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Kampfflugzeuge als Geldanlage

Von Rudolf Stumberger

Reflexionen
Blick in das Cockpit der deutschen V1 aus dem Zweiten Weltkrieg.
© © Stumberger

Nein, vor einer wirtschaftlichen Rezession hat Alexander Kuncze keine Angst. Es ist doch schon ein sehr spezielles Geschäft, das er hier draußen im Gewerbegebiet von Geisenhausen nahe dem niederbayerischen Landshut betreibt. Wer einen ersten Blick in die mittelgroße Werkshalle wirft, glaubt sich zunächst eher an einen Altmetallhandel erinnert: Blechplatten in verschiedenen Größen lehnen an den Wänden, in einer Ecke sind mächtige Tanks aus Aluminium gelagert. In einem seitlichen Teil der Halle befinden sich mehrere schwere Drehbänke, von der Decke hängen massive Ketten. Überall liegen, lehnen und stehen seltsame Eisenteile.

Es ist knapp drei Jahre her, da standen zwei undefinierbare verrostete Metallzylinder in der Mitte der Halle. Nicht ganz vier Meter lang und mit einem Durchmesser von fast einem Meter erinnerten sie an einen Tank oder ein Torpedo. Wobei die letzte Anmutung der Wahrheit am nächsten kam: Die seltsamen Metallröhren hatten einen militärischen Zweck. "Das sind die Teile einer original Reichenberg", sagte Kuncze damals nicht ohne Stolz.

Graugrüne Tarnung

Mittlerweile haben sich diese verrosteten Teile unter seiner Hand verwandelt - wie ein Stück aus einer längst vergangenen Zeit steht heute die restaurierte V1 Reichenberg in der Mitte der Werkstatt. Mit der grüngrauen Tarnung der deutschen Luftwaffe, mit den zwei kleinen Flügeln, der Pilotenkabine und darüber das impulsgetriebene "Staustrahlrohr". In dem vorderen Teil ist eine 38-Zentimeter-Granate, wie sie vom Schlachtschiff Bismarck verwendet wurde, montiert. "Das war ein Wasserläufer‘", sagt Kuncze, "eine Version, die gegen Schiffe eingesetzt werden sollte." Diese V1 Reichenberg hat die Produktions-Nummer 27 und wurde von Henschel gebaut. Nun steht sie zum Verkauf. Geschätzter Preis: rund eine Million Euro.

Diese "V1 Fieseler Fi 103 R-4 Reichenberg" gehört zu den Dingen, die hier in Geisenhausen als Wracks oder in Teilen angeliefert werden - und nach einigen Monaten oder Jahren dann in neuem Glanze erstrahlend die Werkshalle wieder Richtung England, USA oder Berlin verlassen. Denn die bayerische Firma von Kuncze ist einer der ganz wenigen Betriebe in Deutschland, die historisches Kriegsgerät restaurieren.

Bis 1990 hatte der heute 61-Jährige sein Geld als Datenverarbeiter bei einer Münchner Versicherung verdient, dann gab er seinen gut bezahlten Job auf und widmete sich ganz seinem Hobby. Den Anfang machte er mit einem Auktionshaus für Ersatzteile von historischen militärischen Flugzeugen und Fahrzeugen. Dann fing er selbst an zu restaurieren, zog mit seiner Familie nach Geisenhausen und mietete die Halle an.

Es ist schon ein bizarrer, aber millionenschwerer Markt, für den die restaurierte V1 Reichenberg gedacht ist. So bizarr wie die Geschichte des Fluggerätes. Dazu muss man in die letzten Kriegsjahre 1944 und 1945 zurückgehen. Dieser Krieg bestand für das nationalsozialistische Deutschland seit Stalingrad zunehmend aus militärischen Niederlagen. Wunderwaffen sollten dieses Schicksal nach Willen der Machthaber in Berlin abwenden. V1 stand für ein unbemanntes Geschoss, das von einem Staustrahlrohr angetrieben über den Ärmelkanal nach England geschossen wurde. V2 stand für die erste Rakete, sie wurde von Peenemünde aus gegen London gerichtet.

Doch diese Waffen änderten wenig am Kriegsverlauf. Angesichts der sich abzeichnenden Niederlage kamen einige fanatische Wehrmachtsangehörige auf eine schreckliche Idee: Sie propagierten den Selbstmordeinsatz mit Flugzeugen etwa gegen Schiffe, um dem Gegner schwerste Verluste beizufügen. Dazu stand im geheimen "Kampfgeschwader 200" bereits ein Dutzend Männer bereit, die sich schriftlich zum "Opfertod" bereit erklärt hatten. Doch nicht nur Männer - auch die seinerzeit berühmte deutsche Fliegerin Hanna Reitsch pilgerte zu Hitler auf den Obersalzberg, um ihn von diesen Selbstmordkommandos zu überzeugen.

Obwohl Hitler wie andere Luftwaffen-Generäle diese Idee als "undeutsch" und "unsoldatisch" ablehnten, kam es zur Produktion eines entsprechenden Selbstmord-Flugzeuges: Man baute in die V1 eine Kabine ein, so bemannt sollte die fliegende Bombe unter den Flügeln des Bombenflugzeuges He 111 ans Ziel gebracht und ausgeklinkt werden. Dem Piloten blieb nur, sich mit der Sprengladung auf den Gegner und in den Tod zu stürzen.

Die bemannte Bombe

Rund 170 Stück wurden von diesem deutschen Kamikaze-Gerät mit dem Namen Fieseler 103 Reichenberg produziert, Hanna Reitsch und andere Piloten unternahmen mehrere Flugerprobungen. Hergestellt wurde die bemannte fliegende Bombe in Dannenberg an der Elbe. Die Reichenberg erreicht mit einem Gewicht von 2250 Kilogramm, einer Spannweite von 5,72 und einer Länge von acht Metern eine Fluggeschwindigkeit von rund 650 Stundenkilometer, bei Sturzflug bis zu 800 km pro Stunde. Das Gerät wurde von einem Argus-Pulso 109-014-Triebwerk angetrieben. Offiziell wurde die Reichenberg als bemanntes Fluggerät vorgestellt, bei dem der Pilot kurz vor dem Ziel aussteigen sollte. Aber mit einer Geschwindigkeit von über 700 Stundenkilometern und einem Argus-Pulso Strahlrohr im Rücken war dieses Szenario nicht realistisch Zum Kriegs-Einsatz kam die bemannte V1 daher nicht.

Alexander Kuncze (Mitte) ist ein anerkannter Experte für Flugzeugrestaurierungen.
© © Stumberger

Im Berliner Technik-Museum stehen schon etliche von Kuncze restaurierte Exponate: eine V2 oder eine Hentschel 293, auch so eine seinerzeit "innovative", weil vom Flugzeug aus ferngelenkte Bombe. Für Holger Steinle, Leiter der Luftfahrtabteilung des Museums, ist Kuncze der Mann, der "sich, was Flugkörper anbelangt, auskennt". Was kostet so eine Restaurierung? "Das geht von 50.000 bis 400.000 Euro", so Steinle, "je nachdem, wie viel man dazukaufen muss".

Die fertig restaurierte bemannte V1 ist nicht nur ein historisches Objekt, sondern auch ein Objekt der Sammlerbegierde, für das hohe Summen bezahlt werden. "Autos sammeln", sagt Kuncze, "ist was für Millionäre". Die "richtig" Reichen aber, die Milliardäre, die sammeln historische Flugzeuge. Und legen dann für Jagdflugzeuge aus dem Zweiten Weltkrieg wie die deutsche "Me 109" oder die amerikanische "Mustang" bis zu dreieinhalb Millionen Euro hin. "In den USA gibt es eine Nachfrage nach richtig teuren Sachen", meint Steinle. Flugzeuge der jüngeren Geschichte, wie ein Düsenjäger vom Typ Mig 21 aus den ehemaligen Beständen der DDR, sind hingegen schon ab 10.000 bis 50.000 Euro zu haben.

Noch teurer als die Flugzeuge sind laut Kuncze aber deutsche Panzer wie der "Tiger". "Das ist ein enormes Statussymbol", beschreibt der Geisenhausener diese seltsame Sammelleidenschaft, die vor allem in den USA blüht. Insgesamt ist es ein luxuriöser Markt, auf dem es wenig Angebote gibt. Doch im Internet findet sich doch einiges: ein Hauptfahrwerksrad des Bombenflugzeugs JU 88 etwa für 1000 Euro, oder die "Nasenleiste der Tragfläche einer V1" für schlichte 400 Euro. Für das "Modell der Reichenberg in Messing auf Marmorsockel gewidmet Hanna Reitsch" muss man allerdings 1500 Euro hinlegen. Manche horten derlei Dinge: So hat etwa der US-Milliardär Gerald Yagen rund 150 historische Flugzeuge auf seinem Privatgrund stehen.

"Dieser morbide Dreck"

Manche professionelle Sammler von historischem Kriegsgerät haben nach einigen Jahren allerdings die Nase voll. Dazu gehört Christian Peter Treiber, ebenfalls Reichenberg-Experte. Er verkündete jüngst auf seiner Homepage: "Nach nun mehr als 20 Jahren eifrigen Sammelns von Flugzeugteilen der Kriege, Suche nach Vermissten, Interesse für Vernichtungswaffen, hängt mir dieser morbide Dreck zum Halse raus."

Der "ganze Krempl aus dem Dritten Reich" werde hochstilisiert zur "Königsdisziplin des Geldausgebens". Mittlerweile, so Treiber, sei die Szene nur noch ein Tummelplatz für Zahnärzte, die sich das Hobby leisten könnten, oder für "braune Wilde, die ihre Großmutter verkaufen würden um an ein benutztes Taschentuch eines Jagdfliegers (muss Me109 Pilot sein, Bomberpilot ist uninteressant) zu kommen". Er, Treiber, habe nun jüngst zwölf Tonnen Fahrzeugschrott zum Alteisenhändler gebracht.

Rudolf Stumberger, Jahrgang 1956, arbeitet als Journalist und als freiberuflicher Dozent für Soziologie und Wirtschaft in München.