In Dongming, einer besser gestellten chinesischen Provinz, ist der Gegensatz zwischen Arm und Reich bei Weitem nicht so groß wie in Beijing oder Shanghai. Viel Mittelklasse, Mann und Frau haben einen Arbeitsplatz, eine kleine, aber ordentliche Wohnung und den Traum von der materiellen Verbesserung. In den Neubauten kosten die Apartments (als Eigentum) etwa 1000 RMB/m2, das sind ungefähr 100 Euro (RMB bedeutet Renminbi, Geld des Volkes). Das kann sich die aufkommende Mittelklasse gerade noch leisten. Es gibt kaum teure Restaurants und keinerlei westliche Küche, sehr zum Unterschied von Beijing und Shanghai.

Mais- und Weizenland


Die Vielfalt der chinesischen Küche beeindruckt, Gemüse je nach Saison, Fleisch, oft recht fett, Fische, Tofu in vielen Variationen, bienenähnliche Insekten, Nudeln und Suppen. Reis ist selten, Shandong ist eine Mais- und Weizenprovinz. Essen ist für Chinesen bedeutsam, oft wird zum Gruß gefragt: "Haben Sie schon gegessen?"

Das offizielle Arbeitsrecht hat wenig Bedeutung im Arbeitsalltag, SchulabgängerInnen werden zum Teil weiterhin den Betrieben oder auch der Polizei zugeteilt. Wechsel von einem Arbeitsplatz zu einem anderen, auch bei privaten Firmen, bedürfen der jeweiligen Zustimmung der Chefs. Dongming boomt nicht so extrem wie Shanghai oder Guandong, Wanderarbeiterprobleme sind entweder nicht existent oder kaum sichtbar.

Die Frauengleichstellung existiert mehr auf dem Papier. Nach dem ersten und oft einzigen Kind sind die Jobaussichten für Frauen gut, bei einer weiteren Schwangerschaft gibt es aber keine Arbeitsplatzgarantie.

Umweltschutz ist, zumindest verbal, auch im Chemielabor angekommen. Noch werden die anfallenden kleineren Chemikalienmengen über den Ausguss entsorgt, genau wie zu meiner Studienzeit in Wien (Abschluss 1974), aber landesweit wurden hunderte Fabriken wegen Umweltgefährdung geschlossen. Umweltschutz ist ein aktuelles Gesprächsthema. Die offizielle Politik: China übernimmt keine von außen aufgezwungenen Verpflichtungen. Aber der interne Fünfjahresplan fixiert zum ersten Mal feste Ziele für eine bessere CO2-Effizienz.

Solange der Aufstiegsglaube und auch der reale, materielle, Aufstieg in der Bevölkerung existieren, ist das Interesse an Freiheit und Demokratisierung westlicher Prägung für die große Mehrheit der Bevölkerung unwesentlich. In jüngster Vergangenheit war der Westen auch nicht wirklich eine attraktive Alternative. Die Probleme werden sicher größer, wenn die nächste Generation mit Diplom vom Arbeiter zum Angestellten aufsteigen möchte. Arbeitsplätze für Hochqualifizierte sind noch vergleichsweise spärlich, die gut Ausgebildeten werden mehr. 1998 gab es 830.000 Studienabgänger (Techniker, Diplomingenieure, Doktoren) pro Jahr, jetzt sind es über sechs Millionen, Tendenz stark steigend.

Globaler Wettbewerb


Der Vorsprung Europas schrumpft: 2011 haben chinesische Forscher und Unternehmer 391.000 Patente angemeldet, die EU 151.000; in Polen hat eine chinesische Baufirma bereits die Ausschreibung zu einem Autobahnstück gewonnen, sie boten um 60 Prozent billiger an, greifen auf polnische Arbeitskräfte zurück und verwenden Schweizer und deutsche Straßenbaumaschinen (sagen sie). Chinesische Firmen kaufen Grundstücke vom Baltikum bis zum Balkan, chinesische Firmen investieren viel in Ungarn. Der Plan: Osteuropa als Sprungbrett für die restliche EU nutzen. Die KPCh plant langfristig, es geht nicht um den schnellen Gewinn. In diesem Sinne sind auch die Stützungskäufe griechischer, spanischer und portugiesischer Staatsanleihen durch China zu sehen.

Auf der wissenschaftlichen Ebene gibt es zwischen China und Österreich Kooperationen (z.B. Austria Tec Week China während der EXPO 2010), besonders auf dem Gebiet der Elektrifizierung des Verkehrs. Aber solange es in China kein Umdenken zu mehr öffentlichem Verkehr gibt, bin ich, was den Erfolg betrifft, skeptisch. In China sind die Investitionen für Autobahnen dem Zugsverkehr bei Weitem voraus

Wie gut sich Europa in Zukunft behaupten kann, hängt entscheidend von den Anstrengungen bei Bildung, Ausbildung und auch bei der Forschung ab.

Dieter Scholz, geboren 1947, ist habilitierter Medizinalchemiker und arbeitet seit seiner Pensionierung als Berater für den österreichischen ASEP (Austrian Senior Expert Pool, www.asep.at) und das deutsche SES (Senior Expert Service, www.SES-bonn.com).