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Kommunismus mit der Bibel

Von Rudolf Stumberger

Reflexionen

Die pietistische Amana-Kolonie im US-Bundesstaat Iowa hat 77 Jahre lang eine Gemeinwirtschaft ohne Privateigentum und Geld praktiziert.


Als der Kalte Krieg begann, frohlockte im November 1946 das "American Magazin": "Der Kommunismus in Iowa ist zusammengebrochen". 77 Jahre habe die Amana-Kolonie den Kommunismus strikter praktiziert als jede andere Gruppe auf der Welt. Jetzt, 14 Jahre nach ihrer Rückkehr zum Kapitalismus, seien die unglaublichen Erfolge dieser Wende zu besichtigen.

Friedliches Landleben herrscht auch heute in den Amana-Dörfern.
© © Rudolf Stumberger

Heute, gut 150 Jahre nach Beginn eines der interessantesten sozialen Experimente, gibt es zwar keinen Kommunismus mehr, aber immer noch Sauerbraten mit Soße in Amana und in den sieben Dörfern der Kolonie entlang des Iowa River sprechen die alten Herrschaften noch immer Deutsch mit hessischem Zungenschlag.

Es ist Sonntag, ein paar Minuten nach zehn Uhr, als Raymond Berger mit seinem blauen Toyota auftaucht. "Ray" steht auf dem Nummernschild. Es dauert ein bisschen, bis er die Tür zum Homesteadt Store Museum aufschließt, aber Ray ist ja auch schon 84 Jahre alt. 1928, als er geboren wurde, herrschte in Amana noch die alte Ordnung. Wie es damals zuging, kann man in dem Museum erfahren, das im ehemaligen Warenhaus untergebracht ist. Wenn Kommunismus die "Idee der Gleichheit auf der Basis von Gemeineigentum" ist, wie das Lexikon definiert, dann waren sie damals hier in den grünen Hügeln von Iowa verdammt kommunistisch. Und das von 1855 bis 1932. In dieser Zeit errichteten die deutschen Siedler die sieben Dörfer der Amana-Kolonie, nicht weit voneinander entfernt, umgeben von Äckern und Feldern.

Deutsches Dorfleben

Von amerikanischen Siedlungen unterscheiden sie sich auch heute durch ihre braunen Backsteinbauten, durch Blumenbeete vor der Tür, durch ihre Gehsteige - alles wie in einem hessischen Dorf. Selbstverständlich steht im Restaurant "Ronneburg" das Wiener Schnitzel und der Sauerbraten auf der Speisekarte, das süffige Bier stammt aus der hiesigen Brauerei, der ältesten in Iowa.

Man sieht auch heute noch, dass die Kolonie auf einer soliden wirtschaftlichen Grundlage beruhte - und dabei war alles in gemeinsamen Besitz. Neben der Landwirtschaft als Basis errichteten die rund 1800 Siedler nach und nach eben die Bierbrauerei, eine Wollfabrik, eine Kattunfabrik und ein Hotel, jedes Dorf hatte seine Bäckerei, seinen Schmied und andere Handwerker. Innerhalb der Kolonie gab es kein Geld, es herrschte quasi das kommunistische Paradies. Jeder wurde aus der Kollektivwirtschaft mit dem versorgt, was er benötigte: Essen, Kleidung, Wohnung, medizinische Betreuung, Bildung.

Ein Element dieser Zeit lässt sich noch heute in Middle Amana besichtigen: die kommunale Küche. Denn während der Zeit des Iowa-Kommunismus gab es in den Wohnhäusern keine eigenen Küchen. Gekocht und gegessen wurde in Kollektivküchen, von denen es insgesamt 60 in den sieben Dörfern gab. Jede Küche versorgte 30 bis 40 Personen mit drei Mahlzeiten pro Tag und wurde von einer "Küche Baas", unterstützt von drei oder vier Frauen, geführt.

Arbeit ohne Lohn

Die Küche in Middle Amana, eine von neun Küchen im Dorf, ist heute als Museum zu besichtigen und in dem Zustand von 1932 erhalten, als die "Große Wende" kam. Marie Steinmüller Ruedy hieß die letzte Küchenchefin, den Speiseplan kann der Besucher studieren: Kartoffelknödel, Krautsalat, gesottenes Rindfleisch.

Die einstige kommunale Küche ist heute ein Museum. Stumberger
© © Rudolf Stumberger

Für die Arbeit in den Küchen und den anderen diversen Wirtschaftszweigen gab es keinen Lohn. Dafür erhielt jeder beim Kramerladen im Dorf einen jährlichen Kredit, von dem er seine Dinge des täglichen Bedarfs decken konnte: Tabak, Schuhe, Süßigkeiten und dergleichen mehr.

Derlei soziale Sicherheit macht entspannt. Besucher in der Amana-Kolonie registrierten mit großer Aufmerksamkeit, dass die Menschen sich bei der Arbeit nicht allzu sehr hetzten, vielmehr locker zu Gange waren. Nach dem Besuch der Wollfabrik etwa schrieb ein Beobachter, die Arbeiter dort würden sich gewiss nicht zu Tode schuften, sie machten vielmehr einen gelassenen und zufriedenen Eindruck. Außerhalb hatte die Kolonie den Ruf, dass man dort nicht zu hart, aber solide und fachmännisch arbeitete. Vom Existenzdruck befreit, arbeitete man nach eigenem Tempo, ohne an Effektivität einzubüßen.

All dies funktionierte ohne Marx und Engels. Freilich, ohne geistige Orientierung ging es nicht. Dafür ist heute in Amana Emily Oehl zuständig. Die agile, weißhaarige 85-Jährige führt durch die Amana Community Church, einen als Museum deklarierten Gebetsraum. Sein Merkmal ist die absolute Schmucklosigkeit: Zwischen weißgekachelten Wänden sind etliche Holzbänke das einzige Mobiliar. Hier versammelten sich Bewohner von Amana bis zu elf Mal pro Woche für den Gottesdienst beziehungsweise das Nachtgebet.

Die Gründerväter von Amana kamen aus der pietistischen Bewegung im Europa des 18. Jahrhunderts und gehörten der Gruppe der "Inspirierten" an. Diese gingen davon aus, dass bestimmte Individuen zur Wahrnehmung göttlicher Inspiration fähig waren, diese Personen wurden als "Werkzeuge" Gottes angesehen. 1842 beschloss eine der Gruppen von Inspirierten um den Zimmermann Christian Metz die Auswanderung aus Hessen nach Amerika. 1845 gründete die Gruppe unter dem Namen "Ebenezer Society" eine erste Kolonie im Staate New York. Probleme mit den Nachbarn führten aber schließlich 1855 zu einer Umsiedlung in das abgelegene Gebiet am Iowa River, wo die religiöse Gemeinschaft 26.000 Morgen Land erstand.

Geordnete Abläufe

Das Gemeinschaftsleben auf einer historischen Abbildung.
© © Rudolf Stumberger

In den 1860er Jahren prosperierte die Amana-Gemeinde, die Fabriken wurden errichtet, die Dörfer ausgebaut. Waren die Kinder drei Jahre alt, verbrachten sie einen Teil des Tages in der "Kinderschule"; im Alter von fünf Jahren traten sie in die "Volksschule" ein. Mit 14 Jahren begann das Arbeitsleben, für die Jungen in der Landwirtschaft, den Fabriken und Handwerksbetrieben; die Mädchen arbeiteten in den kommunalen Küchen. Geführt wurde die Amana-Kolonie von einem dreizehnköpfigen "Großen Bruderrath", sechs der Mitglieder wurden gewählt, die anderen von den sieben Dörfern bestimmt.

So ging das 77 Jahre lang, das kommunistische Amana am Iowa-River existierte länger als die Sowjetunion. Doch 1932 kam die große Wende, the "Great Change". "Sind sie damit einverstanden, dass der vorgeschlagene Plan, die Amana Society zu reorganisieren, angenommen und ausgeführt wird?" lautete die Befragung im Februar 1932. Bis auf das Dorf Middle Amana stimmte die Mehrheit dafür. Es ging um die Privatisierung der Gemeinschaft. Die Landwirtschaft, die Fabriken und die Brauerei verblieben in der "Society", die aber nun in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, die Anteilscheine wurden unter den Amana-Bewohnern aufgeteilt. Die meisten blieben auf ihrer alten Arbeitsstelle, erhielten aber nun einen Lohn. Viele mussten lernen, mit Geld umzugehen. Die Wohnhäuser wurden versteigert, die kommunalen Küchen schlossen ihre Türen. Kirche und Geschäftsbetriebe waren jetzt zwei verschiedene Dinge.

Die Gründe für diese Wende sind vielfältig. Ironischerweise war es auch die Schwäche des Kapitalismus, die dem Iowa-Kommunismus den Garaus machte. Nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 waren die Preise für Agrarprodukte in den Keller gefallen, viele Farmer in den USA mussten aufgeben. 1923 war die Wollfabrik abgebrannt, man hatte keine Versicherung abgeschlossen und musste den Wiederaufbau selbst stemmen. 1932 war die Kolonie schließlich mit 600.000 Dollar verschuldet.

Ein tieferliegender Grund aber war die Rebellion der Jugend. Amana war keine abgeschlossene Welt mehr wie noch im 19. Jahrhundert. Die Buben begannen Baseball zu spielen, die Mädchen ließen sich die Haare nach neuester Mode kurz schneiden. Etliche junge Frauen hatten es satt, nur in den Küchen zu arbeiten und verließen die Kolonie. Das innere Wertgefüge verlor seine dominante Stellung. Auch ohne die Wirtschaftskrise wäre die Gemeinschaft nicht mehr unverändert am Leben zu halten gewesen.

Während die Jungen die neuen Freiheiten begrüßten, vermissten die Älteren den früheren Zusammenhalt. "Es war eine gute Zeit damals", sagt Emily Oehl. Die "Amana Society" ist heute der größte landwirtschaftliche Betrieb in Iowa. Die Mitglieder der Amana-Kirche treffen sich regelmäßig am Sonntag zum deutschen Gottesdienst, werden aber weniger. Die Steinhäuser der Kolonie beherbergen jede Menge Läden für Geschenkartikel, Beerenwein, lokale Lebensmittel und Wollprodukte. Amana ist als touristisches Highlight in den USA bekannt. In Europa scheint die Kolonie mit ihrer bibel-kommunistischen Geschichte völlig vergessen zu sein.

Rudolf Stumberger, , geboren 1956, arbeitet als Journalist und als freiberuflicher Dozent für Soziologie und Wirtschaft in München.