Plötzlich war er da, der Ruf nach einer Tötungsmaschine, die der Ungerechtigkeit und Barbarei des absolutistischen Rechtssystems ein Ende machen sollte, wenn auch im Nachhinein nicht mehr deutlich auszumachen war, welche der vielen Begründungen am Anfang stand oder die lautstärkste war. Da gab es einmal die revolutionäre Forderung, dass vor dem Tod alle Bürger gleich sein müssen (das Abschlagen des Kopfes durch das Schwert war bislang eine privilegierte Tötungsart, die dem Adel vorbehalten war), dann gab es die humanitäre Forderung, ein Todesurteil möglichst schnell und ohne Schmerzen zu vollstrecken - niemand sollte mehr an die Folter des absolutistischen Staats erinnert werden.

Hygiene und Symbolik


Und dann gab es gewissermaßen eine staatshygienische Kalkulation: Überall entdeckte man neue Feinde der Revolution, und weil die Gefängnisse überfüllt waren, wollte man sie aufs Schafott schicken. Aber die Henker von Paris zeigten sich überfordert. Charles Henri Sanson wies immer wieder darauf hin, dass Hinrichtungen mit dem Schwert störanfällig waren, besonders des Abends, wenn das Licht schwächer wurde, konnte nur ein sehr erfahrener Henker das Schwert sicher einsetzen.

Jedenfalls war es von Anfang an eine Sache der höchsten Staatssymbolik, die Guillotine wurde zum Sinnbild der revolutionären Transformation einer Gesellschaft, sie stand für ein Reinigungsunternehmen, das jeden Schandfleck des Ancien régime auslöschen sollte.

Im Oktober 1789 machte einer der königlichen Ärzte, Dr. Joseph-Ignace Guillotin, vor der französischen Nationalversammlung den Vorschlag, eine sichere und schmerzlose Tötungsmaschine zu entwickeln - unabhängig vom sozialen Stand sollte das Todesurteil auf die gleiche, humane Weise vollstreckt werden: ein Plädoyer für das aufgeklärte Töten.

Der Sekretär der Chirurgischen Akademie, Antoine Louis, entwarf daraufhin ein Gutachten samt Konstruktionsplan, ein elsässischer Tischler und Klavierbauer namens Tobias Schmidt, der den günstigsten Kostenvoranschlag eingereicht hatte, übernahm die Ausführung, nachdem im März 1792 Ludwig XVI. den Antrag unterschrieben hatte.

". . . wie ein Blitz"


Schmidt wurde dabei fachmännisch unterstützt vom Zimmermann des Hospitals von Bicêtre und von Charles-Henri Sanson, dem Henker von Paris. Man experimentierte mit Leichen des Hospitals und mit Schafen, verbesserte die Mechanik und zeigte sich bald optimistisch. In der Stellungnahme von Dr. Louis war die Rede von einer niemals versagenden Maschine, und Dr. Guillotin erklärte nach einer der ersten Hinrichtungen: "Die Maschine wirkt wie ein Blitz [. . .]. Das Opfer leidet überhaupt nicht, es spürt lediglich ein kurzes, kaltes Gefühl im Nacken" (Lesern Konrad Bayers begegnet der Satz wieder in "Der Kopf des Vitus Bering" . . .).

Die Guillotine besteht aus einem Rechteck, einem Kreis, einem Dreieck, und sie funktioniert durch das Zusammenspiel dreier geometrischer Figuren. Zur Zeit der Französischen Revolution war sie drei Meter hoch, das Holz rot lackiert; das Beil, etwa 40 Kilogramm schwer, fiel zwei Meter tief. Sie war als Sinnbild der Humanität und der Vernünftigkeit gedacht, als Zeichen technischer Effektivität, und ist doch zum Schreckbild einer Revolution geworden, von der es hieß, dass sie ihre eigenen Kinder verschlinge. Die Folgen der Installation der Guillotine für die Gerichtsbarkeit, aber auch für die philosophische Anthropologie und die Literatur waren gewaltig.

Das absolut Neue


Der Göttinger Physiker und Philosoph Georg Christoph Lichtenberg hatte 1795 schon verstanden, dass diese Maschine keine wirklichen Vorfahren hat. In einer Skizze, die er im Göttinger Taschenkalender unter dem Titel "Ein Wort über das Alter der Guillotine" veröffentlicht hat, brachte er das Neuartige der Maschine auf den makabren Punkt: Sie hackt nicht mehr, sie schneidet den Kopf ab. Sein Urteil: "Wenn doch einmal Köpfe abgeschlagen werden sollen, so ist nicht leicht eine vollkommnere Maschine zu dieser Absicht möglich, als die Guillotine".

Lichtenbergs Artikel ist, vom Revolutions-Journalismus abgesehen, wohl der erste deutsche Text, in dem es um die Guillotine geht. Aber schon 1811 taucht sie in der deutschen Literatur auf, in Heinrich von Kleists Erzählung "Die Verlobung in St. Domingo", wo in Straßburg die Braut des Helden sich für ihren Geliebten opfert und unter der Maschine ihren Kopf verliert.

Lichtenbergs philanthropische Lesart, die auch aus Dr. Guillotins Vorschlag spricht, spiegelt sich wieder in Georg Büchners Briefen an seine Familie, wo er das Schicksal seiner für viele Jahre in deutschen Gefängnissen schmachtenden Genossen vergleicht mit den Opfern der Guillotine, wo Richtspruch und Hinrichtung beinahe zusammenfallen.

Der Siegeszug der Guillotine war bei ihrem ersten Einsatz noch nicht abzusehen, und keiner war unglücklicher als Dr. Guillotin, dass die Maschine mit seinem Namen verbunden wurde. Am 25. April 1792 wurde vor dem Pariser Rathaus vor gewaltigem Publikum das Todesurteil an einem Straßenräuber vollzogen. Sansons Leute hatten die Guillotine aufgebaut, die Enthauptung vollzogen und danach die Maschine wieder zusammengepackt. Enttäuscht waren die Zuschauer vor allem über die Geschwindigkeit der Prozedur - denn man hatte so gut wie nichts zu sehen bekommen.