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Tote mit Rang und Namen

Von Andreas Schindl

Reflexionen
Auch ein "bgl. Lust u. Ziergärtner" lebt nicht ewig.
© Robert Bressani

Grabinschriften eignen sich hervorragend, um Titel ein letztes Mal kundzutun. Wer über österreichische Friedhöfe wandert, findet existierende, existiert habende und | sogar erfundene Berufs- und Ehrentitel in Hülle und Fülle.


Das letzte Hemd hat zwar bekanntlich keine Taschen, indes scheint man in Österreich der Meinung zu sein, dass Titel auch im Jenseits eine Rolle spielen könnten. Der Kanzleidirektor in Ruhe ruht am Martinsfriedhof von Klosterneuburg in nächster Nähe eines K. u. k. Oberst-Auditors, und zwar nahe dem Eingang und somit praktisch in bester Lage, woraus man ersieht, dass es auch bei letzten Ruhestätten solche und solche gibt. Eine ähnlich bevorzugte Lage genießt ein Korrespondierendes Mitglied des Wiener Naturhistorischen Museums. Auch die k. u k. Militärrechnungsrats-Gattin, sowie die Medizinalratswitwe können sich über wenig prominente Lagen nicht beschweren. Der Bürgerliche Schmiedmeister und Hausbesitzer, samt Schmiedmeisterswitwe, und der Ortskommandant findet sich hingegen schon deutlich hin zur Friedhofsperipherie gedrängt.

Auch weiter außerhalb Wiens gab es in der Gründerzeit offenbar zahlreiche Hausbesitzer, die als Symbol des im Biedermeier ansteigenden Wohlstandes auch zu Archetypen der österreichischen Literatur avancierten (wie z.B. ein "vierstöckiger Eckhäusler" 1880 bei Friedrich Schlögl). In Hollabrunn beispielsweise hat sich ein Fleischhauer ein eigenes Zinshaus erwirtschaftet und ein Sattlermeister, Wagenbauer und Tapezierer hat es zum Hausbesitzer gebracht. Noch erfolgreicher dürfte einer seiner "Nachbarn" gewesen sein, dessen Grabstein als Berufsbezeichnung Realitätenbesitzer angibt.

Selbstbewusstsein

Manche Weinviertler wiederum waren offenbar reich genug, um gar nicht arbeiten zu müssen und ließen dies durch ihre Hinterbliebenen mittels des Zusatzes Privatier zu ihrem Namen dokumentieren. Lehrkräfte, respektive deren Angehörige, dürften vermehrt den Drang zur posthumen Titelsucht verspüren. Neben diversen Fachlehrern und Schulräten sowie einigen Direktoren und Inspektoren findet man auch einen Fahrschuldirektor.

Dass man in Österreich auch Ehrenbürger der Universität Wien werden kann, kann wohl nur dann gelingen, wenn man zuvor ein Qu. Dir. i. R. und Regierungsrat war. Auch niedere Beamte und ihre Witwen zeigen durchaus Selbstbewusstsein, wie der Post und Telegrafen-Oberkontrollor und die Justizwachekommissärswitwe beweisen. Erfreulich finde ich, dass der Landesobergärtner in Ruhe unweit des Vrinzischen Gutsverwalters in Pension seine letzte Ruhe findet. Weiters bevölkern den Hollabrunner Friedhof ein Kaminfegermeister, ein Müllermeister und ein Steueroberinspektor. Auffallend ist auch eine gewisse Häufung von Sparkassenfunktionären. Der eben erwähnte Müllermeister war auch Kurator der Sparkasse, darüber hinaus gibt es einen Sparkassenbuchhalter in Pension und einen Seifensieder u. Sparcassa Beamten.

Gefallene der beiden Weltkriege sind naturgemäß keine Seltenheit auf österreichischen Friedhöfen, ein am 4. September 1914 in Galizien umgekommener Hollabrunner dürfte aber wohl zu den ersten Opfern des Großen Krieges gehört haben und erinnert auf tragische Weise an das Schicksal des jungen Leutnant Carl Joseph von Trotta aus dem "Radetzkymarsch". Besondere Erwähnung verdient meines Erachtens jedoch ein Hollabrunner Hauptmann der Ruhe.

Auf dem St. Marxer Friedhof können der Herrschaftliche Wirthschaftsrath und das Mitglied der niederösterreichischen Landwirthschafts-Gesellschaft als ziemlich alltägliche Bestattete gelten, die Geprüfte Lehrerin erinnert entweder daran, dass auch Lehrer einmal Schüler waren oder dass das Leben als Lehrer mit (ungeprüften?) Schülern oft eine Prüfung ist. Die Fürstlich Esterhazysche Oberbuchhalterswitwe hat ihren Titel wie so viele Damen ihrer Zeit am Standesamt, respektive vor dem Traualtar, womöglich dem der Augustinerkirche, erworben. Weitaus geerdeter ist da schon die Fischhändlerswittwe aus dem Burgenland und als nachgerade subterrestrisch ist der Bürgerliche (!) Kanalräumer anzusehen.

Der Friedhof in Klosterneuburg-Weidling kann sich nicht nur einiger prominenter Toter wie des Dichters Nikolaus Lenau, der vis-a-vis wohnte, und des Orientalisten und Gründers der Akademie der Wissenschaften Josef Freiherr von Hammer-Purgstall, sondern auch der Tatsache rühmen, dass Ferdinand Raimund 1827 "in diesem Friedhof sein Märchendrama Moisasurs Zauberfluch" schrieb und zwei Jahre später in Weidling die Arbeit zu seiner dramatischen Dichtung "Die unheilbringende Krone" begann, wie einer Gedenktafel am Eingang zu entnehmen ist.

Selbstverständlich hat auch die Weidlinger Bevölkerung viele Gefallene zu beklagen. Einer von ihnen war Fahnenjunker und starb am 5.10.1939 den "Fliegertod". Ein anderer war schlicht Soldat, während ein dritter, der 21-jährig sein Leben ließ, Panzergrenadier, Inh. des EK II, Hochschüler, SS-Mann und Offiz. Anw. war. Versöhnlich im Sinne einer historisch ausgleichenden Gerechtigkeit finde ich den Umstand, dass das Grab des einfachen Soldaten eine deutlich prominentere Lage hat als jenes des SS-Mannes, das sich im hintersten Winkel des Friedhofes findet, auch wenn der Verstorbene ein Enkel des Gründungsdirektors des Raimundtheaters war.

Unter den Gefallenen des Ersten Weltkrieges fällt ein k. u. k. Fähnrich in Ruhe auf, der 22-jährig als Besitzer des Goldenen Verdienstkreuzes mit der Krone am Bande der Tapferkeitsmedaille 1917 starb.

Als Wein- und Heurigenort hat Weidling, wie es sich gehört, zumindest ein Grab eines Weinhauers und eines Gasthofbesitzers in Weidling zu bieten. An Berufstiteln bietet der kleine Friedhof einen k. u. k. Hofkupferschmied, einen Präsidenten des Reichsverbandes der Kupferschmiede Österreichs (aus derselben Familie), einen Hauptkassa-Direktor der Union-Bank, einen Direktor der Staatseisenbahngesellschaft und einen Landschaftsmaler.

Räte-Versammlungen

Unter den Beamten findet sich eine große Zahl an Räten, namentlich ein Landesoberinspektionsrat, ein k. k. Minsterialrat, ein Wirklicher Geheimer Rat und Sektionschef i. R. und ein k. k. Legationsrath, dessen Familie überhaupt eine lange Beamtentradition aufweist, zu deren Reihe auch ein k. k. n.ö. Statthalterei-Concepts-Praktikant gehört. In einem Commendatore erkannte ich einen ehemaligen Patienten. Besonders berührend ist der Grabstein eines Mädchens, der neben dem Namen lediglich "gest. am 28. Jänner 1920 im 1. Lebensjahre" vermerkt und jener eines Mannes, der als Freund und Gönner der Weidlinger Jugend apostrophiert wird.

Der Friedhof der Stadt Stein bei Krems liegt direkt neben der Justizstrafanstalt und unweit der Anlegestelle der Donauschiffe. Das Spezifikum seiner Lage spiegelt sich dann auch in den Grabinschriften wider. Es findet sich ein Grab eines Oberaufsehers i. R., der gleichzeitig auch Hausbesitzer war, und jenes eines Justizwachebeamten, dessen Bruder als ÖBB Beamter i. R. verstarb, während seine Gattin interessanterweise als Bildende Künstlerin tätig war.

Krems-Stein hat auf dem Sektor des Beamtentums überhaupt einiges aufzuweisen. Es gibt Familien, die einen Oberlandesgerichtsrat und einen Sektionschef in ihren Reihen hatten, hierarchisch etwas darunter rangieren wohl der Sektionsrat und der Ober-Finanzrat. Auf Gemeindeebene finden sich ein Stadt-Obersekretär und etliche Bürgermeister, die oft auch tüchtige Handwerker und demzufolge fast ebenso häufig auch Hausbesitzer waren. Einer davon war Haus- und Realtitätenbesitzer, etc.

In Krems und Umgebung scheinen in manchen Familien Beamtentitel sogar beinahe erblich zu sein. Beispiele hierfür sind Oberpostmeister (Vater) und Post-Oberoffizial (Sohn), sowie Oberforstmeister (Vater) und Oberforstrat (Sohn). Bisher einzigartig ist der Güterdirektor. Die glorreiche Donaudampfschifffahrtsgesellschaft ist mit einem Ob. Offizial würdig repräsentiert.

Vertreter altehrwürdiger Handwerkskunst sind der Selchermeister (und Hausbesitzer), der Zimmermeister, der Gerbermeister (und Bürger), der Konditormeister (weder Hausbesitzer noch Bürger), sowie die Friseurmeisterin, verheiratet mit einem Kaufmann. Der Handel ist vertreten durch einen Buchhändler und einen Apotheker, aus dessen Familie eine junge Frau im Alter von 29 Jahren (auf einer Vergnügungsreise, einem Kuraufenthalt?) in Davos verstorben ist. Ein Tabakfabriksdirektor ist der prominenteste Exponent der Industrie. Naturgemäß ist die Zahl der Weingutsbesitzer und Winzer groß.

Hohe und ganz Hohe

Auch Vertreter der Heilkunst sind verhältnismäßig häufig in Krems-Stein, und zwar sowohl die der veterinärmedizinischen Fakultät, als auch die der humanmedizinischen, hier wiederum zivile wie uniformtragende Spezies. Ein besonders hochverdienter unter ihnen war jubilirter Thierarzt und sogar gew. Bürgermeister der Stadt Stein, ein anderer aus derselben Familie Veterinärrat, N. ö. Landesinspektionsrat und Ritter des Franz Josefs Ordens etz. (sic!), bei den Menschenmedizinern sticht das Grab eines k. u. k. Oberstabsarztes ins Auge.

Einem gebürtiger Steyrer verdanke ich den Hinweis auf eine Grabinschrift mit dem besonders skurrilen Titel einer Lourdes-Pilgerzugsbegleitersgattin.

Es lohnt in diesem Zusammenhang, auf das Begräbnisritual der Habsburger und im Besonderen auf die Anklopfzeremonie an der Pforte der Kapuzinergruft hinzuweisen. Der zufolge erlangte selbst Kaiser Franz Josef (dessen "großer Titel" unter anderem "... von Gottes Gnaden Kaiser von Österreich und König von Böhmen; von Dalmatien, Kroatien und Slawonien; von Galizien und Lodomerien und von Illyrien; König von Jerusalem; Erzherzog von Österreich ob und unter der Enns, Großherzog von Toskana und Krakau, Herzog von Lothringen, von Salzburg, Steier und Kärnten, von Ober- und Niederschlesien; von Modena, Parma, Piacenza und Guastalla, Herzog von Auschwitz und Zara. Von Teschen, Friaul, Görz und Gradisca; Fürst von Trient und Brixen; Markgraf von Mähren, der Ober- und Niederlausitz und in Istrien, Graf von Hohenembs, Feldkirch, Bregenz, Sonnenberg und so weiter; Herr von Triest, von Cattaro und der Windischen Mark: Großwojod von Serbien; und Apostolischer König von Ungarn..." lautete) erst Einlass in seine letzte Ruhestätte, nachdem der Zeremonienmeister unter Weglassung aller Titel ihn als "Franz Josef - ein sterblicher, sündiger Mensch" angekündigt hat.

Andreas Schindl, geboren 1968 in Wien, ist Hautarzt und Publizist. Über Hinweise zur Erweiterung dieser Titelsammlung freut sich der Autor.

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