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Ein grobkörniger Film läuft in Endlosschleife über den Bildschirm: Detonationen, Rauchwolken. Flammen, die wie gelb-rote Fahnen aus der beschossenen Bibliothek schlagen und das Wissen des Landes, seine Erinnerung, vernichten. Sarajevo zur Zeit der Belagerung zwischen 1992 und 1995. Das Tunnelmuseum hält die Bilder an jene Zeit wach.
Es ist in einem unscheinbaren Einfamilienhaus in der kleinen Ortschaft Butmir eingerichtet. An seinen Garten schließt die Piste des Flughafens der bosnischen Hauptstadt, deren Silhouette sich auf der anderen Seite im Dunst abzeichnet. Von hier aus und von einer Stelle 800 Meter entfernt, hatten Anfang 1993 rund 160 Menschen mit verzweifeltem Willen einen Tunnel gegraben. Vier Monate und vier Tage später war er fertiggestellt, an der Durchbruchstelle untertage reichten sich die Männer die Hände.
"Das war kein normales Händeschütteln", sagt die 28-jährige Dina Memic an der Kasse des Museums, "es bedeutete, dass alles gut gehen werde, dass Sarajevo mit seiner Verteidigung Erfolg haben und die Bevölkerung gerettet würde." Monatelang war Sarajevo damals durch bosnische Serben auf den Anhöhen rundum eingekesselt gewesen. Der Tunnel wurde zur Versorgungsader der Stadt, bis zum Ende der Belagerung zwei Jahre später. Lebensmittel, Verwundete, Munition und Waffen wurden durch die 1 x 1,60 Meter schmale Röhre transportiert.
Der Film zeigt die Grabungen mit einfachsten Mitteln, Männer, die in Eimern Grundwasser durch den Schlamm nach draußen schleppen. Alles musste unbemerkt geschehen, denn sowohl die auf dem Flughafen stationierten UN-Einheiten wie die Serben auf den Bergen hatten Verdacht geschöpft. Gegenstände im Museum machen Geschichte greifbar: Rollstühle und Liegen, die man auf Schienen durch den Tunnel schob, Feld-Essgeschirre, Petroleumlampen. Im Garten führt ein mit Tarnnetz verhängter Eingang zu 25 Metern verbliebener Stollen. Der Rest des Tunnels ist eingestürzt und zur Sicherheit des Flugbetriebs gesperrt.
Spuren des Krieges
Die Museumsbesucher kommen meist von auswärts, hauptsächlich aus Kroatien, man trifft aber auch Einheimische, also bosnische Moslems. Dass mitunter auch Serben aus dem angrenzenden Teilstaat Republika Srpska kommen, ist für Dina Memic nichts Besonderes: "Wir haben vor dem Krieg zusammengelebt, wir haben während des Kriegs zusammengelebt", sagt sie. "Wir versuchen normal zu leben, als wäre nichts passiert."
In der Stadt Sarajevo jedenfalls ist der Krieg noch buchstäblich auf Schritt und Tritt spürbar. Da sind etwa diese eigenartigen, mit roter Farbe ausgegossenen Spritzer im Asphalt: "Rosen von Sarajevo" nennt man die im Boden konservierten Einschläge - bittere Ironie, unangebrachter Euphemismus? Mitten auf der Straße vor dem Gemüsemarkt wieder so ein roter Fleck. Hier riss 1994 eine Granate 68 Menschen in den Tod. Ihre Namen sind auf einer Wand aufgeführt. Laut späteren ballistischen Untersuchungen soll die Granate nicht von den umliegenden Hängen, sondern aus einer Kaserne der bosnischen Armee in der Stadt abgefeuert worden sein - als Druckmittel, um die internationale Gemeinschaft zum Einschreiten zu bewegen. Doch wiebei vielen Kriegsereignissen besteht keine Gewissheit über den Hergang. Es scheint, es solle so bleiben, die Menschen wollen ihre Ruhe, haben genug zu tun, die Gegenwart zu bewältigen.
Es wird keine Rache geübt, viele wissen vieles über viele, aber sprechen nicht darüber. Nur die Politiker halten den nationalen Konflikt am Köcheln, um von aktuellen Problemen abzulenken. Doch in einem sind sich die Menschen aller drei Nationalitäten einig: in ihrer Ablehnung der Politiker, die Korruption und Vetternwirtschaft blühen lassen. Andererseits müssen sie sich gut mit ihnen stellen: sie verteilen Geld, sie können Arbeit verschaffen.
Knapp zwei Jahrzehnte nach Ende des Krieges in Bosnien ist der Konflikt auf das Niveau minderer Animositäten gedimmt: Von Sarajevo zum wenige Kilometer außerhalb gelegenen Camp der EU-Truppe Eufor nehmen Taxifahrer aus der heute zu 80 Prozent von Bosniaken bewohnten Stadt für gewöhnlich nicht den Weg über den Berg, sondern über die lange Ausfallstraße. Die liegt noch in der Föderation Bosnien-Herzegowina, während der Berg schon zum serbisch dominierten Teilstaat Republika Srpska gehört. Und da halten die serbischen Polizisten gern die muslimischen Taxifahrer auf, um sie eingehend zu filzen.
Ein anderes Beispiel: Beim Besuch der serbisch-orthodoxen Kirche im Stadtzentrum entschuldigt sich der Diakon kurz, er hat die Polizei im Haus. In der Nacht sei an die Wände des Pfarrhofs "Serben - Mörder von Bosnien-Herzegowina" geschmiert worden. In solchen Fällen wird der Rat für interreligiösen Dialog aktiv: 1997 wurde er von Katholiken, Orthodoxen, Muslimen und Juden gegründet. Die junge Bozana Katava arbeitet als Fachberaterin im Rat: "Wann immer wir einen Anschlag wahrnehmen, reagieren wir in derWeise, dass wir Leute zusammenholen - Priester, Imame, Repräsentanten der Gemeinde und der Polizei -, die den Anschlag verurteilen und sagen: Wir sind gegen so etwas. Das sendet eine starke Botschaft an die Gläubigen, an alle Menschen, dass Religion nichts damit zu tun hat." Dadurch seien die Anschläge auf religiöse Symbole um die Hälfte zurückgegangen.