Kaum hat man das vom Smog tausender LKW, Taxis und Autorikschas vernebelte Zentrum der Millionenmetropole Chittagong im Süden Bangladeschs verlassen, fallen einem die dicht gedrängten Handelsbetriebe an der Hauptstraße Richtung Norden auf. Hunderte Händler bieten alles an, was das Herz eines maritimen Sammlers höher schlagen lässt: Schiffskajüten samt Einrichtung, Schränke und Betten, rote Rettungsboote oder nautische Geräte.

Die Arbeit der Seilträger ist besonders gefährlich. - © Foto: Biach
Die Arbeit der Seilträger ist besonders gefährlich. - © Foto: Biach

"Das eigentliche Geschäft wird aber mit dem Schiffsstahl gemacht" erklärt Mostafa Chowdhury und zeigt mit ausgestreckter Hand in Richtung der hinter streng bewachten Stahltüren liegenden Werften am Strand. Mostafa ist 28, spricht perfekt Englisch und arbeitet als Touristenführer. Eigentlich führt er Reisende von Chittagong aus in den Süden nach Cox’s Bazar, wo es den längsten durchgehenden Strand der Welt gibt, oder in die Sundarbans, das Zuhause des bengalischen Tigers. Manchmal zeigt er Interessierten aber auch die Handelsbetriebe entlang der Werften in Sitakunda.

Ein lukratives Geschäft


Bangladeschs Abwrackindustrie hat in den vergangenen Jahren vor allem Negativschlagzeilen gemacht. "Journalisten und Fotografen sind hier nicht mehr erwünscht", warnt Mostafa unermüdlich und rät von allzu intensiven Recherchen oder gar dem Betreten der Werften dringend ab. Immer wieder haben in den vergangenen Jahren Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen versucht, auf die schier unfassbaren Zustände in den Werften aufmerksam zu machen. Katastrophale Arbeitsbedingungen, Umweltzerstörung und immer wieder Verletzte und Tote bestimmen die traurige Realität des härtesten Industriezweigs des Landes.

"In finsteren mondlosen Nächten, wenn der Wasserstand infolge der Gezeiten besonders hoch ist, steuern erfahrene Kapitäne ausgediente Frachter, Luxusdampfer, Öltanker und andere Ozeanriesen vorsichtig an das flache Ufer entlang der endlosen Strände der Bengalischen Bucht" erzählt Mostafa mit aufgeregter Stimme und hört sich dabei an, als würde er eine Heldengeschichte weitertragen. Beaching heißt dieser Vorgang weniger romantisch in der Fachsprache und ist Teil eines globalen Geschäfts. Irgendwann treten Frachter ihre finale Reise an. Zuvor bestimmen Internationale Broker in London oder Dubai den Preis für Stahl, die Reeder verkaufen ihre ausrangierten Schiffe dann nach Preis pro Tonne Schiffsschrott an internationale Abwrackfirmen.

Eigentlich dürfen Schiffe aus Industriestaaten nach dem Basler Giftmüllabkommen seit 1998 nicht einfach an Entwicklungsländer weiterverkauft werden. Dennoch landen fast alle Schiffe über Zwischenhändler an Asiens Küsten. 2010 hat der Oberste Gerichtshof in Bangladesch beschlossen, keine Schiffe mehr einreisen zu lassen, die nicht zuvor definierten Umweltstandards entsprochen haben. Einer Studie der Weltbank zufolge sollen bis zu 200.000 Arbeitsplätze in Bangladesch direkt mit dem Abwracken von Schiffen in Zusammenhang stehen, mehr als die Hälfte des landeseigenen Stahlbedarfs kommt von den Werften in Chittagong. Auf Druck der Abwrackindustrie hat Sheikh Hasina Wajed, Premierministerin des Landes, das Gesetz bald wieder entschärft.

Nachdem ein ausrangiertes Schiff erfolgreich ans Ufer manövriert wurde, beginnen hunderte Arbeiter den Stahlkörper auseinander zu nehmen, bis von den einstigen Giganten der Meere nichts mehr übrig bleibt. Auf teure und professionelle Arbeitskleidung dürfen sie nicht hoffen.

Nach angespannten Verhandlungen gelingt der Zugang zu einer der Werften. "Das Abwracken von Schiffen an der Küste Bangladeschs ist zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes geworden", erklärt Rafik, ein etwa 30-jähriger Mitarbeiter der Werft. "Die Menschen benötigen diese Jobs und irgendwo müssen die Schiffe ja auseinandergenommen werden", fügt er hinzu.

Marktführer Asien


Als das Abwracken in Industrienationen wie den USA, Deutschland, Kanada oder Italien aufgrund von zunehmendem Arbeits- und Umweltschutz in den 1980er Jahren unrentabel wurde, trat die Abwrackindustrie in den Entwicklungsländern Asiens einen fulminanten Siegeszug an. 2008 war Bangladesch mit 26 Abwrackwerften die Nummer eins weltweit. Es scheint beinahe paradox, aber mit dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise, die sinkende Frachtraten mit sich brachte, hat sich die Auftragslage in den Werften vervielfacht. Immer mehr Schiffe der überalterten Welthandelsflotte traten ihre finale Reise an die Strände Asiens an.

Dieser Boom fordert einen hohen Tribut. Rasch bestätigt die Szenerie in der Werft alle bekannten Vorurteile über die schrecklichen Arbeitsbedingungen. "Die Arbeiter hier sind professionell und arbeiten sicher", beruhigt Rafik, "und es gibt auch keine Kinderarbeit mehr auf der Werft".

Professionalität und Sicherheit können unterschiedlich betrachtet werden. Nur mit Sandalen ausgestattet oder gar barfuß stampfen die zumeist sehr jungen Männer durch den mit Splittern übersäten öligen Schlamm. Beinahe hypnotisch klingen die "Hau-Ruck"-Schreie von mehr als einem Dutzend Arbeiter, die eine tonnenschwere Stahlplatte auf ihren Schultern tragen. Immer wieder versinken die Beine der Männer bis zu den Knien. Zwischen den demontierten Aufbauten eines Frachters und dem übrig gebliebenen Teil eines riesigen grünen Bugs befördern sogenannte Seilträger ein schier endlos erscheinendes Stahlseil über den Strand, um dieses an zuvor auseinander geschweißten Bereichen des Schiffskolosses festzumachen. Seilträger sind ständig in der Gefahrenzone und müssen damit rechnen, von hinabstürzenden Eisenteilen getroffen zu werden.