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Renditeobjekt Mutterkuh

Von Martin Arnold

Reflexionen

Viele Tessiner Alpen werden von Schottischen Hochlandrindern beweidet. Das ausgezeichnete Fleisch ist nachhaltig produziert. Konsumenten können als Aktionäre einer Kuh auftreten und erhalten Fleisch als Dividende.


Einen Stall brauchen Schottische Hochlandrinder nicht. Das dicke Fell gibt ihnen genügend Wärme.
© Arnold

Es war kein weinseliger Abend, der den aufstrebenden Politiker der unabhängigen Liste, Guido Leutenegger, dazu veranlasste, vor neun Jahren als Stadtrat von Kreuzlingen am Bodensee zurückzutreten. Er mochte seine Arbeit im Departement für Hochbau und Umwelt und fühlte sich auch nicht als Aussteiger, als er bald darauf ins Tessin zog. "Ich entschied mich einfach für die bessere von zwei guten Möglichkeiten", sagt er rückblickend.

Diese bessere Möglichkeit öffnete sich ihm mit der Zucht von schottischen Hochlandrindern in Coglio im Valle Maggia. Doch sein neues Leben mit dem sympathischen, zotteligen Vieh kam nicht aus Zufall zustande. Als Jugendlicher beobachtete Leutenegger Vögel. Der immer knapper werdende Lebensraum, die Zerstörung von Hecken und natürlichen Waldrändern, beschäftigte ihn. Als Student im Lehrerseminar von Kreuzlingen begann er sich deshalb mit landschafts- und raumplanerischen Fragen zu beschäftigen. Und dabei kam er auch mit den ersten Wollschweinen und später mit schottischen Hochlandrindern in Berührung.

Leutenegger war vor 25 Jahren die treibende Kraft hinter dem Bau einer künstlichen Insel vor dem Hafen Kreuzlingens, die gleichzeitig als Nistplatz für Wasservögel dienen sollte. Für die Pflege der Insel setze er Wollschweine und später Hochlandrinder ein. Die genügsamen, anspruchslosen Tiere, die selbst noch vertrocknetes Gras verwerteten, überzeugten ihn auch mit ihrer Fleischqualität. Er überlegte sich, wo sie sonst noch im Sinne des Naturschutzes einsetzbar wären. Von seiner Beschäftigung mit der Raumplanung her wusste Leutenegger Luftbilder zu interpretieren. Und im Tessin wurde er fündig, wo viele Alpen zuwachsen.

Bergbewirtschaftung

Dass jahrhundertealte, perfekte Zusammenspiel zwischen Menschen, die den Wäldern Flächen entrissen, begrünten und beweideten, sowie der Natur, die sich darauf spezialisierte, diese offenen Flächen zu nutzen, funktioniert immer weniger. Doch viele Schmetterlings- oder Echsenarten sind darauf angewiesen, dass diese Alpen offen und sonnig bleiben. Aber Einheimische haben keine Lust mehr, die Alpen zu bewirtschaften, und mit Angestellten wird es teuer.

Leutenegger schrieb zahlreiche Gemeinden an, und die Hälfte war von der Idee angetan, die Alpen mit Hochlandrindern zu beweiden. Er entschied sich für das Maggiatal. Und so nahm hier ein innovatives, auf Selbsthilfe basierendes Landwirtschaftsmodell seinen Anfang. Leutenegger begann mit 20 Rindern auf einer Alp, baute aber seinen Bestand stetig aus. Heute besitzt er etwa 550 Tiere, verteilt auf sieben Alpen und mehrere Talstandorte. Er besitzt nur gepachtetes Land - dies aber in beachtlicher Größe. 150 Hektar befinden sich in tiefen Lagen und dienen der Produktion des Winterfutters und als Winterweiden. Hinzu kommen Alpen mit insgesamt 2500 Hektar.

Wie die Tessiner es noch vor hundert Jahren taten, pflegt Leutenegger die Transhumanz. Er geht mit seinen Kühen im April auf etwa 800 bis 1000 Meter und folgt dann dem Bergfrühling immer höher. Dort ist das Gelände nicht immer einfach. Deshalb werden inzwischen alle Tiere mit Sensoren ausgestattet und wenn sie verloren gehen, kann sie Leutenegger über GPS wieder auftreiben. Erst Anfang Dezember sind die Tiere wieder unten im Tal, wo sie für etwa vier Monate ebenfalls im Freien leben. Einen Stall brauchen Schottische Hochlandrinder nicht. Das dicke Fell gibt ihnen immer genügend Wärme. Eine breite tierärztliche Untersuchung zeigte, dass Leuteneggers frei lebende Tiere im Vergleich zu Tieren in Ställen beispielsweise im sensiblen Bereich der Klauen sehr gesund sind.

Damit die Böden nicht überdüngt werden, wechseln die Tiere ihre Standorte immer wieder. Sie werden mehrfach in ihrem Leben verladen und verlieren so die Scheu vor einem Anhänger. Das kommt Leutenegger zugute, wenn er sie für ihre letzte Fahrt verladen muss. Im Betrieb arbeiten je nach Saison zwischen 13 und 17 Mitarbeiter.

Strenger als Biosuisse

Die Alpwirtschaft, aber auch die montäglichen Fahrten nach Graubünden in den Schlachthof sind organisatorisch aufwändig. Leutenegger leitet seinen Betrieb hier, aber auch einen zweiten Betrieb in Ermatingen im Kanton Thurgau von Coglio aus, wo auch ein Stall für kranke Tiere steht. Er nimmt die kranken Rinder jeweils aus der Herde weg, damit sie nicht andere Tiere anstecken können.

Hier befindet sich aber auch der Kühlraum und von hier findet der Versand des Fleisches statt.

Von Anfang an war die Nachfrage nach dem Fleisch der Hochlandrinder groß. Zuerst vertrieb er es unter dem Label von "Bio-suisse", der größten Labelorganisation für biologische Produkte in der Schweiz. Doch inzwischen hat er mit "Natura Konkret" ein eigenes Label kreiert, das strenger ist als jenes von Biosuisse und auch weit über dem Standard der EU steht.

Zum Beispiel bei den ökologischen Ausgleichsflächen: Während ein Bauer bei Biosuisse sieben Prozent als ökologische Ausgleichsfläche ausscheiden muss, sind es bei Natura Konkret 15 Prozent. 40 Bauern mit weiteren rund 450 Tieren vermarkten inzwischen unter diesem Label ihre Hochlandrinder, sodass Natura Konkret über einen Bestand von 1000 Tieren verfügt.

Vom Umweltpolitiker zum innovativen Rinderzüchter: Der Schweizer Guido Leutenegger.
© Arnold

Trotz strenger ökologischer Auflagen, die er sich und seinen Geschäftspartnern auferlegt, gibt Leutenegger nicht den Weltverbesserer. Man würde es ihm auch nicht glauben. Wenn er sich auf dem iPhone mit neuen Bestellungen beschäftigt, oder auf dem Computer Statistiken durchsieht, erinnert er eher an einen Manager.

Doch auch diese Beschreibung wird ihm nicht gerecht. Das wird spätestens klar, wenn man ihn mit einem Lächeln inmitten eines halben Dutzend Rindern sieht. Seinen Augen entgeht nichts. Er beobachtet, wie jedes einzelne Tier seinen Kopf bewegt. Denn vor den schwungvoll gebogenen, spitz verlaufenden Hörnern muss man sich in acht nehmen. "Es hat noch nie eine schwerwiegende Verletzung gegeben", freut er sich. Auch nicht beim Verladen für den letzten Transport. Jede Woche werden zwischen sechs und zehn Tiere geschlachtet. Dann ist auch eine Mitarbeiterin von Leutenegger dabei und portioniert und verpackt das Fleisch der Vorwoche, das abgehangen ist. "Die ehemalige Chacuterie-Verkäuferin ist unsere beste Qualitätskontrolle", versichert Leutenegger.

Vermarktungsstrategie

Während der Finanzkrise kam Leutenegger der Gedanke einer außergewöhnlichen Vermarktungsstrategie: Er präsentierte die erste Aktie zum Streicheln und Essen. Das brachte ihm bis heute eine große Medienpräsenz ein - auch auf den Wirtschaftsseiten. Die Rinderaktie funktioniert so: Mit der einmaligen Zahlung von 2500 Franken bekommt ein Käufer zehn Jahre lang Fleisch im Wert von 350 Franken. Dafür kann er aus dem breiten Angebot bestellen, was er will. Als Sicherheit ist der Käufer Besitzer einer Kuh. Fast 400 Kunden haben eine Aktie gezeichnet. Viele von ihnen haben eine persönliche Beziehung aufgebaut und ihre Kuh schon besucht.

Der Vorteil: "Ich habe so eine langfristige, treue Kundschaft und muss mich nicht täglich mit der Akquisition beschäftigen", erklärt Leutenegger. Dieses System hat er inzwischen auf seine Wollschweine und auf Hühner ausgedehnt. Den Bestand der Wollschweine will er aufstocken. Das wird die Talkinder freuen, die ihm das Schweinefutter aus den Wäldern bringen. Für ein Kilo Kastanien zahlt ihnen Leutenegger zwei Franken.

Martin Arnold, geboren 1961, ist freier Journalist mit Schwerpunkten Gesellschaft, Umwelt und Politik, und Mitbegründer des Pressebüros Seegrund in Kreuzlingen (CH). Er lebt in St. Gallen.

Mehr Informationen unter: www.natur-konkret.ch