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Musikmekka in St. Pauli

Von Michael Ossenkopp

Reflexionen

Im Hamburger "Star-Club", der vor 50 Jahren eröffnet wurde, feierten die Beatles ihre ersten Erfolge und feilten an ihren Auftritten. Nach acht turbulenten Jahren wurde der Club geschlossen.


Posters mit den Beatles vor dem Star-Club, 1968.
© © Farrell Grehan/CORBIS

Mit einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein kündeten vor 50 Jahren Plakate in Hamburg vom Beginn einer neuen Ära: Die Eröffnung des "Star-Club" sollte endlich das Ende der "Dorfmusik" besiegeln. Die "Rock’n’Twist-Parade" brachte die Beatles auf die Bühne und machte den Veranstaltungsort auf St. Paulis Großer Freiheit Nummer 39 zum Zen-trum einer neuen Jugendkultur. Zwischen Stripteaseläden und Nepplokalen schrieben die bekanntesten Beat- und Rock’n’ Roll-Bands acht Jahre lang Musikgeschichte.

Zwar gab es bereits zuvor in Hamburgs Rotlichtviertel Livemusik, und zwar im "Indra", im "Kaiserkeller" und im "Top Ten". Aber erst der neue Star-Club sorgte für internationales Aufsehen. Die Beatles traten dort gleich mehrmals auf: Das erste siebenwöchige Gastspiel begann am 13. April und endete am 31. Mai 1962. Vom 1. bis zum 14. November 1962 gaben sie 28 Konzerte ihres zweiten Gastspiels. Sie wohnten in zwei Zimmern über dem Striplokal "Kolibri" und schliefen in Doppelstockbetten. Als Gage erhielten sie pro Mann und Woche 500 Mark. Im November und Dezember kamen sie nochmals für zwei Gastspiele zurück, da hatte ihre einzigartige Weltkarriere bereits Fahrt aufgenommen und ihre erste Single "Love me do" stürmte in die Hitparaden.

Acht Bands pro Nacht

Am Eröffnungstag, dem 13. April 1962, wartete eine gewaltige Menschenmenge vor den Türen des Star-Clubs, die Schlange reichte bis zur Reeperbahn. "Um 20.15 Uhr war der Laden mit 1200 Besuchern schon so brechend voll, dass niemand mehr reingelassen werden konnte", erinnert sich der damalige Geschäftsführer Horst Fascher, inzwischen 75, "es spielten Tex Roberg & the Graduates. The Bachelors, Roy Young und natürlich die Beatles." Die vier jungen Liverpooler lernten auf den Brettern der Star-Club-Bühne ihr Handwerk, aber auch andere bis dahin unbekannte Bands aus London, Birmingham und Dublin konnten dort an ihren Auftritten "feilen", ihr Repertoire erweitern und ihre Shows verbessern.

Die Idee zum Star-Club stammte von Horst Fascher, der schon im Top Ten als Geschäftsführer gearbeitet hatte. Betreiber wurde die damalige "Kiezgröße" Manfred Weißleder, der rund ein Dutzend Lokale in St. Pauli besaß. Als er Probleme mit der Bauaufsicht bekam - seine Etablissements auf dem "Paradieshof" benötigten dringend einen Notausgang -, übernahm er kurzerhand auch das angrenzende Star-Kino. Auf der Suche nach einer neuen Nutzung begegnete er Fascher, der zu einem Musikclub im Stil des Top Ten riet, nur größer: "Würdest du dir zutrauen, so einen Laden zu schmeißen?", fragte Weißleder - und Fascher traute sich.

Pro Nacht traten bis zu acht Gruppen auf, neben den Engländern um Tony Sheridan und den Beatles gastieren u.a. auch Bill Haley, Little Richard, Jerry Lee Lewis, Chuck Berry, Fats Domino, Gene Vincent, die Everly Brothers und Soullegende Ray Charles. "Die Menge johlte, damit es losging. Wenn dann der Star kam, stürzte erst mal alles zur Bühne und jeder wollte rauf. Es waren alle da, die damals in der Musikwelt eine Rolle spielten", erinnert sich Fascher, "außer Elvis. Ich habe wochenlang versucht, seinen Manager Colonel Parker ans Telefon zu bekommen. Am Ende hatte ich ihn auch, aber er hat mich irgendwie abgeschmettert." Selbst in Amerika und England, den Mutterländern von Beat und Rock, gab es damals keinen Club mit einem vergleichbar geballten Spitzenprogramm.

Eine wilde Horde

In der Anfangszeit war Fascher für die Beatles "Mädchen für alles", er zog mit ihnen um die Häuser, besorgte ihnen Frauen und Drogen, kümmerte sich um die Wäsche und half aus, falls es mal wieder Ärger gab. Zum Beispiel, als John Lennon im Affenkostüm Gäste verschreckte oder die Musiker stockbesoffen aus dem Fenster pinkelten . . . Sie traten in Lederjacken und Röhrenjeans auf und waren eine richtig wilde Horde, bevor sie von ihrem Manager Brian Epstein für den internationalen Aufstieg gezähmt wurden. Sie eroberten die Massen allerdings ohne wüste Bühnenshow, in Anzügen und mit Pilzkopffrisuren - kreiert vom Hamburger Fotografen Jürgen Vollmer.

Star-Club-Inhaber Weißleder war kein Musikguru, sondern vor allem Geschäftsmann. Nach dem durchschlagenden Erfolg sattelte er von Strip auf Beat um, denn der einzigartige Musiktempel machte satte Gewinne. Weißleder verpachtete seine Sexschuppen, kaufte das Haus an der Großen Freiheit und startete Deutschlands ersten Rockclub.

"Ich bekam damals 650 Mark plus zwei Prozent vom Gesamtumsatz - und der lag schon im ersten Monat bei 240.000 Mark", erzählt Fascher von den alten Zeiten.

"Nach drei Monaten kaufte ich mir einen weißen Chevrolet. Ich hatte immer Geld, immer Musik um mich herum - und Frauen en masse." Er fühlte sich beinahe selbst wie ein Rockstar, aber in dem spannungsgeladenen Umfeld waren Alkohol, Drogen und Gewalt an der Tagesordnung. Schon 1965 war die Zeit für Fascher vorbei: Wegen wiederholter Körperverletzung wanderte er in den Knast. Trotzdem bedeutete das nicht das Ende seiner Karriere: Nach Jahren in der Fremdenlegion organisierte er die amerikanische Truppenbetreuung in Vietnam mit Bob Hope - und kehrte schließlich wieder auf den Kiez zurück.

Ordnungsamt-Eingriff

Gedenkstein mit den berühmtesten Star-Club-Musikern.
© wikipedia

Nach nur 15 Monaten war der Star-Club eine weitbekannte Institution, ein Rockzentrum mit internationalem Renommee. Eigene Star-Club-Records wurden herausgebracht. Die Gäste waren aus heutiger Sichte eher bieder, trugen Krawatten und Nyltesthemden. Wer noch nicht 18 Jahre alt war, musste um 22 Uhr gehen.

"Der Star-Club war für die Jugend so etwas wie die Dame ohne Unterleib, die totale Sensation, deshalb kamen auch immer so viele", sagt Frank Dostal, Gründungsmitglied der deutschen Band Rattles, "offiziell durfte man erst ab 16 rein, aber mit einer wilden Brisk-Tolle über dem Konfirmationsanzug oder Stöckelschuhen, Lippenstift und hochtoupierter Bienenkorbfrisur schafften es auch einige Jüngere."

Allerdings wurde der Star-Club dadurch zur Zielscheibe des Ordnungsamtes. Regierungsamtmann Kurt Falck forderte "ein Ende des Faustrechts auf St. Pauli" und wollte eine Schließung veranlassen. Der Konflikt schlug Wellen, aber nach einer nur zweitägigen Zwangspause konnte im Juni 1963 weitergemacht werden.

Die bisherige New Yorker-Skyline-Kulisse wurde gegen einen blauen Vorhang ausgetauscht und unter dem Namen "Star-Club" wurden auch in anderen deutschen Städten Rockclubs eröffnet, und zwar für eine monatliche Konzessionsgebühr von 1000 Mark in Berlin, Köln, Kiel, Karlsruhe, Flensburg und Bielefeld. Sogar im kenianischen Mombasa wurde der Name vermarktet; aus Hamburg berichteten Radio Bremens legendärer "Beat-Club" und ein Rundfunksender aus Chicago; es gab Star-Club-Anstecknadeln und -aufkleber, T-Shirts und Pullover. Es kamen rund eine Million Besucher pro Jahr.

1966 begann eine Invasion neuer Stars, die eine zweite große Blütezeit einläuteten. Einziger Unterschied: Sie kamen nur noch für wenige Tage oder überhaupt nur für Einzelauftritte. Denn die Gagen waren mittlerweile derart horrend in die Höhe geklettert, dass beispielsweise Jimi Hendrix, die Spencer Davies Group, die Animals oder die als erste Supergroup gepriesenen Cream mit Eric Clapton an der Gitarre neue Vermarktungsstrategien erforderten. Die Kapazität des Star-Clubs mit rund 1000 Besuchern war nicht länger ausreichend, die gigantischen neuen Dimensionen konnten nur noch in großen Hallen und Stadien erfüllt werden.

Die Beatles spielten im Juni 1966 in der Ernst-Merck-Halle vor 6000 Besuchern, die Clubs wurden zu Discotheken - und damit war der Untergang des Star-Clubs nicht mehr zu stoppen. In der Neujahrsnacht 1969/70 gingen unter den neuen Pächtern Frank Dostal und seinem Bandkollegen Achim Reichel nach einem Gastspiel der Engländer Hardin & York die Lichter aus.

Aus dem Musikmekka wurde das "Salambo", ein Sex-Club. Nach einem Brand 1983 folgt 1987 der Abriss. Heute erinnert nur noch ein Gedenkstein an die Existenz des Star-Clubs.

Michael Ossenkopp, geboren 1955, arbeitet als freier Autor und Journalist in Berlin.