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Auf der Fährte des Geldes

Von Verena Mayer

Reflexionen

In der Schweiz werden jedes Jahr viele Milliarden Dollar Schwarzgeld geparkt.


Der Jäger sitzt im Zwielicht, als wolle er nicht gesehen werden. Die Fensterläden des Büros sind geschlossen, durch die Ritzen dringen vereinzelt Sonnenstrahlen. Enrico Monfrini setzt sich auf, seine Haltung hat etwas Lauerndes. Dann redet er, worüber er am liebsten redet: Geld. Wobei es nicht sein eigenes ist. Da wären: 1,3 Milliarden Dollar aus Nigeria. 6,7 Millionen aus dem Kongo. 5,7 Millionen aus Haiti. Es geht um Geld, das jenen, die es besitzen, nicht gehört, um Geld von Machthabern, die es ihrem Land geraubt haben und zurückgeben müssten. Und es ist dort, wo man es schwer findet, in der Schweiz.

Monfrini hebt die Arme, als würde er versuchen, das Geld zu schnappen. Seine Arbeit nennt er "tracking down", aufspüren, eine Fährte verfolgen.

Große Summen hat er schon zu fassen bekommen. Die Millionen von Jean-Claude Duvalier, bekannt als "Baby Doc" von Haiti. Von Mobutu, einst Diktator im Kongo, der am liebsten mit Koffern voller Dollar unterwegs war. Monfrini spürte das Vermögen des nigerianischen Generals Sani Abacha auf, mehr als eine Milliarde Dollar. Das Geld lag auf Schweizer Konten, die Abachas Leute mit gefälschten Pässen eröffnet hatten. Monfrini richtet sich auf. "Eine Milliarde", sagt er. Man merkt ihm den Stolz an, aber auch die Spannung. Gerade liegt er wieder auf der Lauer. Es geht um die 60 Millionen Dollar, die der Clan des früheren tunesischen Diktators Ben Ali in die Schweiz geschafft hat.

Der "Potentatenjäger"

Ein Jahr nach dem arabischen Frühling ist Ben Ali Geschichte, genau wie der ägyptische Präsident Hosni Mubarak und der libysche Revolutionsführer Muammar al Gaddafi. Was aber ist mit dem Geld, das die arabischen Diktatoren auf der ganzen Welt versteckt haben? Wird es zurückgegeben? Wo ist es überhaupt? Hier kommt der 68-jährige Rechtsanwalt Enrico Monfrini ins Spiel. Den "Potentatenjäger" nennen sie ihn in der Schweiz.

Wer etwas über das Geld wissen will, muss in die schmucke Altstadt von Genf. Der Weg führt vorbei an Banken und Juwelieren, ein Rolls Royce zwängt sich durch ein schmales Gässchen. Auf der Place du Molard sitzen Menschen vor dem Café du Centre in der Frühlingssonne. Im Schaufenster des Cafés liegen Hummer und Austern auf Eis. Daneben ist eine unscheinbare Tür, und hinter dieser Tür führt eine knarrende Treppe hinauf zu Enrico Monfrini.

Monfrini, buschige Augenbrauen, das grauschwarze Haar zurückgekämmt, sitzt an einem wuchtigen antiken Schreibtisch. Überall dunkles, schweres Holz, das den Raum noch düsterer wirken lässt. Auf einem Tischchen stehen afrikanische Masken, auf dem Regal gegenüber Statuen aus Ton. Sie sind mit blassen Farben bemalt, haben asiatische Gesichtszüge. Figuren aus der chinesischen Han-Dynastie, sagt Monfrini, fast 2000 Jahre alt.

Das Gesicht des Jägers wird weich beim Anblick der Exponate; wie so viele Rechtsanwälte liebt Monfrini die Kunst. Als könne ihre Schönheit die Verruchtheit ausgleichen, mit der er es sonst zu tun hat. Die Figuren stellen Diener des Kaisers dar. Die mussten nach dem Tod ihres Herrschers lebendig mit ihm ins Grab. Irgendwann wollte man das Gefolge nicht immer umbringen müssen und verständigte sich auf Tonfiguren als Grabbeigaben.

Die Machthaber von heute haben ein ähnliches System entwickelt. Für die Zeit nach ihrer Herrschaft bunkern sie Geld im Exil. Jedes Jahr, so schätzt die Weltbank, werden 20 bis 40 Milliarden Dollar auf die Seite geschafft. Wie viel davon in der Schweiz landet, weiß keiner. Milliarden, sagt Monfrini. Es ist Schwarzgeld und Blutgeld, es stammt aus Firmen, Goldminen, aus dem Waffenhandel, der Ölindustrie, von Enteigneten und von Getöteten. Es wird in Immobilien gesteckt und auf Konten geparkt.

Neben der Schweiz gelten Liechtenstein, die USA, Deutschland und Saudi-Arabien als sichere Verstecke. Von jedem Konto fließt Geld auf weitere Konten, bis die Fährte des Geldes schwächer und schwächer wird. Einerseits. Andererseits gebe es beim Geld kein perfektes Verbrechen, sagt Monfrini. "Selbst ein totes Konto hat einmal gelebt, und jedes lebende Konto redet."

Im halb dunklen Raum leuchtet Monfrinis Handydisplay auf. Er spricht leise hinein, in einem Englisch, das die gute Schule verrät, die er besucht hat. Sein Vater war Schweizer Botschafter in Gabun und in der Elfenbeinküste, Monfrini ging auf ein Jesuiten-Internat.

Nun aber ist ein Mann aus Nigeria am Telefon. In zwei Tagen fliegt er von Lagos extra nach Genf, um Monfrini einen Tipp zu geben. Eine Milliarde aus Nigeria müsse er noch aufspüren, sagt Monfrini. Er erinnert sich gut daran, wie alles begann. Ebenfalls mit einem Anruf. 1999 war das. Monfrini, Vater von sechs Töchtern und einem Sohn, speiste gerade in einer Genfer Brasserie. Ein Mann sagte, er sei Mister Soundso, und er warte in einem Hotel. Es war ein hoher nigerianischer Beamter, der Monfrini den Auftrag gab, Abachas Milliarden aufzuspüren.

"Heiliges Geld"

Er selbst habe daran kaum verdient, sagt er. Aber damals wurde er zum Jäger. Was nicht eben nahe lag für einen, der Anwalt wurde, weil ihm nichts Besseres einfiel. Monfrini beschäftigte sich mit Verträgen und Wirtschaftssachen, hin und wieder verteidigte er Leute, die Firmengelder hinterzogen. "Ich hatte keine Mission, ich wollte nie die Waisen und Witwen retten wie andere Kollegen." Die habe er erst gefunden, als es mit den Milliarden losging.

Der Job mache süchtig, sagt Monfrini. "Weil man ein Resultat sieht. Ich kann Geld zurückschicken, heiliges Geld, das für Schulen, Straßen, Krankenhäuser verwendet wird." Aber er sagt auch, die Verantwortung sei groß. "Ich darf ja nicht verlieren." Denn er vertrete seine Mandanten nicht nur bei Gericht, sondern auch auf politischer Ebene. Über seine Honorare will er nichts sagen.

Wieder klingelt Monfrinis Handy, diesmal spricht er Französisch. "Sexy information", sagt er danach. Wie er an die kommt? Monfrini verrät nur so viel: Er kennt Polizisten, Staatsanwälte, Journalisten und Politiker und auch Leute, "die aus dem Dunkeln kommen, aus Geheimdiensten, die wissen, dass ich den Mund halte". Hin und wieder heuert er Privatdetektive an. Wenn Mitglieder eines Clans in der Schweiz sind und Monfrini wissen will, zu welcher Bank sie gehen.

Es dürften in etwa dieselben Methoden sein, von denen auch der Anwalt Martin Kenney in der "Handelszeitung" berichtet hat. Der bullige Kanadier spürt in Steueroasen Gelder von Wirtschaftskriminellen auf. Für eine Schweizer Bank hat er nach Millionen des New Yorker Milliardenbetrügers Bernard Madoff gefahndet, derzeit sucht er ebenfalls nach Geldern von Ben Ali. Und Kenney berichtet, wie er die Routen von Privatjets verfolgt, die Villen von Verdächtigen ebenso ausfindig macht wie ihre Kunstsammlungen und Lagerhallen. Einmal brachte er einen Kollegen dazu, sich mit einem Finanzbetrüger anzufreunden, und folgte den beiden mit einem Tonband. Kenney glaubt zu wissen, warum Verbrecher die Schweiz mit ihrem verlässlichen Rechts- und Vertragssystem so sehr lieben. "Ein Betrüger fürchtet nichts mehr als einen anderen Betrüger."

Allerdings gibt es ein neues Gesetz in der Schweiz: Vermögen "politisch exponierter Personen" können nun schneller gesperrt und zurückgegeben werden, wenn sie unrechtmäßig erworben wurden. Die Schweizer Bundesanwaltschaft hat viel zu tun. Tunesien, Ägypten, Libyen und die Elfenbeinküste stehen auf der Agenda, alle "bekannten Vermögenswerte der betroffenen Personen" seien beschlagnahmt worden, heißt es.

Einfach ist Monfrinis Arbeit deswegen nicht. Aktueller Fall Tunesien. Anfang 2011 legte sich der Potentatenjäger auf die Lauer. Die Schweiz fror die Gelder Ben Alis ein, begann, gegen 40 Leute wegen Geldwäsche zu ermitteln. Doch Monfrini, der die tunesische Regierung vertritt, bekam nichts zu fassen. Tunesien musste erst als Kläger anerkannt, Akteneinsicht erstritten werden. Der Clan Ben Alis tat alles, um das zu verhindern. Es dauerte bis März 2012, dass Monfrini überhaupt Akteneinsicht bekam.

Immer mehr Arbeit

Derzeit sitzt Monfrini täglich zwölf Stunden im Büro, manchmal auch nachts. "Das ist Arbeit, viel Arbeit, immer mehr Arbeit", sagt er. Er fällt plötzlich ins Deutsche. Als wolle er mit dem harten deutschen Akzent die Härte der Anforderungen unterstreichen.

Monfrini wälzt mit seinen vier Mitarbeitern Akten, nimmt die Fährten des Geldes auf. Anders als Kenney sei er "ein Buchhalter". Seine Quellen: Papier. Fünf Milliarden, glaubt er, habe Ben Ali außer Landes geschafft. Der Clan habe in Tunesien alles an sich gerissen, "jedes Stück Land, jedes Unternehmen, jedes Vermögen". Die, die sich dagegen wehrten, seien gefoltert und ins Gefängnis gesteckt worden, viele kamen nie mehr zurück.

Monfrini beginnt, über Politik zu reden. Darüber, dass Politiker heutzutage zur Politik erzogen würden "wie Roger Federer zum Tennis", keine Welt mehr außerhalb der Macht kennen würden. "Die haben sich nichts erarbeitet, das finde ich furchtbar, davor habe ich keinen Respekt." Jagt er deswegen Staatsmänner? "Ja. Ich bin sehr irritiert, was ich in Afrika sehe. Diese Diktatoren wissen nicht einmal den Unterschied zwischen der Zahl zehn und zehn Millionen. Das Einzige, was sie wissen, ist, wie man stiehlt."

Monfrinis Blick fällt wieder auf die chinesischen Tonfiguren. Er seufzt. Er habe herausgefunden, woher sie stammen. Ein Händler hat sie vor 20 Jahren aus China illegal nach Hongkong gebracht. Dann hat er Beamte bestochen, um sie außer Landes zu schaffen, in die Schweiz. Enrico Monfrini sagt, er wird sie wohl zurückgeben müssen.

Verena Mayer, geboren in Wien, lebt als Journalistin in Zürich. Sie ist ständige Glossistin im "extra" (siehe Seite 11 in dieser Ausgabe).