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Giftige Bazillencocktails

Von Ulrich Zander

Reflexionen

Am 23. März 1914 wurde in Frankfurt der Drogist und Varietékünstler Karl Hopf hingerichtet. Er ist als "Bakterienmörder" in die Kriminal- und Wissenschaftsgeschichte eingegangen.


Karl Hopf, der Ehefrauenmörder.
© Kriminal-Museum, Frankfurt/Main

Der Mann war sportlich, attraktiv, konnte recht charmant sein und bewies in diversen Lebensbereichen ein goldenes Händchen. Im Jahre 1891 errang er in London den Weltmeistertitel im Säbelfechten. Als muskelbepackter Varietékünstler "Athos", beziehungsweise "Captain Charles Vernon" erntete "der beste Degenkünstler aller Welt" Beifallsstürme, etwa wenn er vor heimischem Publikum im Frankfurter Schumann-Theater einen Apfel auf der zarten Kehle seiner Partnerin mit einem Hieb zerteilte. . .

Karl Hopf, 1863 in Frankfurt in eine Kaufmannsfamilie hineingeboren, schmiss das Gymnasium und zog in die Welt hinaus. In London war er - wie zuvor schon daheim - im Drogerie- und Chemikalienhandel tätig. Auch in Belgien, Marokko und Indien erweiterte er sein Fachwissen. Anfang der 1890er Jahre kehrte Hopf von Malaria geschwächt nach Deutschland zurück.

Er zog in das Taunusdorf Niederhöchstadt (heute ein Ortsteil von Eschborn) und erwies sich dort als erfolgreicher Hundezüchter. Sein Prachtexemplar, ein Bernhardiner, erzielte den Spitzenpreis von 10.000 Goldmark. Der angesehene Fachbuchautor entwickelte darüber hinaus taugliche Mittel gegen die Hundestaupe. 1902 heiratete er Josepha Henel, die noch im gleichen Jahr an einer mysteriösen Krankheit verstarb. Bei der Polizei ging eine Anzeige ein: Hopf, der "zu Heilzwecken" Bakterien züchte, habe seine Frau ermordet. Dieser Verdacht schien den Ermittlern absurd. Der untröstliche Witwer durfte Josephas Lebensversicherung kassieren: 20.000 Mark.

Der Wiederholungsfall

Auch Hopfs zweite Frau, Auguste Christine Schneider, genannt Didi, erkrankt schwer. Ist sie bei Hopf in Niederhöchstadt, geht es ihr gesundheitlich miserabel, pflegen die Eltern sie, erholt sie sich. Christine wird misstrauisch, verlässt den Gatten, wird geschieden. Und heiratet erneut. Aber es ist zu spät. Auch sie geht dahin.

"Tuberkulose" lautete die Todesursache. Didis Leben war auf 30.000 Mark versichert. Die erhielt aber nicht Hopf, sondern der neue Ehemann. Auch das Töchterchen Elsa aus der Ehe mit Hopf war - fünf Wochen nach der Geburt - auf unerklärliche Weise verstorben. Wieder wurde er angezeigt, wieder das Verfahren eingestellt. Hopf drehte den Spieß um, verklagte erfolgreich die "Verleumder", darunter mehrere Zeitungen.

Karl Hopf verkaufte sein Haus, zog nach Frankfurt und begab sich erneut auf Freiersfüße. In London heiratete er 1912 während einer Gastspielreise die aus Dresden stammende Österreicherin Wally Siewec. Er schloss eine Lebensversicherung über 80.000 Mark ab und machte seiner Angetrauten weis, die wäre allein auf ihn ausgestellt. Bei einer neugierigen Schnüffelaktion stieß Wally auf versteckte Unterlagen, aus denen hervorging, dass auch ihr Leben "auf Gegenseitigkeit" mitversichert worden war.

Kurz darauf bekommt sie schreckliche Magen- und Darmbeschwerden, die Glieder schwellen an. Hopf kümmert sich in rührender Weise, flößt ihr Medizin ein. Dadurch verschlechtert sich ihr Zustand rapide weiter, das Fieberthermometer steigt auf über 40 Grad. Der jungen Frau gelingt es schließlich gegen Hopfs Widerstand, ins Frankfurter Diakonissenkrankenhaus eingeliefert zu werden. Dort vermutet ein fachkundiger Arzt eine schwere Vergiftung. Die Polizei wird verständigt, der Haudegen Hopf auf dem Weg zum Hospital von vier kräftigen Beamten festgenommen, die seinen Selbstmord mit Zyankali gerade noch verhindern können.

Die Durchsuchung seiner eleganten Wohnung bringt Schockierendes zu Tage. Neben einem kompletten Chemielabor - mit Giften wie Arsenik, Zyankali, Strychnin und Digitalis - finden sich auch solche "animalischer Natur", virulente Typhus-, Rotz-, Starrkrampf- und Cholerabazillenkulturen in großer Menge. "Das", so ein Journal, "hätte gereicht, ganze Stadtviertel auszurotten".

Hopf hatte sich die gefährlichen Mikroorganismen von einem bakteriologischen Institut aus Wien schicken lassen. Einmal beklagte er, der vorgab, die Erreger für die Herstellung von Hundemedizin zu benötigen, in einem Beschwerdebrief ganz unverblümt "die sehr mangelhafte Wirkung beim Menschen" und verlangte erfolgreich Ersatz. Seine Wiener Geschäftspartner wollten damals übrigens statt "am Menschen" "am Meerschwein" gelesen haben. Hopf ließ sich gar frischen Nachschub von den Schlachtfeldern des Balkankrieges (1912/13) zukommen.

Geheime Begierden

In der Wohnung stoßen die Ermittler auf ein perfekt getarntes "Geheimkabinett", von dessen Existenz die Ehefrau nichts ahnte. Peitschen, Ruten, Stöcke, Pritschen mit Lederriemen, Drahtkäfige. Und mittels Selbstauslöser aufgenommene pornografische Fotos von Hopf, nur mit schwarzer Maske und Socken bekleidet, beim Misshandeln von Frauen. "Billige Straßenmädchen", hieß es im zeitgenössischen Jargon. Die Prostituierten stellten für Hopf, der auf großem Fuß lebte, einen gewichtigen Kostenfaktor dar und trugen wesentlich zur ständigen Geldnot bei.

Ein Plakat des Varietékünstlers "Athos" alias Karl Hopf.

Nach anfänglichem Leugnen gestand er unter dem Druck der Verhöre den Mordversuch an seiner dritten, der - dank ihrer außergewöhnlich robusten Natur - einzigen überlebenden Gattin. Die Ermittler stoßen auf weitere verdächtige Todesfälle im näheren Umfeld des Beschuldigten: Die Eltern (der Vater hatte Hopf 14.000 Mark geliehen, die Mutter ihm 27.000 Mark hinterlassen) sowie das aus einer Liaison mit einer Haushälterin stammende knapp einjährige "Karlchen".

Die Leichen wurden exhumiert. Mit Ausnahme der Mutter und der zweiten Ehefrau enthielten alle eine hohe Arsen-Konzentration. Ein halbmetallisches Gift, das aber, gering dosiert, auch heilende Wirkung entfalten kann. Hopf gab zu, seinen kranken Frauen arsenhaltigen Sekt eingeflößt zu haben, um sie "wieder auf die Beine zu bringen". Dem unehelichen Kind habe er das Gift post mortem gespritzt, um, so seine merkwürdige Erklärung, " eine rasche Verwesung zu verhindern."

Nach und nach gesteht Hopf, all seinen Opfern Krankheitserreger-Cocktails zugeführt zu haben. Er habe Arsen mit Bakterien vermischt. Seiner Wally brachte Hopf mit Bazillen besprühte Blumen ins Krankenhaus.

Der Prozess beginnt am 20. Januar 1914 vor dem Frankfurter Schwurgericht. Einlasssuchende drängeln sich am Portal, der Verkehr bricht zusammen. Journalisten und Fotografen aus aller Welt balgen sich um die besten Plätze. Mehr als 60 Zeugen sind geladen, führende Sachverständige treten zum damals äußerst schwierigen Giftnachweis an. Erstmals gelingt es den Wissenschaftern mit Hilfe chemischer Analysen, solch einen Täter zu überführen. Der Staatsanwalt spricht von "einer neuen Methode des Mordens, die man wohl als wissenschaftlichen Mord bezeichnen muss."

Die Sensation

Schließlich gesteht Hopf unter der Last der Beweise den ersten Mord, gesteht, seine Ehefrau Josepha auch durch Bakterien getötet zu haben. Eine Sensation. Bakterienmord. So etwas, so glaubt man, hat es noch niemals gegeben, denn die Wissenschaft von den gefährlichen Kleinstlebewesen (und deren Bekämpfung) steckte noch in den Kinderschuhen.

Am 17. Februar fällt das Urteil. Hopf wird wegen Mordes an Josepha schuldig gesprochen und zum Tod durch das Beil verurteilt.

Hopfs Kopf (er hatte auf ein Gnadengesuch verzichtet) fiel im Morgengrauen des 23. März 1914 im Strafgefängnis Frankfurt-Preungesheim. Zuvor war er aus dem "Frankfurter Verein für Hundefreunde" ausgeschlossen worden. Wegen seiner Aktivitäten im Folterkabinett.

Anders als in Deutschland angenommen, war Karl Hopf nicht der erste, der aus Geldgier mit potenziell tödlichen Mikroorganismen "gearbeitet" hatte. Im März 1910 wurde in Kansas City (US-Bundesstaat Missouri) ein Mister Hyde angeklagt, seinen Onkel mit Strychnin vergiftet zu haben. Nachfolgende Erbberechtigte hatte Hyde mittels Typhuserreger im Trinkwasser ins Jenseits zu befördern versucht.

Nahezu zeitgleich war Sankt Petersburg Schauplatz des ersten europäischen Bakterienmordes. Der Arzt Patschenko hatte einem Offizier gegen 10.000 Rubel Diphterie-Erreger injiziert. Der solcherart Ermordete war dem Auftraggeber in der Erbfolge im Wege gewesen.

Ulrich Zander, geboren 1955, lebt als freier Journalist in Berlin und ist vor allem spezialisiert auf historische, insbesondere kriminalhistorische Themen.