichen Holztüren. Alte Herrenhäuser mit verzierten Kachelfassaden umrunden mit Pflasterstein ausgelegte Plätze. Bewohner unterhalten sich durch holzgeschnitzte Balkonfenster mit ihren Nachbarn oder rauchen genüsslich Zigaretten. Dabei beobachten sie gelangweilt das rege Treiben auf den Straßen, in denen Verkäufer vor ihren Läden Textilerzeugnisse und Schuhe anbieten. Zwei Tauben turteln auf einem der vielen Mansardendächer zu portugiesischer Fado-Musik. In den Gastgärten der Restaurants servieren die verschlafenen Kellner Portwein, Bohneneintopf und bacalhau - traditionellen Stockfisch, für den es in Portugal 1001 verschiedene Rezepte geben soll. Bisher frequentieren hauptsächlich portugiesische Touristen die verlockend aussehenden Gastgärten. Im nächsten Jahr sollen auch ausländische Touristen anbeißen.
"Sieh nur!", sagt João Manuel und zeigt auf eine offene Balkontür im ersten Stock. Zwischen gusseisernen Gitterstangen und dicken Blumentöpfen lächelt ein Abbild der Mona Lisa von der Wand herunter. João Manuel lächelt zurück. Er hat den Charme der verträumten Kleinstadt längst erkannt. Seit den 1980er Jahren arbeitet die Gemeinde an der Restaurierung des historischen Zentrums - allen voran Fernando Távora und Alexandra Gesta, zwei Architekten im Dienste der Stadtverwaltung.
Guimarães erhielt etliche nationale und europäische Preise für die exemplarische Entwicklung der nordportugiesischen Architektur. 2001 ernannte die UNESCO Guimarães zum Weltkulturerbe. Heute beobachten ein paar installierte Überwachungskameras die Bewohner Schritt für Schritt. Als erste portugiesische Stadt beantragte Guimarães 1990 die Genehmigung für eine Videoüberwachung, um seine steinerne Innenstadt vor Vandalen und Randalierern zu beschützen.
Üppige, grüne Hügel des Granitberges Serra da Penha umgeben den gut konservierten Stadtkern von Guimarães. Der Duft von Kamillenbäumen strömt durch die Luft. Eine Seilbahn führt zur Kirche Nossa Senhora am höchsten Punkt des Penha-Berges. Über in Stein geschlagene Terrassen und endlose Weingärten in allen Grüntönen führt der Weg durchs Hinterland nach Porto, das keine fünfzig Kilometer entfernt liegt.
Nach Lissabon 1994 und Porto 2001 ist Guimarães bereits die dritte portugiesische Stadt, die zur europäischen Kulturhauptstadt ernannt wurde. "Das war nur eine Frage der Zeit", sagt João Manuel. "Schon vor dem Projekt Europäische Kulturhauptstadt galt Guimarães als Zentrum der portugiesischen Kultur." Der pensionierte Handwerker glättet seinen perfekt gestutzten, buschigen Schnauzer. Das Kreuz an seinem goldenen Halskettchen glitzert in der Sonne.
Chancen für die Stadt
Guimarães ist eine Kleinstadt mit rund 60.000 Einwohnern, viele davon arbeitslos. Da jeder zweite Bewohner unter dreißig Jahre alt ist, zählt die Gemeinde zu den jüngsten Europas. Diese historisch bedeutende Stadt der Welt schmackhafter zu machen wird eine Herausforderung, aber auch eine Chance für Bewohner wie João Manuel. "Während unsere Stadt vor sich hinschlummert und darauf wartet, entdeckt zu werden, fahren Touristen lieber nach Porto", sagt der Vimaranense. "Hierher verirrt sich fast niemand." Das soll sich nun ändern.