"Unser Stadtrat rechnet 2012 mit eineinhalb Millionen Besuchern", fügt der Pensionist hinzu. Für diese Phantasiezahl hat der Stadtrat auch tief in die Taschen gegriffen und dem bereits von Inflation geschädigten Portugal damit keine Freude bereitet. 25 Millionen Euro - im europäischen Vergleich mit anderen Kulturhauptstädten ein durchaus mittelmäßiges Budget - wurden in 500 "kulturelle Aktivitäten" investiert. Darüber sind nicht alle Portugiesen erfreut. "Zumindest haben wir dann wieder etwas, womit unsere Musiker ihre Saudade füttern können", meint João Manuel skeptisch. Er lächelt verschmitzt: "Ja, wir bleiben ein Sorgenkind Europas, aber wir haben Kultur."

Über die hohen Staatsschulden, das niedrige Bildungsniveau und eine Arbeitslosigkeit von rund 13 Prozent will der Portugiese nicht näher nachdenken. Guimarães bezieht rund 70 Prozent seiner Einkünfte durch Textil-Produktion. Die Organisatoren von Guimarães 2012 sehen die "zukunftsorientierten Kulturinvestitionen" als Möglichkeit, der Stadt und dem Land eine Chance auf "finanzielle und soziale Genesung" zu geben.
Die breite Palette des kulturellen Angebots für 2012 reicht von Musik, Architektur und Kino bis hin zu Ausstellungen, Konferenzen und Workshops inner- und außerhalb Guimarães. 750 Freiwillige werden dabei mithelfen, ein unvergessliches Jahr zu gestalten. Neben 5000 portugiesischen sollen auch 1000 internationale Künstler an dem Jahresevent teilnehmen. Die Besucher erwartet ein vielfältiges Programm. "Mit prominenter Besetzung", fügt João Manuel hinzu. So werden beispielsweise der englische Theaterregisseur Peter Brook, der portugiesische Stararchitekt Álvaro Siza Vieira oder der französische Filmemacher Jean-Luc Godard nach Guimarães kommen. Auch der peruanische Literatur-Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa hat sich für 2012 angekündigt - einer der Höhepunkte des Kulturjahres. Daneben gibt es die alljährlichen Theateraufführungen, Lyriklesungen, Raum- und Lichtinstallationen.
Guimarães versteht sich als kreativer Umschlagplatz, als "Stadt der Ideen". Infolgedessen entstanden für das Kulturjahr die vier Themenfelder "Denken", "Stadt", "Community" und "Künste". Auf das Schlagwort "Networking" haben die Organisatoren wohl vergessen, wenngleich es an oberster Stelle ihrer Planung zu finden ist. Im Konzept von Guimarães 2012 stehen nicht die Festivitäten, sondern die Menschen im Vordergrund. So wird es den Besuchern möglich sein, mit den verschiedenen Künstlern persönlich zu interagieren. Um den Marktplatz herum sollen die Kreativen in Künstlerresidenzen "angesiedelt" werden, die später die Kenntnisse, Erfahrungen, Gemeinsamkeiten und Kontakte weiterleben und entwickeln sollen. Wenn das Kulturjahr vorbei ist und Guimarães den Titel an Marseille und Koice (Kaschau) weitergibt, erwartet sich die Kleinstadt eine verbesserte Infrastruktur für Arbeit und Leben.
João Manuel steigt die hohen Stufen der mittelalterlichen Burgmauer empor. Geländer, an dem er sich anhalten könnte, gibt es keines. Dafür warnt ein Schild vor der Rutschgefahr. "Das müssen wir auf die Reihe kriegen, bevor es losgeht", sagt der Pensionist "sonst fällt uns da noch irgendwann einmal jemand hinunter." Er grinst verlegen. Oben angekommen, stützt sich João Manuel auf die mannshohen Zinnen und blickt verträumt auf "seine" Stadt.
Nationalmonument
Die romanische Burg Castelo de Vimaranes stammt aus dem 10. Jahrhundert und gilt als Wahrzeichen der Stadt. Ihr verdanken die Bewohner von Guimarães auch den Namen Vimaranense. Nachdem Diktator António Salazar 1932 Portugals Regierung übernahm, ließ er die Festungsanlage komplett erneuern. Nur auf die Geländer hatte er wohl vergessen. Heute zählt das Castelo zu den besterhaltenen romanischen Burgen Portugals und Guimarães gilt als Wallfahrtsort für Portugiesen.
Eine Gedenktafel zeigt Alfons I., wie er symbolisch als Zeichen des Unabhängigkeitssieges einen Lorbeerkranz in die Höhe hält. Eine lebensgroße Statue des Nationalhelden bewacht die Burg. Wenig verwunderlich hat sich aus dem Helm des Nationalhelden auch das herzförmige Logo des Kulturjahres entwickelt.
Zum Abschied gibt João Manuel noch einen Tipp. Seit über hundert Jahren findet am ersten Augustwochenende in Guimarães das Gualterianas statt. "Im kommenden Jahr (von 5. bis 8. August 2012) wird dieses Volksfest etwas Einzigartiges", sagt der Pensionist. "Mit Feuerwerk, Blumenschlacht, Stierkampf, Umzug, Live-Musik und portugiesischen Köstlichkeiten."
Martin Zinggl, geboren 1983, lebt als Autor, Journalist und Dokumentarfilmer in Wien.