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Ein tänzerischer Wirbelsturm

Von Friedrich Weissensteiner

Reflexionen

Marika Rökk, die politisch arglose Frohnatur aus Ungarn, machte als Tänzerin, Sängerin und Schauspielerin Weltkarriere. Am 3. November jährt sich ihr Geburtstag zum 100. Mal.


Im Leben jedes erfolgreichen Künstlers gibt es Höhen und Tiefen, Erfolge und Misserfolge. Es gibt sehnsüchtig erwartete und durch persönliche Leistung errungene Aufschwünge, unerwartete, oft durch schicksalhaftes Missgeschick verursachte Abstürze. Diese Umstände hängen von vielen Faktoren ab. Vom eigenen Können, von geschickten, einflussreichen Managern, von einem gezielten Marketing, von schicksalhaften Fügungen und (welt-)politischen Konstellationen. Auch die kometenhafte Karriere der Marika Rökk unterlag manchen dieser Unwägbarkeiten. Aber die Voraussetzungen dafür schuf sie selbst, durch ihren unerhörten Ehrgeiz, ihre Selbstdisziplin und ihr Arbeitsethos. Und selbstverständlich auch durch ihre natürlichen Gaben und erbbedingten Begabungen.

Marika Rökk war keine Schönheit im klassischen Sinn, aber eine ausgesprochen hübsche Frau. Sie war eine Frohnatur, sie hatte ein überschäumendes, explosives Temperament und einen bezwingenden Charme. Wenn sie ekstatisch Csárdás tanzte, ihre Pirouetten drehte, mit ihren schön geformten Beinen wie ein Sturmwind über die Bühne fegte, riss sie das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin, flogen ihr die Männerherzen zu. Die Rökk hatte Paprika im Blut. Sie war, wie man heute sagt, sexy. Vergleiche haben bekanntlich die Eigenschaft, zu hinken. Ich wage trotzdem einen. Ich behaupte, dass Marika Rökk die Fanny Elßler (berühmte Wiener Tänzerin, 1810-1884, Anm. d. Red.) des 20. Jahrhunderts war. In einer anderen Zeit natürlich, in einem anderen gesellschaftlichen Umfeld und unter anderen künstlerischen Bedingungen.

Gutbürgerliche Kinderstube

Marika Rökk wurde am 3. November 1913, einem Sonntag, in Kairo geboren. Der Geburtsort war ein rein zufälliger. Sie war keine Ägypterin, sondern eine waschechte Ungarin. Der Vater, Architekt von Beruf, hielt sich zufällig und nur für kurze Zeit in Ägypten auf. Schon nach ein paar Monaten kehrte die Familie nach Budapest zurück, wo die kleine Marika, die auf den Namen Marie Karoline getauft war, wohlbehalten in gutbürgerlichen Verhältnissen aufwuchs. Die Zeiten waren stürmisch. Im Sommer 1914 brach der Erste Weltkrieg aus, die Urkatastrophe des an politischen Umstürzen, gesellschaftlichen Umwälzungen und an menschlichen Gräueltaten reichen vorigen Jahrhunderts.

Vater Rökk musste Kriegsdienst leisten, kehrte aber aus dem völkermordenden Gemetzel unversehrt zurück. Ungarn verlor einen Großteil seines Staatsgebietes, es gab politische Machtkämpfe, eine schwere Wirtschaftskrise erschütterte das Land. Vater Rökk verlor durch die Geldentwertung sein Vermögen. Die kleine Marika merkte und spürte von all dem nichts. Als die Eltern sie einmal in die Oper mitnahmen, wo es ein Ballett zu sehen gab, hatte sie nur noch einen Wunsch: selbst einmal eine gefeierte Tänzerin zu werden.

Das ehrgeizige Mädchen verwirklichte seinen Traum. Aber der Weg bis dahin war weit, mühsam und entbehrungsreich. Er begann gegen den väterlichen Willen mit der Tanzausbildung in einer Ballettschule in Budapest und führte zunächst nach Paris. Dort wurde das kleine Bewegungstalent weiter ausgebildet und durfte nach sorgfältiger Einübung sogar im berühmten Moulin Rouge auftreten. Dann ging es, im Alter von zwölf Jahren und in Begleitung der Mutter, mit einer Tanzgruppe nach Amerika. Marika trat am Broadway auf, ging auf Tourneen, trampte von einer Stadt zur anderen, steppte in Revuen, drehte ihre Pirouetten, tanzte sich die Füße wund. Es war trotz guter Gagen eine harte Zeit. Fünf Jahre lang, eine Lebensschule. Schließlich kehrte der Teenager heimwehgeplagt als Tanzstar nach Budapest zurück.

In Europa geht das Nomadenleben weiter. Marika Rökk tritt bei Gastspielen in Hamburg und Berlin, in Monte Carlo und Cannes, in Paris, London und Wien auf. Das anspruchsvolle Publikum ist von der stürmischen Rasanz ihrer Tanzkunst beeindruckt. Der Jungstar hat eine gute Presse, rückt mehr und mehr in das Blickfeld der einschlägig interessierten Öffentlichkeit. Aber der große Durchbruch ist es noch nicht. Der gelingt dann in Budapest in der Hauptrolle der Zirkusrevue "Stars in der Manege", in der Marika alle ihre Talente ausspielt. Sie tanzt, reitet und vollführt unter der Zirkuskuppel ohne Netz halsbrecherische Kunststücke. Die Revue übersiedelt hierauf in den Zirkus Renz nach Wien.

Das riesige Tanztalent der rassigen Ungarin hat sich inzwischen in der Fachwelt herumgesprochen. Der Direktor der deutschen Filmfabrik Ufa, der einer Aufführung beiwohnt, macht ihr vom Fleck weg ein verlockendes Filmangebot. Marika zögert. Sie hat keine Schauspielausbildung, ihre Deutschkenntnisse sind bescheiden. Nach Beratung mit den Eltern nimmt sie die Chance, die sich ihr bietet, an. Es ist der erste große Wendepunkt in ihrer Karriere, in ihrem Leben.

Karriere in der NS-Zeit als Ufa-Filmstar

In Deutschland hat sich Entscheidendes verändert. Die Nationalsozialisten haben die politische Macht ergriffen, innerhalb kurzer Zeit alle Gegner mit Brachialgewalt ausgeschaltet, alle Positionen in Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur mit ihren Parteigängern besetzt. Auch die Ufa wurde von jüdischen Mitarbeitern "gesäubert", wie es im Nazijargon heißt. Joseph Goebbels, dem frisch bestallten Minister für Volksaufklärung und Propaganda, untersteht auch die Filmindustrie. Sämtliche Produktionspläne, selbst die Besetzung der Rollen, müssen seinem Ministerium vorgelegt werden. Herr Goebbels bestimmt oft persönlich, welches Thema dem Regime genehm ist und welcher Schauspieler in einem Film mitwirken darf.

Die Ufa wird mit frischen jungen Kräften aufmunitioniert. Die Rökk wird sorgfältig und systematisch zu einem der großen Stars des deutschen Unterhaltungsfilms aufgebaut. Die Streifen, die sie dreht, sind thematisch, schauspielerisch und gesanglich auf sie zugeschnitten. Der Mann, der ihre Karriere aufbaut, lenkt und steuert, ist der Starregisseur Georg Jacoby, ein Meister seines Faches. Jacoby wird und bleibt jahrzehntelang ihr künstlerischer Mentor. Der um einunddreißig Jahre ältere, elegante Herr aus vornehmem Haus kreiert mit seiner Hauptdarstellerin in der Nazizeit den mit deutscher Komödiantik durchsetzten Musik- und Revuefilm. Wenn ein glamouröser Rökk-Film gezeigt wird, stürmen die Menschen die Kinokassen. Sie wollen sich unterhalten, für ein paar Stunden die Alltagssorgen vergessen. Und die quirlige Ungarin erfüllt mit ihrem Charme, ihrer überschäumenden Vitalität und ihren beeindruckenden akrobatischen Tanzkünsten alle Erwartungen.

In den Jahren 1936 bis 1944 steht Marika Rökk auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Unter den Filmen, die in dieser Zeit entstanden sind, ragen vier heraus: Die schmissige Operettenrevue "Gasparone" (1937), "Kora Terry" (1940), der Film, in dem sie in einer Doppelrolle auch ihre schauspielerischen Qualitäten beweist, der erste deutsche Agfacolorstreifen "Frauen sind doch bessere Diplomaten" und die musikalische Liebeskomödie "Tanz mit dem Kaiser" (beide 1941). Die von Franz Grothe und Peter Kreuder komponierten Schlager, die sie singt, pfeifen bald die Spatzen von den Dächern. "Ich brauche keine Millionen. . .", "In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine", "So schön wie heut’, so müsst es bleiben. . ."

Nicht nur beruflich, auch privat lacht Marika das Glück. Zumindest hat es den Anschein. 1940 heiratet sie standesamtlich ihren väterlichen Mentor. Die hohen Gagen ermöglichen ein luxuriöses Leben. 1944 bringt sie ein heiß ersehntes Kind zur Welt, Gaby Jacoby, die später als Schauspielerin auf zahlreichen Bühnen brillieren wird.

Längst tobt zu dieser Zeit in Europa der Zweite Weltkrieg. Die Rökk ist wie viele andere Filmstars Gast bei Adolf Hitler in der Reichskanzlei. Die politisch arglose Künstlerin wird vor den ideologischen Karren der Nazis gespannt. Kann (Soll) man ihr dies heute zum Vorwurf machen? Sie war keine Nationalsozialistin, sie wirkte auch in keinem Propagandafilm des verbrecherischen Regimes mit, sie entsprach ganz und gar nicht dem Idealbild der deutschen Frau. Ganz im Gegenteil.

Bei Kriegsende sucht und findet die Familie Zuflucht in Österreich. Die steile Karriere hat ein jähes Ende gefunden. Marika Rökk wird mit einem Berufsverbot belegt, das jedoch bald wieder aufgehoben wird. Jetzt dreht sie unter Jacobys Regie wieder Filme, "Die Csárdásfürstin" (1950), "Maske in Blau" (1953).

Privat tritt ein jüngerer Mann an die Stelle des Ehegatten: Theo Nordhaus, der sie nicht nur musikalisch betreute. Marika in ihren Erinnerungen: "Wenn ich ihn in der ersten Zeit nur in die Tür kommen hörte, begann ich schon, mich auszuziehen."

Ewig wandlungsfähige Künstlerin

Ein paar Jahre nach dem Tod Jakobys (21. Februar 1964) zieht sich die Rökk aus dem Filmgeschäft zurück. Sie geht auf Tournee und schlägt auf zahlreichen Bühnen des In- und Auslands mit Operetten ("Die Blume von Hawaii", "Ball im Savoy", "Gräfin Mariza"), Revuen und Shows das Publikum wieder unwiderstehlich in Bann. Dann setzt sie im Alter von 55 Jahren privat und künstlerisch einen Neubeginn in ihrem Leben und in ihrer Karriere. 1968 geht sie eine zweite Ehe ein. Der Regisseur und Manager Fred Raul wird für die nächsten siebzehn Jahre ihr heiß geliebter Partner. Im gleichen Jahr holt sie Rolf Kutschera an das Theater an der Wien. Im Musical "Hello Dolly" beweist die ewig-junge Künstlerin in einem für sie neuen Fach ihre Wandlungsfähigkeit und ihre atemberaubende Bühnenpräsenz. Zehn Jahre später wiederholt sie in der "Gräfin vom Naschmarkt", die Kutschera eigens für sie hat schreiben lassen, den strahlenden Musical-Erfolg. Auch im Raimund-Theater und in TV-Shows wirbelt sie wie in jungen Jahren über die Bühne.

Der frühe Tod ihres Fred im Jahr 1985 markiert dann im Leben dieser großartigen Frau eine neuerliche, tiefe Zäsur. Sie absolviert zwar noch ein paar Auftritte am Theater und im Fernsehen, aber ihr Herz ist gebrochen.

Marika Rökk starb am 16. Mai 2004 im 91. Lebensjahr. Ihr Leichnam wurde am Badener Helenenfriedhof an der Seite ihres zweiten Ehemannes beigesetzt.

Friedrich Weissensteiner war Direktor eines Wiener Bundesgymnasiums und ist Autor zahlreicher historischer Bücher, u.a. "Die rote Erzherzogin", "Die Frauen der Genies", "Große Herrscher des Hauses Habsburg".