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Irrfahrt einer toten Heldin

Von Ulrich Zander

Wissen

Vor 60 Jahren, am 26. Juli 1952, starb Evita Perón. Die argentinische Militärjunta fürchtete den Einfluss der "Nationalheiligen" so sehr, dass sie ihren einbalsamierten Leichnam verschwinden ließ. Die makabre Odyssee der Mumie endete erst nach mehr als 20 Jahren.


Eva wurde als eines von fünf Kindern der Juana Ibarguren am 7. Mai 1919 in Los Toldos, Provinz Buenos Aires, geboren. Ihr Vater war der mit einer anderen Frau verheiratete Großgrundbesitzer Juan Duarte. Im Alter von 15 Jahren zog es das brünette Mädchen in die Hauptstadt. Es wollte Schauspielerin werden, hatte aber zunächst keinen Erfolg und hauste in billigen Absteigen, modelte, ließ sich aushalten. Schließlich machte Eva dank ihrer rauchigen Stimme in kitschigen Radio-Seifenopern Karriere.

María Eva Duarte de Perón im Jahr 1947.
© Foto: wikipedia

Am 22. Jänner 1944 trifft das zierliche Starlett bei einer Benefiz-Veranstaltung den stattlichen Oberstleutnant Juan Perón. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Er ist Minister für Arbeit und Wohlfahrt in der rechtsgerichteten Militärjunta und wird wenig später zum Kriegsminister und Vizepräsidenten aufsteigen. Der 48-jährige Witwer mit Neigung zum europäischen Faschismus löst umgehend die Beziehung zu seiner 16-jährigen Freundin, die er zärtlich "Piranha" nennt. Und schon ist Eva die Nummer eins an der Seite Peróns. Fortan sammelt sie im Auftrag des Sozialministeriums Geld und Kleidung für die "Descamisados", die "Hemdlosen", die bitterarmen Massen aus den Elendsvierteln. Ihr Einfluss steigt, sie wird vorwitzig und schanzt ihren Freunden hochdotierte Jobs zu. Das missfällt den Militärs. Juan Perón fällt in Ungnade, wird verhaftet und landet hinter Gittern.

"Tag der Hemdlosen"

Im Herbst 1945 kommt es nach Aufrufen der Gewerkschaftsbewegung zu Massenprotesten und zum Generalstreik, der, so heißt es, von der inzwischen erblondeten Eva organisiert ist. Dieser 19. Oktober ist als "Tag der Hemdlosen", später auch als "Santa Evita-Tag" in die Geschichte Argentiniens eingegangen. Der Druck der Straße (sowie die Angst der Militärs vor einem Bürgerkrieg) führten schließlich zur Freilassung Peróns. Das Paar hatte mittlerweile geheiratet und Eva war offiziell drei Jahre jünger geworden. Sie unterstützte ihren Gemahl im folgenden Wahlkampf massiv und gekonnt, hielt flammende Reden, betonte stets ihre Verbundenheit mit den Armen und herzte Babys. Mit Erfolg. Am 24. Februar 1946 wurde Juan Perón zum Staatspräsidenten gewählt.

Die "Presidenta" widmete sich fortan der Sozialarbeit, gründete ein soziales Hilfswerk, ein Kinderdorf, eine Studentenstadt und Frauenhäuser. 1947 setzte sie in der militärhörigen Macho-Gesellschaft das Frauenwahlrecht durch und zog sich zunehmend den Hass der Oberschicht zu. Eva, die immer wieder ihre einfache Herkunft betonte, residierte nun in einem riesigen Palast, voll gestellt mit edlem Inventar (und mehr und mehr auch mit gespendeten Möbeln und Kleidern für die Descamisados).

Wieder verschaffte sie ihren Günstlingen hohe Regierungsposten und gab Unsummen für Kleidung aus. Allein ihr Schmuck hatte 1950 einen Wert von rund 70 Millionen US-Dollar (selbst Stalin schickte der Sozialreformerin eine sündhaft teure Kette aus Platin, Edelsteinen und Perlen). Der "Blonde Engel" zeigte sich dem darbenden Volk ungeniert in Schmuck und Pelzen. "Die Armen lieben es, mich hübsch zu sehen", sagte sie. Und tatsächlich. Ihre Beliebtheit schien grenzenlos, ihr Name und Bild waren allgegenwärtig am Rio de la Plata. Sie übte einen beinah hypnotischen Einfluss auf die Arbeiterschaft aus.

Sie war Kult - obwohl sie nie vergaß, auf "das wahre Genie Argentiniens" hinzuweisen - auf Juan Perón. Von ihm gehe all ihre Inspiration aus. Die Regierung bewegte sich derweil in Richtung Diktatur. Politische Gegner wurden verfolgt, die Presse zensiert.

Im Jänner 1950 fiel die Prima Dama plötzlich in Ohnmacht. Ärzte diagnostizierten wenig später Gebärmutterhalskrebs. Nach langem Leiden starb Evita, die "kleine Eva", am 26. Juli 1952 - wie Christus im Alter von 33 Jahren.

Der Mythos der zur Heiligen Stilisierten war nun lebendiger denn je. Wohl auch weil ihre Leiche einbalsamiert und in einem Sarg mit gläsernem Deckel zur Schau gestellt wurde. Aus dem vorgeblichen Aschenputtel war Schneewittchen geworden. Doch mit Evitas Tod begann der Stern des Präsidenten zu sinken, zumal Argentinien durch eine galoppierende Inflation an den Rand des Ruins geraten war . . .

Jagd nach Leichnam

Im September 1955 putschte das Militär. Perón gelang es mit knapper Not, seinen Häschern nach Spanien zu entkommen. Evitas Leiche aber war noch immer öffentlich aufgebahrt. Die Generäle befürchteten, dass die Ausstrahlung selbst der toten Evita die Gefahr eines Wiederaufkeimens des Perónismus birgt. Alles, was an das populäre Ehepaar erinnerte, sollte aus dem öffentlichen Gedächtnis gestrichen werden. Die Leiche musste also weg. Sie zu vernichten ging allerdings gegen das Ehrgefühl der Junta.

Vier Wochen nach dem Staatsstreich stürmte ein Kommando des Militärischen Abschirmdienstes unter dem Oberst Carlos Moori-Koenig das Leichenhaus und verschwand mit der Mumie in der Nacht. Evita solle "eine würdige Bestattung bekommen", hatte der Entführer noch gesagt.

Der einbalsamierte Leichnam von Evita Perón, bevor er verschwand.
© Foto: wikipedia

Es kam anders. Die Leiche wurde in einer Kaserne versteckt, dann in einer Kiste hinter einer Kinoleinwand abgeladen und später zwischen diversen Büro- und Warenhäusern hin- und hergeschoben. Oder sinnlos in Lastwagen kreuz und quer durch Buenos Aires gekarrt.

Immer dicht gefolgt von Agenten der illegalen perónistischen Partei, die den Leichnam "wiederhaben" wollten. Evita landete schließlich im Haus von Moori-Koenigs Stellvertreter Major Antonio Arandia, der eines Nachts Geräusche wahrnahm und Leichenräuber am Werke wähnte. Er holte einen Revolver unter dem Kopfkissen hervor und erschoss seine schwangere Frau, die gerade aus dem Bad kam . . .

Daraufhin wurde Evita ins Hauptquartier des Abschirmdienstes verfrachtet, die Kiste mit der Aufschrift "Radioteile" versehen. Als die Descamisados vehement die Mumie ihrer Heiligen einforderten (entsprechende Graffitos an den Wänden des ganzen Landes waren unübersehbar), erging der Befehl, sie außer Landes zu schaffen. Zur Verwirrung politischer Gegner wurden gleichartige Särge und drei Wachskopien der Mumie angefertigt. 1956 ging Evita unter strengster Geheimhaltung auf Europareise. Über Brüssel oder Hamburg - die genaue Route ist nicht mehr nachvollziehbar - landete sie schließlich in Italien.

Im Jahr darauf sorgte Oberst Moori-Koenig, inzwischen Militärattaché an der argentinischen Botschaft in Bonn, für ein bizarres Intermezzo. Mit Waffengewalt "eroberte" er im Milieu von Hamburg-St. Pauli eine Leiche und verfrachtete sie in die Bundeshauptstadt am Rhein. In der Annahme, es sei Evita, ließ er sie klammheimlich im bayerischen Altmühltal, der Heimat seiner Vorfahren, bestatten. Aber bei der "Leiche" hatte es sich wohl um eine der Wachskopien aus Buenos Aires gehandelt . . .

Bereits zuvor, im Herbst des Jahres 1956, war María Magi de Magistris in Mailand beigesetzt worden. Bei der "italienischen Witwe" handelte es sich tatsächlich um María Eva Duarte de Perón. Im Nachhinein hatte Juan Perón von der geheimen Bestattung erfahren und beschlossen, die tote Gattin zu sich ins Madrider Exil zu holen. Am 2. September 1971 war es endlich soweit. "Sie schläft nur", soll er gesagt haben, als er "in ihr ruhiges und schönes Antlitz" schaute: "Genauso wie ich sie in Erinnerung hatte". Nur das blonde Haar sei etwas in Unordnung gewesen. Die Mumie wurde im Esszimmer aufgebahrt.

Zehn Jahre zuvor hatte der Ex-Diktator die Nachtklubtänzerin María Estela Martinez, die sich fortan Isabel Perón nannte, geheiratet. Isabel durfte sich nun neben den Leichnam legen, in der Hoffnung, Evitas Seele möge auf sie überspringen.

Späte letzte Ruhe

In Argentinien hatte inzwischen eine Junta die andere abgelöst und die Wirtschaft taumelte von einer Krise in die nächste. Ein Retter musste her. Perón kehrte in die Heimat zurück und bekleidete im Oktober 1973 wieder das höchste Amt im Staate. Gattin Isabel wurde Vizepräsidentin.

Juan Perón starb unerwartet am 1. Juli 1974, tags darauf wurde Isabel als neue Staatspräsidentin vereidigt. Und die holte Evita noch im selben Jahr zurück. Die Heldin der Hemdlosen wurde in der offiziellen Residenz der argentinischen Präsidenten bestattet. Doch erst am 22. Oktober 1976 fand Evita tatsächlich ihre letzte Ruhe - im Familiengrab der Duartes. Noch heute werden hier frische Blumen und Heiligenbildchen niedergelegt.

Wahrhaft unsterblich wurde Evita weltweit erst durch das gleichnamige Musical von Andrew Lloyd Webber (Uraufführung 1978 in London), mit dem herzzerreißenden Lied "Don’t cry for me, Argentina"; 1996 verfilmte es Alan Parker mit Madonna in der Titelrolle.

Ulrich Zander, geboren 1955, lebt als freier Journalist in Berlin und ist spezialisiert auf historische, insbesondere kriminalhistorische Themen.