Die Nachricht vom tödlichen Attentat auf den amerikanischen Präsidenten John Fitzgerald Kennedy schockierte am 22. November 1963 die Weltöffentlichkeit. Ich muss gestehen, auch ich war erschüttert. John F. Kennedy war für mich und wahrscheinlich für die meisten Menschen, die nach den Schrecknissen der Naziherrschaft in der Nachkriegszeit den demokratischen Wandlungsprozess freudig begrüßten, eine idolhafte Lichtgestalt, die Verkörperung freiheitlicher Ideale. Der blendend aussehende, charmante, Jugendlichkeit ausstrahlende 35. Präsident der USA war die charismatische Kultfigur des freien Westens, ein Superman, ein Weltstar à la Hollywood, der durch entschlossenes Handeln dem globalen, totalitären Herrschaftsanspruch der Sowjetunion die Stirn geboten hatte.

Mythos und Realität
Heute wissen wir, dass das von den Medien und der Familie systematisch aufgebaute und sorgsam gepflegte Image dem Persönlichkeits- und Charakterbild des Präsidenten keineswegs entsprach. Zwischen dem Kennedy- Mythos und der historischen Realität klafft eine breite Kluft. JFK war ein gesundheitlich schwer angeschlagener Mann, dessen körperliche Gebrechen und menschliche Schwächen (Rückenschmerzen, Addison-Krankheit, Drogensucht, Sexbesessenheit) vor der Öffentlichkeit geschickt vertuscht wurden.
Der Kennedy-Mythos hat viel von seiner Faszination eingebüßt. Gleichwohl lebt er in der kollektiven Wahrnehmung der Amerikaner und auch vieler Europäer weiter. Mythen haben offenbar eine unverwundbare Grundsubstanz.
John F. Kennedy wird bis heute, wie Meinungsumfragen beweisen, von den Bürgern der USA hoch geschätzt. Mit und neben George Washington, Abraham Lincoln und Franklin D. Roosevelt steht er im politischen Ranking an oberster Stelle. Und auch seine Ermordung hat sich neben dem 7. November 1941, dem Tag, an dem die amerikanische Pazifikflotte in Pearl Harbour bei einem japanischen Überraschungsangriff schwer getroffen wurde, und dem Angriff islamistischer Terroristen auf New York und Washington am 11. September 2001 als markantestes historisches Ereignis in das kollektive Gedächtnis tief eingebrannt. Das Kennedy-Attentat löste eine schwere innenpolitische Erschütterung aus, der heimtückische Angriff eines ideologischen Feindes am 11. September 2001 traf mitten in das Herz einer selbstbewussten Weltmacht.
Das Urteil über John F. Kennedy reicht von der kritiklosen Verehrung in den ersten Jahren nach seinem Tod bis zur grenzenlosen Diffamierung in den letzten Jahrzehnten. Das ehedem hohe Ansehen des Präsidenten ist durch immer neue, zum Teil höchst unseriöse Enthüllungen über dessen Privatleben und durch Skandalgeschichten übelster Sorte schwer beschädigt worden.
Geschichtliche Größe
Bei der Beurteilung der geschichtlichen Bedeutung und Wirksamkeit eines Staatsmannes geht es aber primär nicht um die Aufdeckung von Charakterschwächen, sondern um die Bewertung der Entscheidungen, die die betreffende Persönlichkeit in einer bestimmten historischen Situation zum Wohl des Staatsganzen und darüber hinaus getroffen hat. Es ist zu beurteilen, ob er sein Amt pflichtgemäß und verfassungskonform geführt oder für persönliche und parteipolitische Zwecke missbraucht hat. Diese und andere Anforderungen kann man wohl nur an demokratisch gewählte Politiker stellen, aber sie sind ein grundsätzlicher Maßstab.
JFK war kein moralisches Vorbild. Sein Eheleben und sein Sexualverhalten entsprachen keineswegs den nationalen puritanischen Moralvorstellungen und dem Moralkodex der katholischen Kirche, der er angehörte. Der Präsident spielte der Öffentlichkeit einen Superman vor, der er nicht war. Das kann und soll man ihm zum Vorwurf machen. Aber für das historische Urteil ist wesentlich, ob diese persönlichen Mängel seine Amtsführung beeinträchtigt und die Position der Vereinigten Staaten als Führungsmacht der westlichen Welt gefährdet haben. Und das war nach Meinung der Geschichtsforschung zweifellos nicht der Fall.
Der strahlende Sieger
Der aus einer anglo-irischen Millionärsfamilie stammende John F. Kennedy geht aus den Präsidentschaftswahlen vom 8. November 1960 gegen seinen republikanischen Gegner Richard Nixon bei einer Rekordbeteiligung von knapp 69 Millionen Menschen mit der knappen Mehrheit von 113.288 Stimmen als Sieger hervor. Bei seiner Amtseinführung am 20. Jänner 1961 hält er an diesem kalten Wintertag eine glänzend formulierte Rede, in der er frisch und unbekümmert wirkt. Er versprüht jugendlichen Optimismus, fordert die Mitbürger auf, sich zu den gemeinsamen traditionellen Werten zu bekennen und ruft ihnen den seither oft zitierten Satz zu. "Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann - fragt, was ihr für euer Land tun könnt." Im außenpolitischen Teil seiner Rede bietet er der mit den USA konkurrierenden zweiten Weltmacht, der kommunistischen Sowjetunion, an, Wege der Zusammenarbeit zu suchen, um einen nuklearen Vernichtungskrieg zu vermeiden.
Im Weißen Haus zieht mit der attraktiven, fashionablen Präsidentengattin Jacqueline ein neuer Stil ein. Die First Lady, um zwölf Jahre jünger als ihr 46-jähriger Ehemann, lädt zu ihren von Eleganz geprägten Empfängen nicht nur Politiker, sondern vor allem auch Vertreter aus Kultur und Wissenschaft ein. Das Präsidentenpaar, seit zehn Jahren verheiratet, verkörpert ein junges, zukunftsfrohes Amerika.