Wahrscheinlich hat der Buddhaweg in Österreich nie eine schönere Blüte erlebt als im geistigen Wien zwischen den Weltkriegen, einer Epoche, die der scharfsinnige Schriftsteller Karl Kraus 1925 zu jener der "Kaffeehausbuddhisten" ausrief: "Wer dränge zum Ziel dieses mystischen Dranges? / Ein Jogi am Ufer des Müßigganges!"

Der Ausdruck "Kaffeehausbuddhismus" war in Abgrenzung zu Oswald Spenglers "Salonbuddhismus" gut gewählt. Mit Letzterem hatte Spengler im zweiten Band seines Hauptwerks "Der Untergang des Abendlandes" die indische Lehre abgewertet und auf eine Stufe mit okkultistischem und theosophischem Schwindel, mit Neogotik, amerikanischer Chris- tian Science und Taoismus gestellt - alles "verlogenes, religiöses Kunstgewerbe" und "gebildeter Hokuspokus", wetterte Spengler, mit dem der moderne Mensch nur seine "innere Öde ausfüllen möchte". Diese "zweite Religiosität" der Menschheit bildete nach Spengler das notwendige Gegenstück zum "politischen Cäsarismus" der Zwanzigerjahre.
Ein "leeres Gefühl"
In Wien sah man die aus Indien importierte Denkströmung erwartungsgemäß gelassener. Hier nahmen die theosophischen Zirkel viel öfter im Kaffeehaus als in den Salons der besseren Gesellschaft Platz. Das Großbürgertum der Ringstraßenära war, wo es von Rom los kam, kulturprotestantisch und jüdisch-intellektuell inspiriert; es zeigte entsprechend wenig Interesse an Konfessionslosen und exotischen Konvertiten.
So erlebte der Buddhismus im kaiserlichen Wien seine Geburtsstunde in bescheidenen Gelehrtenstuben und dem gemeinsamen Zuhause der Bohème, dem Kaffeehaus: Buddhas Wiege stand an einem Ort, an dem träumerischer Müßiggang das Geschäft unmerklich ablöste. Hier konnte man allein sein, ohne sich allein zu fühlen. In der stilvoll nachlässigen Atmosphäre des Kaffeehauses erschlossen sich die Vier unbegrenzten Zustände des Daseins - Liebe, Mitfreude, Mitleid und Gleichmut - fast automatisch. Zwischen Kleinem Braunen und Apfelstrudel ließ sich leichter als in einem Tempel erkennen, was am Dasein unzulänglich blieb, weil es unbeständig war. Die Kaffeehausgeher ruhten mit unausgerichtetem Gleichmut im offenen Raum des reinen Gewahrseins.
Der wienerischste aller Orte schien wie geschaffen für den Alltag transzendierende Erfahrungen. Friedrich Nicolai hatte hier schon 1781 "beständig eine Menge Menschen, die sich mit NICHTS beschäftigen" vorgefunden. "Manchmal glich das Kaffeehaus einem Lager überwinternder Nomaden", notierte Joseph Roth 1928, "manchmal einem bürgerlichen Speisezimmer, manchmal einem großen Wartesaal in einem Palast und manchmal einem warmen Himmel für Erfrorene." Ein weiterer Gast, der Kroate Miroslav Krlea, schwärmte von "Luftschiffen, die oberhalb der Erde segelten". Stefan Zweig schilderte eine "träge Passivität", ein "leeres Gefühl", das sich bis zur "wohligen Verdumpfung" steigern konnte.
Dieses übermäßige Prestige als "Oase der Stille" hat sich das Wiener Kaffeehaus - trotz Mobiltelefonen und Laptos - bis heute bewahrt. Allerdings könnte man fragen, ob die dazugehörige Meditationspraxis über dem Wasserglas seinerzeit nicht mehr anzubieten hatte als buddhistische TV-Sendungen und staatlicher Religionsunterricht heute . . .
Im Mai 1909 erklärte Karl Kraus, dass er von drei Dingen - Astronomie, Kontrapunkt und Buddhismus - "weniger verstehe als ein neugeborenes Kind". Da sprach der Satiriker aus ihm. Kraus war in kultischer Hinsicht keineswegs taub. 1899 hatte er den jüdischen Väterglauben abgelegt, zwölf Jahre später trat er der katholischen Kirche bei - und 1923 trennte er sich wieder von ihr, weil sie dem von ihm verachteten Regisseur Max Reinhardt erlaubte, in der Salzburger Kollegienkirche ein Drama Hugo von Hofmannsthals aufzuführen.
Im Dezember 1913, also nur ein halbes Jahr, bevor Kraus als publizistischer Außenseiter dem Hurrapatriotismus einer verrückt geworden Welt widerstand, rief ihn die in Berlin erscheinende "Deutsche Montagszeitung" zum "Buddha des Praters" aus. Tatsächlich war Kraus bestens informiert über die buddhistische Wendung nach innen, deren erstes und wichtigstes Prinzip er 1904 in der Negation erkannte:
"Nichts wünschen, nichts begehren, von den Menschen und dem Leben, und du wirst immer glauben, mehr bekommen zu haben, als du hast begehren können; und du weißt aus Erfahrung, wenn du bekommen hast, was du wünschtest, so war es weniger das Gewünschte als die Erfüllung selbst, die dir Freude machte".
Kraus und Neumann
Kannte Kraus den seelenheiteren Indologen Karl Eugen Neumann, der 1894 nach Wien übersiedelt war, um in der Gentzgasse 42 zehn Bände von Pãlitexten zu übersetzen? Bis 1905 waren diese ursprünglichen Lehrreden Buddhas bei insgesamt sieben Verlagen erschienen. Da Kraus von Oskar Samek zunächst gerettete Bibliothek 1938 durch die SA zerstört wurde, sind wir hier auf Vermutungen angewiesen.