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"Kampf gegen die Kaiserei"

Von Oliver Bentz

Wissen

"So kommt es, dass man Harden liest wie Historie, ja wie einen groß-satirischen Roman von einem Volke, dessen handelnde und schachernde Personen allerdings noch heut ihr Wesen treiben. Was von 1870 bis 1918 an Explosivstoffen aus Dummheit, Anmaßung und Verlogenheit gemengt wurde, wir können es hier als nun Unabänderliches ruhig konstatierend nachschlagen . . ."

Als der Schriftsteller Walter Mehring 1924 mit diesen Worten den großen Kritiker des Kaiserreichs, den Publizisten Maximilian Harden und dessen Zeitschrift "Die Zukunft" würdigte, war die preußische Monarchie längst untergegangen - und Maximilian Harden schon weitgehend vergessen. In den Jahrzehnten zuvor war dies noch ganz anders gewesen. Da erwarteten Tausende Leser jede Woche sehnsüchtig die Hefte einer von Harden seit 1892 herausgegebenen Zeitschrift, auf deren Umschlag in roter Frakturschrift das Wort "Die Zukunft" prangte. Denn Harden und seine "Zukunft" waren, so Harry Graf Kessler, für die Gegner des Wilhelminismus das "Symbol der unermüdlichen Opposition gegen den Kurs, der Deutschland in den Abgrund führte".

Harden, gezeichnet von Benedikt Fred Dolbin.Bild: Sammlung Bentz
© © Oliver Bentz

Theatralischer Beginn

Vor 150 Jahren, am 20. Oktober 1861, unter dem Namen Felix Ernst Witkowski in Berlin als Sohn eines jüdischen Seidenhändlers geboren, erlebte Maximilian Harden eine freudlose Kindheit. Als der unter Wahnvorstellungen leidende Vater ihn mit zwölf Jahren zwingen wollte, das Französische Gymnasium in Berlin zu verlassen und Kaufmann zu werden, flüchtete der Junge zur von ihrem Mann getrennt lebenden Mutter. Sie erlaubte ihm im Alter von nur vierzehn Jahren eine Schauspielausbildung, nach der er mit einer Wandertruppe bis 1884 durch Deutschland tingelte. Weil der Vater nach ihm suchen ließ, legte er sich in diesen Jahren den Namen Maximilian Harden zu.

Harden, der wohl merkte, dass es im Schauspielberuf nicht zu höchsten Weihen reichen würde, wandte sich in der zweiten Hälfte der 1880er Jahre dem Journalismus zu. Er arbeitete als Theaterkritiker für in- und ausländische Zeitungen und schrieb geschliffene Pamphlete und beißende Satiren über Politik und das geistige Leben seiner Zeit, die etwa in Theodor Wolffs legendärem "Berliner Tageblatt" erschienen und ihn in der Öffentlichkeit mit der Zeit bekannt machten.

Je länger er Journalismus betrieb, desto überzeugter wurde Harden davon, dass große Teile der Presse seiner Zeit korrupt, staatshörig und alles andere als unabhängig waren. So beschloss er 1892, seine eigene Zeitschrift zu gründen. "Die Zukunft" nannte er das Blatt, das er zusammen mit dem Verleger Georg Stilke ins Leben rief.

In einem Aufruf, in dem er im September 1892 Politiker, Journalisten, Künstler und Wissenschaftler zur Mitarbeit an der "Zukunft" einlud, versprach Harden, dass sein Blatt jedem offen stehe, "der an der Gesundung unserer Zustände auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens mitarbeiten will und der eine eigene Überzeugung in literarischen Formen auszusprechen vermag". Ungeachtet ihrer zahlreichen prominenten Mitarbeiter blieb die Zeitschrift aber das Werk von Maximilian Harden.

Um gegen den Kaiser und seinen (Hof)-Staat anzuschreiben, verbündete sich Harden mit dem von Wilhelm II. 1890 aus dem Amt gedrängten und zürnenden Bismarck ebenso, wie mit anderen, die der Kaiser aus seiner Entourage verstoßen hatte. Von keiner gesellschaftlichen oder politischen Gruppe ließ sich der höchst eigensinnige Schreiber dabei aber instrumentalisieren: "Er war" charakterisiert ihn Friedrich Karl Fromme, "gegen den Kaiser - bis hin zur Majestätsbeleidigung -, aber nicht links. Auch gegen Bebel. Engagiert für die konservativen Ziele des Bundes der Landwirte. Für die Gewinnung von Lebensraum vor dem Ersten Weltkrieg, später gegen den unbeschränkten U-Boot-Krieg ."

Das erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts war es, in dem Maximilian Harden mit seiner Zeitschrift die größte Aufmerksamkeit erzielte. Anlass dafür waren seine publizistischen Angriffe auf den Kaiser, dessen Entourage und damit auf das von ihm so genannte "persönliche Regiment" Wilhelms II..

Der Höhepunkt seines persönlichen Feldzuges gegen den Kaiser war 1906 die sogenannte "Eulenburg-Affäre", die in die deutsche Presse- und Justizgeschichte einging: In einer Artikel-Serie beschuldigte Harden die Hofkamarilla um Wilhelm II., ihre Stellung dazu auszunutzen, sich persönlich zu bereichern. Den engen Freund des Kaisers, Fürst Philipp zu Eulenburg und Hertefeld, outete er - angeblich von Bismarck zugesteckte Informationen nutzend -, homosexuell zu sein und einen Meineid geschworen zu haben. Ein riesiger Skandal mit mehreren Sensationsprozessen folgte, in denen Homosexualität zum großen Thema wurde. Es kam nicht zu einer Verurteilung Eulenburgs, aber dem in diesem Fall das journalistische Ethos nicht sehr hochhaltenden Maximilian Harden war es gelungen, das Ansehen des Kaiserhauses und seiner Günstlinge in seinen Grundfesten ebenso zu erschüttern, wie das der parteiischen Justiz.

Karl Kraus und Harden

Karl Kraus, der in Wien zu den Verehren Hardens zählte und sich bei der Gründung seiner Zeitschrift "Die Fackel" nicht wenig von ihm inspirieren ließ, reagierte auf die Tatsache, dass Harden in seinen Attacken Privates in die Öffentlichkeit zerrte, 1907 mit dem Pamphlet "Maximilian Harden. Eine Erledigung", in dem er mit dem einstigen "Vorbild" und Gönner abrechnete. Aus heutiger Sicht bilanziert der Journalist Klaus Podak Hardens damaliges Handeln: "Die Eulenburg-Affäre war der Höhepunkt von Hardens in diesem Fall fast neurotischer Wahrheitsverfolgungsjagd. Sie verschaffte ihm Aufmerksamkeit - es war Kampagnen-Journalismus der härtesten Sorte. "

Auch in seinen Büchern, etwa dem ersten, der 1888 erschienenen und noch heute lesenswerten Schrift "Berlin als Theaterhauptstadt", in der er besonders auch die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen des Theaterlebens kritisch betrachtete, zeigte sich Harden als der kämpferische Publizist, als der er in die Pressegeschichte eingehen sollte. Und mit seiner literarischen Porträtreihe "Köpfe" (1910 bis 1924 erscheinen vier Bände) gibt er in Biographien ein Panorama seiner Zeit, das noch heute durch seine sprachliche Schärfe besticht.

Durch mehrmalige Konfiszierungen und Verbote seiner Zeitschrift ließ sich Harden ebenso wenig von seinem Kampf gegen den Wilhelminismus abbringen, wie durch Verurteilungen wegen Majestätsbeleidigung und Haftstrafen: "Ich habe, ganz einsam, den Kampf gegen die Kaiserei geführt. 7 Anklagen, 3 Verurteilungen; 12 1/2 Monate Festung Weichselmünde (grässlich). Im Krieg unzählige Konfiskationen; 2 Dauerverbote von je 5 Monaten; Ruin der Zeitschrift. Schutzhaft, Arbeitspflicht angedroht. Keine Konzession, nie die Kleinste. Auch nicht dem neuen Regime, das ich früh durchschaut habe.", zog Harden später in den zwanziger Jahren in einem Brief an Kurt Tucholsky seine Lebensbilanz als Publizist.

Wenige Tage nach dem Mordanschlag auf seinen früheren Freund und deutschen Außenminister Walther Rathenau am 24. Juni 1922 wurde auch Harden vor seinem Haus in der Villenkolonie an der Königsallee in Berlin-Grunewald Opfer eines politischen, der nationalistischen und antisemitischen Verblendung der Zeit geschuldeten Anschlages: "Am dritten Juli 1922 wurde Maximilian Harden auf offener Straße von einem früheren Oberleutnant angehalten und mit einem eisernen Gegenstand bearbeitet." So berichtete Kurt Tucholsky, der Harden als "einen "Einzelgänger von Format und Einfluss" hoch schätzte, in der "Weltbühne" über das von Anhängern der Freikorps im Auftrag der Organisation "Consul" verübte Attentat. "Er erhielt acht Schläge auf den Kopf. Der Oberleutnant entfloh, sein Komplize, der Schmiere gestanden hatte, wurde verhaftet. Harden schwebte vierzehn Tage in Lebensgefahr." Der Prozess gegen die Täter geriet zur Farce, da man die wahren Hintergründe der Tat zu verschleiern versuchte.

Von den Folgen des Anschlages sollte sich Harden nie mehr richtig erholen. Aber schon vor der Gewalttat war Maximilian Hardens große Zeit zu Ende gegangen. Von einer Höchstauflage von angeblich 70.000 Exemplaren während der Eulenburg-Prozesse im Jahr 1908 fiel die Auflage der "Zukunft" auf etwa 1000 im Jahr 1920. Dreißig Jahre nach ihrer Gründung, am 30. September 1922, als nur noch 343 Abonnenten das Blatt bezogen, erschien unter dem Titel "Nach 30 Jahren" die letzte Nummer von Hardens Zeitschrift. "Sie hat keinen Grund mehr und kann getrost sterben", kommentierte er selbst nüchtern das Ende seines Blattes.

Der Mann, der Kaiser Wilhelm in vielen Charakterzügen wie etwa in seinem Geltungsdrang und seiner Theatralik so ähnlich war und den Monarchen wohl unweigerlich hassen musste, hatte mit dem Kaiser seinen Lieblingsfeind und damit sein Lebensthema verloren.

Maximilian Harden starb am 30. Oktober 1927 im vorzeitig selbst gewählten Exil in Montana-Verdana im schweizerischen Wallis. Das Erstarken und die Machtübernahme der Nazis in Deutschland musste er nicht mehr miterleben. Was mit ihm unter deren Herrschaft geschehen wäre, lässt der Nachruf erahnen, den der spätere Reichspropagandaminister Joseph Goebbels dem unbeugsamen Publizisten hinterherschickte: "Maximilian Harden ist der Typ der jüdischen Literaturbestie, die bedingungslos und ohne Rücksicht das Gastrecht des Wirtsvolkes missbraucht und ihren ewigen Trieb zur Zerstörung frönt. (...) Wir bedauern am Tode dieses Mannes nur, dass er uns die Möglichkeit genommen hat, auf unsere Art mit Isidor Witkowski abzurechnen."

Oliver Bentz, geboren 1969, lebt als Germanist. und Kulturpublizist in Speyer.

Hardens Coup

Dem Skandal um den Fürsten Eulenburg, den besten Freund und zeitweise wichtigsten Berater Kaiser Wilhelms II., der in den Jahren nach 1906 die Monarchie erschütterte, widmet sich Norman Domeier in seinem 2010 erschienenen Buch "Der Eulenburg-Skandal. Eine politische Kulturgeschichte des Kaiserreichs" (Campus Verlag, 433 Seiten). Anhand zahlreicher Quellen, darunter rund 5000 Presseartikel, dokumentiert der Autor den Skandal und liefert darüber hinaus eine Kulturgeschichte der Gesellschaft und Politik im wilhelminischen Deutschland.  O.B.