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Höhenflüge und Horrortrips

Von Thomas Karny

Reflexionen

Vor 70 Jahren entdeckte der Schweizer Chemiker Albert Hofmann das LSD. Nach tödlichen Missbräuchen verboten, scheint es nun langsam eine Renaissance in der Medizin zu erfahren.


Sie galt als die Modedroge der Hippie-Bewegung. Jim Morrison nahm sie ebenso wie Jimi Hendrix. Aber auch Ernst Jünger und Aldous Huxley schätzten sie. Und ungeachtet der zahlreichen letal verlaufenen Horror-Trips vor allem junger Menschen forderte Timothy Leary, Psychologie-Dozent der renommierten Harvard University, in den 1960er Jahren sogar deren Legalisierung. Wenig später wurden Herstellung, Handel, Besitz und Konsum der Droge verboten.

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LSD-Verteiler: der legendäre Bus der US-amerikanischen Hippie-Gruppe "Merry Pranksters".
© Foto: Wikimedia

LSD - Bewusstsein erweiterndes Wundermittel für die einen, berauschender Todesengel für die anderen: Entdeckt hatte es der Schweizer Chemiker Albert Hofmann, als er im Auftrag der Sandoz-Werke nach einem Kreislaufstimulans forschte. 1938 hatte er aus dem "Mutterkorn"-Pilz die Lysergsäure gewonnen und sie in verschiedenen Verbindungen hergestellt. In weiteren Experimenten entwickelten Hofmann und sein Team ein die Gebärmutter kontrahierendes, blutstillendes Mittel, das als Methergin bis heute gegen Wochenbettblutungen und Wochenflussstauungen verwendet wird. Eine verwertbare pharmakologische Wirkung auf den Kreislauf konnte durch die Substanz jedoch nicht erzielt werden; die in Tierversuchen erzielten Ergebnisse waren enttäuschend.

Phantastische Bilder

Fünf Jahre später fasste Hofmann in einer "merkwürdigen Vorahnung" den Entschluss, eine dieser Verbindungen, das Lysergsäure-Diethylamid, noch einmal herzustellen. Während der Laborarbeiten stellten sich bei ihm plötzlich innere Unruhe und Unwohlsein ein. Er brach seine Arbeit ab und fuhr heim. Zu Hause legte er sich nieder und versank in einen "nicht unangenehmen rauschartigen Zustand", der sich durch eine äußerst rege Phantasie kennzeichnete. "Im Dämmerzustand", berichtete Hofmann später über seine Empfindungen, "wirkten ununterbrochen phantastische Bilder von außerordentlicher Plastizität und kaleidoskopartigem Farbenspiel. Nach etwa zwei Stunden verflüchtigte sich der Zustand."

Es war der 16. April 1943, jener Tag, von dem Hofmann sagen wird, dass das LSD zu ihm gekommen sei: "Ich habe es nicht gesucht. Es hat mich gefunden (. . . ) es hat sich mir offenbart."

Eine Art Offenbarung, ein als nahezu mystisch erlebtes Naheverhältnis zur Natur, soll auch den Ausschlag gegeben haben, dass Hofmann das Chemiestudium aufgenommen hat. Als ältestes von vier Kindern am 11. Jänner 1906 in Baden/Aargau geboren, wuchs der Sohn eines Werkzeugmachers in eher bescheidenen Verhältnissen auf. Er absolvierte nach einer kaufmännischen Ausbildung auf dem zweiten Bildungsweg die Matura, das Studium an der Universität Zürich finanzierte sein Patenonkel. Hofmann promovierte mit Auszeichnung und trat hernach in die Dienste von Sandoz.

Als erfahrener Chemiker, der unter Laborbedingungen stets sauber und kontrolliert arbeitete, konnte er sich zunächst nicht erklären, was der Auslöser jenes mysteriösen Erlebnisses war. An das LSD dachte er zuletzt, da er es ja schon fünf Jahre zuvor untersucht und an jenem Morgen nur kristallisiert hatte. Aber gerade dabei, so vermutete er, musste er über die Fingerkuppen versehentlich eine geringe Menge aufgenommen haben, die ausreichte, um jenen entrückten Zustand auszulösen.

Drei Tage später führte Hofmann den Rauschzustand als kontrolliertes Experiment herbei. Diesmal stellten sich allerdings Angstgefühle, Sehstörungen und Lähmungen ein: "Meine Umgebung hatte sich in beängstigender Weise verwandelt. Die vertrauten Gegenstände nahmen groteske, meist bedrohliche Formen an. Die Nachbarsfrau war eine bösartige, heimtückische Hexe mit einer farbigen Fratze."

Die Dosis war zu hoch, der Selbstversuch zum Höllentrip geraten. Zu Beginn des bewusst induzierten Rauscherlebnisses war es Hofmann gerade noch gelungen, mit seinem Fahrrad nach Haus zu kommen, - in wilden Schlangenlinien, eine Gefahr für sich und die anderen Verkehrsteilnehmer. Der Tag ging als "bicycle day" in die LSD-Kultur ein.

Heilige Droge Mescalin

Was Hofmann damals erlebt hatte, war gerade erst in den Fokus der Wissenschaft geraten: die Wirkung pflanzlicher Alkaloide. Dem Berliner Arzt und Pharmakologen Louis Lewin war es gelungen, ein Klassifikationssystem für Drogen und psychoaktive Pflanzen zu erstellen. Kurt Beringer, herausragender Vertreter der Drogenforschung an der in den 1920er Jahren auf diesem Gebiet bedeutenden Universität Heidelberg, hatte die halluzinogene Wirkung von Mescalin, einem im mittelamerikanischen Peyote-Kaktus enthaltenen und von den dort lebenden Indianern als heilige Droge verehrten Wirkstoff, untersucht.

Bei Sandoz erkannte man bald die therapeutische Wirkung des LSD und entwickelte ein Medikament, das bei Alkoholabhängigkeit, psychischen Leiden und schwerkranken Patienten zur Schmerzlinderung eingesetzt wurde. Das LSD, betonte Hofmann indes, sei kein Therapeutikum an sich, sondern nur ein Hilfsmittel zur Psycho-Stimulans. Als man es 1949 unter dem Handelsnamen Delysid als Versuchspräparat an Psychiater abgab, empfahl man diesen ausdrücklich, es im Selbstversuch zu erproben, ehe es an ihren Patienten angewendet würde.

In den ersten zwei Jahrzehnten nach seiner Entdeckung erschienen zu LSD über 1000 Fachartikel. Die Ergebnisse wirkten ermutigend: Der psychische Gesamtzustand von unheilbar Kranken habe sich durch die neuartige Substanz nachhaltig verbessert, und bei Autisten fungierte LSD gewissermaßen als Brücke zur Umwelt. Künstler wiederum schwärmten vom kreativen Potenzial, das sie ihrer Einschätzung nach ohne LSD nicht erreicht hätten.

Doch da zeigten sich die Schattenseiten: Geheimdienste versuchten, die Droge für ihre Zwecke einzusetzen und nahmen bei den Experimenten an zumeist nicht informierten Personen auch Todesfälle in Kauf. Und sobald die Sub-stanz unters Volk gelangt war, wurden Einsatz und Wirkung vollends unkontrollierbar. Auf dem Gipfel des LSD-Hypes der 1960er Jahre gründete Ken Kesey, Autor von "Einer flog über das Kuckucksnest", die Hippie-Gruppe "Merry Pranksters", die in ihrem bunt bemalten Bus (siehe Bild oben) durch die USA fuhr und LSD-Happenings veranstaltete, indem sie die damals noch legale Droge an das Publikum verteilte.

Der Schriftsteller Tom Wolfe, zeitweilig Mitreisender in jenem Bus, hatte die Erlebnisse in "The Electric Kool-Aid Acid Test" (dt. Titel: "Unter Strom") literarisch festgehalten. Eine wahre Rauschgiftwelle erfasste die USA. Manche der als anturnend gedachten Höhenflüge gerieten zum Horrortrip und sorgten für Sensationsmeldungen. Menschen, die im LSD-Wahn glaubten, fliegen zu können, stürzten von Hochhäusern und Brücken in den Tod. Die Morde des Sektenführers Charles Manson schrieb man dem Missbrauch von LSD zu. 1966 wurde die Droge in den USA verboten, andere Länder folgten bald nach.

Hofmann legte seine Befürchtungen schon 1961 seinem Freund Ernst Jünger dar: Indem die Droge "ein zusätzliches Fenster für unsere Sinne und Empfindungen" öffne, sei der Schritt zur "Veränderung des Wesenskerns" des Konsumenten nur ein kleiner. Jünger, der mit LSD und Mescalin experimentierte und seine Erfahrungen in "Annäherungen - Drogen und Rausch" sowie im Roman "Besuch auf Godenholm" beschrieb, war sich mit Hofmann darin einig, dass der Gebrauch der Droge nur einer kleinen Elite vorbehalten bleiben dürfe. Scharf kritisierte Hofmann die Propagierung des Massenkonsums durch den Drogenapostel Timothy Leary. "Die amerikanische Jugendbewegung", sagte er, "hat das LSD zu oberflächlich genommen, sie hat sich nicht vorbereitet." Für Hofmann gehörte LSD zu den sakralen Drogen, die nur im kontrollierten Setting, etwa unter Aufsicht eines Psychiaters, konsumiert werden dürfe.

Kult von Eleusis

Als Vorbild nannte er den hellenischen Kult von Eleusis, bei dem man den zur Erleuchtung verhelfenden Rauschtrank Kykeon einnahm. Auch die Indianer nähmen ihre "heiligen Pilze" nach strengem Ritual zu sich und reinigten sich durch Fasten und Beten innerlich: "Dann bringt einen der Pilz dem Göttlichen näher. Aber wenn ich das nicht mache, tötet er mich oder macht mich wahnsinnig." Das Wundermittel war zum "Sorgenkind" geworden, wie Hofmann notierte. Als er 1971 als Leiter der Naturstoffabteilung von Sandoz in den Ruhestand trat, war es nahezu weltweit verboten.

In der Technoszene der 1980er Jahren als Partydroge neu aufgetaucht, hält sich LSD laut Drogenberichten seither auf niedrigem Niveau. In jüngster Zeit versuchen Wissenschafter zumindest für Studienzwecke wieder ein Bewusstsein für den unvoreingenommenen Umgang mit LSD zu schaffen, dessen Abhängigkeitspotenzial und Toxizität als gering eingestuft werden. Als Hofmann 2007 erfuhr, dass Steve Jobs seine Erfahrung mit LSD als "eines der drei wichtigsten Dinge in meinem Leben" bezeichnete, bat der 101-Jährige den Apple-Mitbegründer um Mitteilung, auf welche Weise die Substanz für ihn nützlich war: "Ich hoffe, Sie helfen mir dabei, mein Sorgenkind in ein Wunderkind zu verwandeln." Hofmann wollte Jobs als Unterstützer für Peter Gasser gewinnen. Der Psychiater hatte von der Schweizer Regierung die Genehmigung erhalten, eine LSD-Therapie für Todkranke zu erproben. Es ist nicht bekannt, ob Jobs geantwortet hat.

Anders als sein krebskranker Freund Aldous Huxley, der sich von seiner Frau 100 Mikrogramm LSD injizieren ließ, hat Hofmann die Droge in seiner Todesstunde am 29. April 2008 nicht benutzt. Mit großer Neugierde, so heißt es, habe er dem Tod entgegengesehen.

Thomas Karny, geb. 1964, lebt als Sozialpädagoge, Autor und Journalist in Graz. Mehrere Buchveröffentlichungen zur Zeitgeschichte.