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Zeitgemäße Reliquien

Von Oliver Bentz

Reflexionen

Eine Ausstellung in der Wienbibliothek präsentiert Autogrammfotografien aus der Sammlung von Hermine Kunz-Hutterstrasser und gibt amüsante Einblicke in die Kulturgeschichte der Selbstdarstellung.


Das Sammeln von signierten Porträtfotografien berühmter Persönlichkeiten war die große Leidenschaft der Wiener Kommerzialratsgattin Hermine Kunz-Hutterstrasser (1873-1948). Von den späten 1880er Jahren bis kurz vor ihrem Tod trug sie eine Kollektion von Autogramm- und Widmungsfotografien von Literaten, Schauspielern, Tänzern, Künstlern, Wissenschaftern und Sportlern zusammen, die heute zu den größten erhaltenen Sammlungen dieser Art zählt.

Gustinus Ambrosi präsentiert sich mit einer Prachtwidmung und einem entsprechend dekorativen Foto.
© Foto. Deutsches Literaturarchiv, Marbach

Über dreißig Jahre nach dem Tod der Sammlerin, die als Schwester von Carl Hutterstrasser, des Inhabers der Klavierfabrik Bösendorfer, zu den begüterten Kreisen Wiens gehörte, fand die etwa 1600 Objekte umfassende Sammlung 1981 ihren Weg ins Deutsche Literaturarchiv Marbach. Die Begleitbriefe, mit denen ihr die um ihre Unterschrift gebetenen Prominenten ihre signierten Fotos zusandten, hatte sie jedoch schon 1943 an die Wiener Stadtbibliothek abgegeben.

Mit der Ausstellung "Zum Konterfei das Autogramm! Widmungsphotographien der Wiener Sammlerin Hermine Kunz-Hutterstrasser (1873-1948)" finden die beiden Teile dieser kulturgeschichtlich interessanten Kollektion in der Wienbibliothek im Rathaus jetzt wieder für einige Monate zusammen.

Panorama der Kultur

Michael Davidis, bis zu seinem Abschied in den Ruhestand vor wenigen Wochen Leiter der Bildabteilung des Deutschen Literaturarchivs in Marbach, und Marcel Atze, Chef der Handschriftensammlung der Wienbibliothek, laden den Betrachter mit dieser in mehrjähriger Kooperation zwischen den beiden Institutionen entstandenen und jetzt wunderschön präsentierten Schau nicht nur zu einem Spaziergang durch die Fotografiegeschichte der Jahrzehnte um 1900 ein - sie lenken den Blick des Betrachters mittels der Autogrammporträts auch auf das weite Panorama des reichhaltigen kulturellen Lebens in Deutschland und Österreich während dieser Zeit.

Das spezielle "Who is who", das man für diese Ausstellung aus dem großen Fundus der Hutterstrasserschen Kollektion ausgewählt und in Kapitel, die verschiedenen Merkmalen der Sammlung gewidmet sind, unterteilt hat, reicht von Peter Altenberg, Vicki Baum, Tilla Durieux, Ricarda Huch, Karl Farkas, Alexander Granach, Paul und Attila Hörbiger, Josef Hoffmann, Josef Kainz und Gina Kaus über Curd Jürgens, Alexander Moissi, Robert Musil, Maria Orska oder Alfred Polgar, bis hin zu Edgar Wallace, Heinrich Zille, Bertha Zuckerkandl und Stefan Zweig.

Auf den Rückseiten der signierten Bilder notierte die Sammlerin Lebensdaten und Berufsbezeichnungen der abgebildeten Persönlichkeiten sowie Nachrufe aus Zeitungen, die sie aufklebte - was die Sammlung auch zu einem biographischen Archiv und zeitgeschichtlichem Quellenfundus macht.

"Am Anfang des Autographensammelns", beschreibt der Antiquar Günther Mecklenburg diese Leidenschaft, "stand die Ehrfurcht - der Wunsch, die Schriftzüge eines verehrungswürdigen Menschen als körperliche Erinnerung an ihn zu bewahren. Ist das Autograph doch die einzige Reliquie von unbestrittener Echtheit, in der sich Geist und Wesen eines Dahingeschiedenen über Jahrhunderte hinweg offenbaren."

War man zuvor dem Wunsch, ein authentisches Zeugnis eines geliebten oder verehrten Menschen zu erhaschen, durch den Austausch von Portrait-Silhouetten oder Haarlocken nachgekommen, kam im 19. Jahrhundert das Sammeln von Autographen besonders in Mode.

Eine Frauenliebhaberei

Als Hermine Kunz-Hutterstrasser um 1900 damit begann, ihrer Leidenschaft zu folgen, waren das fotografierte Porträt und das Autograph durch den technischen Fortschritt bereits miteinander verschmolzen. Besonders Frauen waren in dieser Zeit begeisterte Sammlerinnen. Der Schriftsteller Stefan Zweig, ein besonders eifriger Bibliophiler und Autographensammler, der mit zwölf Jahren der Sammelleidenschaft verfiel, bemerkte diesen Umstand und gab sich in seinen "Bittbriefen" nicht selten als "Stefanie Zweig" aus, um das Herz der Adressaten eher erweichen zu können und so an die gewünschten Handschriften zu kommen.

Viele prominente Kulturschaffende waren schon darauf eingerichtet, von Verehrern um ihr Konterfei gebeten zu werden. Das belegt die Tatsache, dass viele von ihnen der Sammlerin repräsentative "offizielle" Fotos sandten, die nicht selten von den führenden Fotografen und -ateliers der Zeit - etwa von Dora Kallmus oder Trude Fleischmann, dem Atelier Elvira in München oder dem Wiener Atelier Adèle - hergestellt wurden. Aus diesem Grund finden sich in der Sammlung nur wenige "Hobbyknipsereien", wie etwa jene des Zeichners Olaf Gulbransson, der ein von einem Freund geschossenes Foto schickte, das ihn mitten im Grünen zeigt.

Auf den an die Sammlerin gesandten Fotos zeigten sich Bildende Künstler und Autoren oft auch gerne in ihrem Arbeitsumfeld. So ließen sich etwa der Maler Oskar Laske oder der Bildhauer Gustinus Ambrosi bei der Arbeit im Atelier ablichten, während sich Büchermenschen wie der Kunstkritiker und Schiele-Förderer Arthur Roessler oder der Autor Franz Nabl in ihren Bibliotheken präsentierten. Das Spektrum der verschiedenen Porträttypen erstreckt sich vom Kopfbild bis zum Ganzkörperporträt, der überwiegende Teil sind Studioaufnahmen, nur wenige der Abgebildeten ließen sich im Freien ablichten.

"Ricarda Huch vor zehn Jahren", schrieb die Dichterin 1911.
© Foto. Deutsches Literaturarchiv, Marbach

Wenn Hermine Kunz-Hutterstrasser mit ihren Briefen an die Prominenten schon ein Porträtfoto mitsandte, mit der Bitte, es zu unterzeichnen, traf das nicht immer auf die Begeisterung der Adressaten. Dem Feuilletonisten Alfred Polgar etwa missfiel das beiliegende Foto so sehr, dass er "erst die Ankunft eines besseren abwarten" wollte. Felix Braun schlug ihr statt des mitgelieferten Fotos ein Bild der Büste seines plastischen Porträts aus der Hand von Gustinus Ambrosi vor, und die Tänzerin Gertrud Bodenwieser, die das mitgeschickte Bild verloren hatte, hoffte, dass die Sammlerin die Ersatzkarte "ein wenig befriedigt". Der Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe fand sich auf seinem Bild nur "schrecklich" getroffen, der Dramatiker Ferdinand Bruckner strich sein Abbild kurzerhand durch und der Schriftsteller Leonhard Frank schrieb quer über sein Konterfei die Worte: "Das bin ich nicht!" Alle drei jedoch setzten ihre Signatur unter die ungeliebten Abbilder.

Auch der Autor Robert Neumann wollte sich gar nicht im mitgeschickten graphischen Porträt von Emil Stumpp wiedererkennen. Er schrieb der Sammlerin, dass er nicht so aussehe, wie ihn die Graphik zeige. Der Maler Ernst Kreidolf beklagte die Phantasielosigkeit des Mediums Fotografie an sich, die Puppenmacherin Käthe Kruse kommentierte ihr Bild mit den Worten "Schöner ist sie halt nicht, die Käthe Kruse". und der Feuilletonist Anton Kuh versicherte Hermine Kunz-Hutterstrasser 1928 - Angriffe auf ihn durch den aufkommenden Nationalsozialismus kommentierend - , dass seine Seele "einen weitaus arischeren Charakter" habe als sein Gesicht auf dem Foto.

Auch in manch anderen Kommentaren auf den Fotos oder in den Begleitbriefen der Kulturschaffenden spiegelt sich die Zeitgeschichte wider. So forderte der völkische Schriftsteller Wilhelm von Scholz von der Sammlerin als Bezahlung für sein Autogramm eine Spende an die Deutsche Winterhilfe, und der NS-Kulturfunktionär Friedrich Bethge unterschrieb im April 1938 auf einem Foto, das ihn in Uniform zeigt. Auch gab er in seinem das Bild begleitenden Schreiben seiner Freude über die erfolgte "seit Jahrhunderten so ersehnte Vereinigung mit dem Mutterlande Deutschland" Ausdruck und schloss mit "Heil Hitler!"

An welcher Stelle des Porträts setzt der Abgebildete seine Unterschrift ein? Roda Roda entschied sich für seine rote Weste als Schreibunterlage.
© Foto. Deutsches Literaturarchiv, Marbach

Dass sich die Sammlerin mit dem expliziten Wunsch an die Adressaten wandte, das Foto auf der Vorderseite zu unterschreiben, brachte manchen in Schwierigkeiten, den "richtigen" Platz für das Autogramm zu finden. So schrieb Alexander Roda Roda auf seine berühmte rote Weste, andere unterzeichneten auf dem Hemd, dem Rock, Klaus Mann auf seinem Hemdkragen, Erika Mitterer auf der weißen Fläche eines aufgeschlagenen Buches. Auf unverhüllte Körperstellen schrieb keiner der Unterzeichner.

Peinliche Fehler

Sogar die Peinlichkeit, ihren Briefen ein falsches Bildnis beizulegen, leistete sich die Sammlerin einige Male. Meist ertrugen es die Betroffenen mit Humor, wie etwa der Schauspieler Hermann Vallentin, der der Verehrerin schrieb: "Da ich der ‚Vallentin‘ bin, der sich mit zwei ‚l‘ schreibt, und dessen Vorname ‚Hermann‘ ist, schreibe ich besser meinen Namen auf die hintere Culisse des Bildes. - Die vordere Seite reservire ich meinem so aufrichtig von mir geschätzten Collegen, dem originellen, großen Münchner Komiker - Carl Valentin und seiner Unterschrift."

Dem Ansinnen der Sammlerin, ihr eine signierte Photographie zu senden, verweigerten sich nur wenige der Angefragten. Der niederländische Kulturhistoriker Jan Huizinga etwa, der ihr schrieb, dass sein Bild nicht käuflich sei und er keines besitze, das er ihr überlassen könne. Der Brücke-Maler Karl Schmidt-Rotluff teilte ihr mit, er habe bisher "allen fotografischen Zumutungen entgehen" können und wolle ihr ihre Bitte nicht erfüllen. Schroff wurde der tschechische Komponist Jaromir Weinberger, der Hermine Kunz-Hutterstrasser mit den Worten "Ich wünsche Ihnen, dass Ihnen schon nichts vom Glück fehlt als mein Lichtbild" abkanzelte.

Oliver Bentz, geboren 1969, ist als Germanist, Kultur- publizist und Kunstvermittler tätig. Er lebt in der deutschen Stadt Speyer,

"Zum Konterfei das Autogramm!" Widmungsfotografien der Wiener Sammlerin Hermine Kunz-Hutterstrasser (1873- 1948). Ausstellung in der Wienbibliothek im Rathaus - bis 19.März 2013.Das opulente Begleitbuch zur Ausstellung, wurde herausgegeben von Marcel Atze und Michael Davidis, unter Mitarbeit von Kyra Waldner. Metroverlag Wien 2012, 296 Seiten, 24,90 Euro.