
Die Maske könnte die Insignie des argentinischen Tangosängers Carlos Gardel sein. In dem gleichnamigen Comic von José Muñoz und Carlos Sampayo mit dem Untertitel "Die Stimme Argentiniens" wird das Undurchschaubare dieser Figur luzide zum Ausdruck gebracht. Zeichnerisch am pointiertesten da, wo dem Sänger der schwarze Schatten seines Huts tief in das Gesicht fällt und dabei eine perfekte Maske formt. Doch in Muñoz prononcierter Schwarzweiß-Darstellung verwandelt sich sogar gleißendes Weiß in Maske.
Ein lebender Mythos
Gardel, geboren 1890, ist der personifizierte Mythos des argentinischen Tangos. Der Tango beginnt gegen Ende des 19. Jahrhunderts in den Randbezirken eines verarmten und verruchten Buenos Aires mit seinem Hafen, seinen Pferderennbahnen, Bordellen, Tanzlokalen sowie seinem migrantischen Bevölkerungsgemisch und einem kompletten Ensemble aus der Unterwelt mit ihrem Gaunerjargon, dem lunfardo.
Diesen Hintergrund teilt auch das stimmliche Wunderkind Gardel. Die in den 1910er Jahren aufkommende Vorliebe für den gesungenen Tango ist mit Gardel ebenso verknüpft wie schließlich dessen Eroberung der Filmwelt und des Weltmarktes.
Als Gardel, eigentlich Charles Romuald Gardès, 1935, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, bei einem tragischen Flugzeugunfall ums Leben kam, war er bereits ein Star und die Erschütterung in der Bevölkerung groß.
Gardels Landsleute Muñoz und Sampayo lassen in ihrem Comic zwei hochkarätige wissenschaftliche Kapazitäten darüber streiten, ob der "dunkelhaarige Junge aus dem Abasto", diese "Stimme Argentiniens", tatsächlich das "argentinische Wesen" repräsentiere. Brisant und kontrovers ist diese im Jahr 2000 stattfindende Debatte über Argentinien und seine mythische Verkörperung insbesondere deshalb, weil die Projektionsfläche Gardel in alle Richtungen offen zu sein scheint.
Zahllose Rätsel, Gerüchte, Verschwörungstheorien umschwirren Gardels Leben: Ist der Mann mit ursprünglich französischem Namen, der mit seiner Mutter im Alter von drei Jahren an den Río de la Plata gelangt ist, nun in Toulouse geboren oder doch in uruguayischen Tacuarembó? Gardel selbst hat offenbar gezielt für die Verbreitung unterschiedlicher Angaben gesorgt. Ist er bei dem Unfall tatsächlich gestorben oder lediglich mit Verbrennungen im Gesicht davongekommen und hielt sich fortan im Urwald versteckt?
Oder politisch: Gardel schien Kontakte zu Rechten wie zu Linken zu pflegen, auf welcher Seite stand er wirklich? War er in seiner Jugend als terroristischer Laufbursche der Anarchisten aktiv? Und wie war das mit den Frauen? War das Idol Argentiniens vielleicht doch ein Homosexueller, wie schon gemunkelt wurde, als das Thema noch vollends tabu war? Die Liste derartiger Fragen ließe sich weiterführen.
Muñoz und Sampayo unternehmen in ihrem Comic nicht den Versuch, die Rätsel um Gardel zu lösen, um das Bild des "wahren" Gardel zu zeichnen. Vielmehr gehen sie von der Erkenntnis aus, dass die Legende letztlich der wahre Gardel ist, und sie schaffen es, gerade das unaufhörliche Schillern dieses Mythos und seine vielfachen Verflechtungen mit der Identität des Landes virtuos in Szene zu setzen.
Es ist eine ständige Verunsicherung des betrachtenden Auges, wenn sich klare Konturen und Linien des Schwarzweiß-Comics plötzlich im Schwarz verlieren und die Zeichnungen in rätselhafte Suchbilder verwandeln. Das Spiel mit schwarzglänzenden Schatten und weißflirrenden Reflektionen beherrscht Muñoz vorzüglich. Doch Brillanz zeigt gleichermaßen das Szenario von Sampayo. Dass der Comic erfundene Figuren wie etwa Romualdo Merval, den selbsternannten Gegenspieler und eingebildeten Mörder Gardels, zu den bestehenden Mythen hinzunimmt, erweist sich als raffinierte Strategie, um der Vielschichtigkeit des Phänomens beizukommen. Zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin- und herspringend, entsteht eine visuelle Komposition, die den Rhythmus des Tangos mit medienspezifischen Mitteln evoziert.
Muñoz und Sampayos künstlerische Zusammenarbeit ist heute bereits klassisch: Neben ihrer Detektivserie "Alack Sinner" ist auch das sensible Porträt von "Billie Holiday" ein kleines Meisterwerk. Muñoz/Sampayos "Carlos Gardel" stellt einen ganz eigenständigen wie faszinierenden Versuch dar, die Erscheinung Gardels zu rekonstruieren: zwischen einzigartiger Maske und vielgesichtiger Legende.
Schauplatzwechsel: Ciudad Juárez. Ein völlig anderer Mythos hält die nordmexikanische Stadt im Klammergriff von Angst und Schrecken.
Beklemmende Bilder
In Peggy Adams "Luchadoras" ist nichts schillernd. Es gibt Zwielichtiges und Zweideutiges, aber nichts Schillerndes. Die Schwarzweißzeichnungen beschränken sich auf Notwendiges: Konturen und Umrisse. Weiße Hintergründe und Flächen herrschen mit einigen Ausnahmen vor. Einfache Linien, schnörkellos und funktional, erzählen die Geschichte einer Frau die in der mexikanischen 1,2-Millionenstadt Ciudad Juárez versucht, in einem höchst bedrohlichen System von Gewalt zu überleben. Der karge Zeichenstil der jungen französischen Zeichnerin steht nicht allein für eine nüchterne Atmosphäre, er lässt die Bilder beklemmend wirken und unheimlich.