Zum Hauptinhalt springen

"Sie hätte noch Ideen gehabt"

Von Mathias Ziegler

Reflexionen

Eigentlich kam sie im deutschen Görlitz zur Welt, doch sie wurde später als eine der größten Kinderbuchautorinnen Österreichs gefeiert: Mira Lobe wäre am 17. September 100 Jahre alt.


Von Schlesien über Palästina nach Wien: Mira Lobe.
© Foto: Regine Hendrich

"Das Schreiben ist nach der Liebe die zweitschönste Sache der Welt", sagte Mira Lobe einst. Und geschrieben hat die am 6. Februar 1995 verstorbene Kinderbuchautorin jede Menge: "Die Geggis", "Das kleine Ich bin Ich", "Bimbuli", "König Tunix", "Eli Elefant" - fast 100 Kinderbücher aus ihrer Feder (großteils illustriert von ihrer genialen Partnerin Susi Weigel) listet das Online-Lexikon Wikipedia auf, wo zu lesen ist: "Sie sind geprägt von Wärme, Zuneigung, Geduld, Verständnis, Engagement, Toleranz: Verständnis für die Außenseiter, Geduld gegenüber den Schwachen, Stimmigkeit und Spannung in der Handlungsführung und in der Zeichnung der Dargestellten. Jedoch kommen auch Sprachspiel und Humor nicht zu kurz." Und wer je ihre Bücher (vor)gelesen hat, kann dem nur zustimmen.

Aber wer war Mira Lobe? Welche Persönlichkeit steckte hinter den vielen Büchern, die von 1948 - ihr Erstling "Insu Pu" erschien auf Hebräisch - bis 1992 wie am Fließband erschienen, ohne merkbaren Qualitätsverlust? Antworten darauf fand die "Wiener Zeitung" bei ihrem Sohn Reinhardt Lobe, der heute als Coach und Psychotherapeut in Wien lebt, der dritten Heimat seiner Mutter.

Frühe Emigration

Zur Welt gekommen war sie am 17. September 1913 als Hilde Mirjam Rosenthal im schlesischen Görlitz (heute im östlichsten Zipfel von Sachsen). "Ihr Vater war Spirituosenfabrikant und -händler. Er starb, als sie 13 Jahre alt war. Ihre Mutter war mehr oder weniger eine gehobene Dame der Gesellschaft", erzählt er über seine Großeltern mütterlicherseits. Beide waren Juden, "das machte es meiner Mutter schwer, als sie mit 21, 22 Jahren nach Berlin ging, um Kunstgeschichte zu studieren. Also absolvierte sie in Berlin eine Ausbildung zur Maschinenstrickerin. Sie war aber auch eine sehr begabte Grafikerin."

1936 emigrierte sie nach Palästina, wohin sie ihre Schwester und ihre Mutter nachholte. Warum so früh? "Sie hatte einen Hang zum Zionismus und Sozialismus. Und sie war als junge Frau abenteuerlustig. Ein neues Land aufzubauen, das hat sie sicher gereizt." Das spiegelt sich auch in "Insu-Pu" wider: Elf Kinder geraten auf dem Weg nach Terranien, wo Frieden statt Krieg herrscht, in Seenot und landen auf einer einsamen Insel, wo sie einen perfekten Kinderstaat aufbauen.

"Sie hat auch einige andere hebräische Kinderbücher verfasst und selbst illustriert, mit einem gewissen zionistischen Touch", erzählt Reinhardt Lobe, der 1947 in Israel zur Welt kam. Seine Schwester Claudia wurde 1943 geboren. Ihr Vater war der Schauspieler Friedrich Lobe, den Mira Anfang der 1940er im Exil geheiratet hatte. "Er war Jahrgang 1889 - ein sehr alter Vater, viele hielten ihn für meinen Großvater."

Rückkehr nach Europa

1950 kam die junge Familie auf Betreiben des Vaters zurück nach Europa. Er war vor der Emigration in der deutschen Theaterszene etabliert gewesen und tat sich als Schauspieler schwer mit der hebräischen Sprache. Er machte zwar Karriere als Regisseur, geriet aber in Konflikt mit orthodoxen jüdischen Theatermachern, die ein explizit jüdisches Theater schaffen wollten, während er die großen Klassiker forcierte. Und so knüpfte er bei einer Europa-Tournee neue Kontakte zu alten Bekannten, die das Neue Theater in der Scala im sowjetischen Sektor in Wien aufbauten. Dort bekam er ein Engagement, weshalb die Lobes nicht nach Deutschland gingen, sondern nach Österreich.

Mira Lobe war damals noch nicht die gefeierte Kinderbuchautorin, die sie später sein sollte. "Der Anfang in Wien war hart", erzählt ihr Sohn. "Insu Pu" erschien bei Waldheim & Eberle - "in einer lieblosen deutschen Version" - mit bescheidenem Erfolg. Der kommunistische Globus-Verlag brachte ihr Buch "Anni und der Film" heraus, laut Reinhardt Lobe "kein besonders lesenswertes Buch". Doch dann landete sie beim KP-nahen Schönbrunn-Verlag. "Dessen Chef Hans Goldschmidt, der nach dem Tod unseres Vaters ihr Lebensgefährte wurde, hat ihre Bücher gut vermarktet." Und da ging es los mit "Der Tiergarten reißt aus", "Der Bärenbund", "Bärli Hupf" - den ganz großen Erfolg hatten diese Bücher alle allerdings erst, als sie später von anderen Verlagen neu aufgelegt wurden.

Ihre Hauptbeschäftigung waren in Wien zunächst aber Fortsetzungsgeschichten in der "UZ - Unsere Zeitung", einer Kinderzeitung des Globus-Verlags. Dort lief zum Beispiel "Bärli Hupf" ursprünglich als Serie mit dem Titel "Pockerl und Kasperl".

Intermezzo in Berlin

Mira Lobe war bis 1956 KP-Mitglied, trat aber aus Empörung über die Niederschlagung des Ungarn-Aufstands aus. Sie schrieb aber auch danach im Schönbrunn-Verlag und in der "UZ". Doch dann wurde im Gefolge des Staatsvertrags das kommunistische Scala-Theater geschlossen, und die Lobes gingen für ein Jahr nach Ostberlin, wo Friedrich am Deutschen Theater in der DDR engagiert wurde, während Mira einige Bücher im Kinderbuchverlag Berlin herausbrachte. "In der äußerst trostlosen Stadt haben wir es aber nicht lange ausgehalten." Zu Ostern 1958 nutzte der Vater einen Urlaub in Wien, um ein Engagement am Theater in der Josefstadt zu fixieren, und er hätte auch am Burgtheater spielen können, "aber er war damals schon schwer krank und ist am 20. November 1958 gestorben".

Viele Bücher, wie "Das kleine Ich bin Ich", wurden auch außerhalb Österreichs Bestseller (etwa in Russland).
© Jungbrunnen Verlag

So erlebte er nicht mehr den Einzug in die Gemeindebauwohnung, die Mira und die Kinder, die mittlerweile die österreichsiche Staatsbürgerschaft hatten, nicht zuletzt dank guter Kontakte zur SPÖ - "sie war aber kein Parteimitglied" - bekamen. Damals war sie bereits einer breiten Öffentlichkeit bekannt, spätestens seit sie 1957 den ersten von mehreren Österreichischen Staatspreisen für Kinder- und Jugendliteratur für ihre Kleinkinderbücher in Zusammenarbeit mit Susi Weigel, die sie schon von der "UZ" kannte, bekommen hatte. "Meine Mutter wurde etwas vermögender, nicht nur durch den Erfolg ihrer Bücher, sondern auch durch die deutsche Restitution." Auch Friedrich Lobe war als Jude verfolgt worden und hatte auch körperlich Schaden erlitten. Das Geld wurde in ein Haus in Annaberg (NÖ) angelegt - "weil es dort in der Nähe ein Skigebiet gab". Mira Lobe war aber selten dort. Bis zum Schluss lebte sie in der Wohnung in der Boschstraße 24 in Wien-Döbling.

"Sie war nicht streng"

Und wie war Mira Lobe als Mutter? "Sie war nicht streng, Ohrfeigen gab es nicht - oder nur ganz wenige, und die waren dann eine große Katastrophe: Sie hat sich geschämt, weil sie sich nicht beherrschen konnte, und wir haben uns geschämt, weil wir sie so geärgert hatten", erzählt ihr Sohn. "Sie war eine einfühlsame und liberale Mutter." Genauso, wie ihre Bücher es vermuten lassen? "Naja, die sollen ja typische Durchschnittsfamilien darstellen, aber es sind halt schon Ideale, wie sie selbst sein wollte, was sie aber auch nicht immer geschafft hat. Wir waren ja auch kein Durchschnittshaushalt: Künstler, Juden, Kommunisten, Zuagraste."

Ihre späteren Bücher sind weniger idealistisch, meint ihr Sohn und nennt als Beispiel "Die Sache mit dem Heinrich", wo ein Kind vom Stiefvater geprügelt wird. "Die Omama im Apfelbaum" wiederum ist ziemlich autobiographisch für ihn. "Ich hatte ja sehr früh nicht nur keinen Vater, sondern auch keine Großeltern mehr." Seine Mutter beschäftigte das sehr, und so entstand "Die Omama mit Apfelbaum" mit der Fantasie-Großmutter. Auch an der Entstehung anderer Bücher waren Mira Lobes Kinder beteiligt. "Manchmal hat sie uns ein Stück vorgelesen. Oder sie hat mich bei den Spaziergängen, die sie mit mir fast täglich gemacht hat, nach meiner Meinung gefragt, wie eine Geschichte weitergehen soll."

Mitte der 1980er starb Goldschmidt. Der Tod ihres Lebensgefährten nahm Mira Lobe sehr mit. Sie schrieb zwar noch einige Bücher, ein paar Jahre vor ihrem Tod am 6. Februar 1995 hörte sie aber auf, weil es ihr zu schlecht ging. "Sie hätte noch Ideen gehabt", erzählt ihr Sohn. "Der Stolz auf ihre bisherigen 100 Bücher hat ihr überhaupt nichts gegeben. Sie war einfach nur verzweifelt, weil sie nicht mehr schreiben konnte."

"Die Familien in vielen ihrer Bücher stellen Ideale dar, wie sie selbst sein wollte, was sie aber auch nicht immer geschafft hat." Reinhardt Lobe
Website Mira LobeAusstellung "100 Jahre Mira Lobe" in Annaberg
14./15. September, 10-12 u. 14-17 Uhr, 3222 Annaberg, Altes Gemeindehaus

Lesung aus Mira Lobes bekanntesten Werken im
Jüdischen Museum Wien
17. September, 16.30 Uhr,
1010 Wien, Dorotheergasse 11

Buchtipp:
Sprache-Bild-Beziehungen in Bilderbüchern von Mira Lobe
Die Germanistin Anita Winkler beleuchtet das spannende Zusammenspiel von Sprache und Bild bei Mira Lobe. Studienverlag, 160 Seiten, 25,90 Euro.