Staats- und Politikkritik


Den Begriff der Subversion definiert er als Form menschlicher Emanzipation in finsteren Zeiten. Die Subversion ist nicht die Befreiung selbst, sondern ihre Vorbereitung. Agnoli begreift sie als "Negation sans phrase, Negation als destructio, als eigenwillige Vernunft". Die Subversion ist eine sowohl theoretische als auch praktische Tätigkeit, die die Ordnung angreift, ohne jedoch wie Protagonisten einer konformistischen Revolte eine "noch ordentlichere Ordnung" einzufordern.

In Agnolis Streifzug durch die Philosophiegeschichte lassen sich immer wieder die Grundzüge seiner Staats- und Politikkritik erkennen, wie er sie in seinen bekannteren Texten wie der "Transformation der Demokratie" entwickelt hat, die als "Bibel der Außerparlamentarischen Opposition" galt, nach Angaben von damals Involvierten auch in Wien zur Pflichtlektüre der 68er gehörte und weit über linksakademische Kreise hinaus rezipiert wurde.

Gegen die Institutionalisierung der Subversion setzt Agnoli seine Parlamentarismuskritik, in der er auf eine Involutionstendenz der modernen Demokratien verwies. Er legt dar, dass Macht nicht dann wirksam kontrolliert und schon gar nicht sabotiert werden kann, wenn sich die Subversion auf die Institutionen der Macht einlässt, sondern nur dann, "wenn die Vernunft auf der Straße in Permanenz tagt". Dementsprechend war Agnoli ein scharfer Kritiker jenes "Marsches durch die Institutionen", mit dem sich viele der von ihm zunächst inspirierten 68er ihre Anpassung ans Bestehende schön geredet haben. Er wusste, dass die Institutionen in aller Regel stärker sind als die Menschen, die sich in sie hineinbegeben.

Agnoli hat nachdrücklich darauf hingewiesen, dass wir es in den europäischen Nachkriegsstaaten keineswegs mit Gesellschaften zu tun haben, die aus dem Nichts entstanden sind, sondern mit postfaschistischen Gesellschaften, die gewisse Komponenten des Faschismus in modifizierter Form in sich aufgenommen haben. Darüber referierte er zwei Jahre vor seinem Tod auf einem Kongress in Wien, bei dem 2001 u.a. über die Bedeutung der blau-schwarzen Koalition diskutiert wurde.

Die Auseinandersetzungen über Antisemitismus und falsche Kapitalismuskritik, wie sie spätestens seit Anfang der 1990er Jahre in der deutschsprachigen Linken geführt werden, konnten aus Agnolis Texten nur wenige Impulse erhalten. Das liegt in erster Linie daran, dass jene Gemütslage des quengelnden Bürgers, der sich permanent betrogen und übervorteilt fühlt und einen diffusen Hass gegen "die da oben" hegt, bei Agnoli nicht Gegenstand der Kritik ist, sondern ganz im Gegenteil immer wieder als Beleg für die grundsätzliche Widerständigkeit der abhängigen Massen herhalten muss.

Die antisemitischen Implikationen eines ressentimenthaften Antikapitalismus bekam Agnoli nur selten in den Blick. Selbst noch der rigide Antiintellektualismus deutscher Werktätiger, der selten ohne eine latent antisemitische Einfärbung auskommt, schien ihm bisweilen eine Bestätigung für die ursprüngliche Aversion der Arbeitenden gegen Herrschaft jeglicher Art zu sein.

Kritik an Djihadisten


Doch seine Kritik eines autoritären Staates rechtsstaatlicher Prägung, seine Überlegungen zum Staat als "Gesellschaftsplaner" oder auch seine Charakterisierung der postnazistischen Parteienlandschaft der BRD als "plurale Fassung einer Einheitspartei", haben nichts an Aktualität verloren.

Bei aller Kritik an einem funktionalistischen Antisemitismusbegriff in seinen faschismustheoretischen Schriften und an seiner Ablehnung der Kritischen Theorie von Autoren wie Theodor W. Adorno und Max Horkheimer (eine Ablehnung übrigen, über die er sich in seinen letzten Lebensjahren sehr selbstkritisch geäußert hat), bleibt seine stets vom basso continuo der Ironie begleitete Kritik allein schon angesichts des staatsidealistischen Konformismus und der verbiesterten Humorlosigkeit großer Teile der heutigen Linken aktuell.

Dass Johannes Agnoli sich auch am Ende seines Lebens nicht vom Mainstream der Linken vereinnahmen ließ, kann man in dem Interview-Buch "Das negative Potential" von 2002 nachlesen, in dem er - kurz nachdem sich ein nicht geringer Teil der globalen Linken im Abfeiern der zweiten Intifada und des Massenmords von 9/11 von jeder kritischen Aufklärung verabschiedet hatte - mit einer völligen Selbstverständlichkeit von den islamischen Djihadisten als einer ähnlichen Bedrohung für die Emanzipation spricht, wie es historisch die Faschisten gewesen sind:

"Auch sie wollten und wollen niemals Freiheit, im Gegenteil. Ihr Wunschtraum ist es, die ganze Welt zu islamisieren. Dass sie das Befreiung nennen, liegt an der ideologischen Verwendung der Begriffe."

Stephan Grigat ist Lehrbeauftragter für Politikwissenschaft an der Universität Wien und Herausgeber von "Postnazismus revisited. Das Nachleben des Nationalsozialismus im 21. Jahrhundert" (Verlag ça ira).