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Choreografie der Sonderzeichen

Von Ingrid Thurner

Reflexionen
Das Beispiel der US-Sängerin P!nk führte zu der Idee, die feministische Sonderzeichen-Sippe durch ein Rufzeichen zu bereichern: W!r und !hr und !hnen . . .
© Foto: Andrew Snook/Corbis

"Binnen-I"-Debatte, nächstes Kapitel: Es scheint, als ob der umfassenden Verweiblichung der Gesellschaft bei kreativem Einsatz typografischer Möglichkeiten kaum noch etwas im Wege stünde.


Unlängst lud das Gleichstellungsbüro der Universität Hannover zur öffentlichen Podiumsdiskussion in die Messestadt an der Leine. Es ging um Geschlechtersensibilität in Wort und Schrift, vulgo Gendern, um "gerechte Sprache, ihre Notwendigkeit und die Möglichkeiten ihrer praktischen Umsetzung", um Stilmittel, die alle Geschlechtsidentitäten gleichermaßen zu repräsentieren in der Lage sind.

"Die Sprachen sind der beste Spiegel des menschlichen Geistes", sagte Gottfried Wilhelm Leibniz, Namenspatron der ehrwürdigen Lehrstätte, und es stand der Veranstaltung gut an, dass sie diesen Leitgedanken wählte. Ich war aufs Podium geladen und durfte über die Situation in Österreich berichten, wo geschlechtersymmetrischer Sprachgebrauch inzwischen zum Politikum verkommen ist, seit Rechtsaußen und Boulevardzeitungen mittels "Genderklamauk" die Stammtische bei Laune halten.

Wer mit Buchstaben neue Wirklichkeiten schaffen will, bedient sich bekanntlich aus der Großfamilie der Sonderzeichen. Bisher kennen wir Klammern, Schrägstrich, Majuskel-I, Asterisk, Unterstrich, hochgestellte feminine Suffixe, wir kennen Doktor(in), Doktor/in, DoktorIn, Doktor* (Plural: Doktor**), Doktor_in, Doktorin.

Neue Suffixregeln

Aus diesem unverbindlichen Angebot wird gewählt, was gerade gefällt, denn alle Normierungsversuche scheinen zum Scheitern verurteilt. Die Möglichkeiten sind aber noch nicht ausgeschöpft und der antisexistische Elan ist ungebrochen. So nutzte die AG Feministisch Sprachhandeln der Humboldt-Universität zu Berlin den Spielraum und legte im Frühjahr 2014 einen Leitfaden vor, "die Frucht einer intensiven Zusammenarbeit über Jahre".

Diese Frucht, sie mutet ein wenig exotisch an und so, als ob sie nicht ohne weiteres von den wohligen Höhen einer Universität in den rauen deutschsprachigen Alltag zu verpflanzen wäre. Und ein bisschen abgehoben wirkt, dass sich unter den Verantwortlichen kein männlicher Vorname findet.

Endlich soll also dem Mehrgeschlechtlichen sprachlich gerecht zum Durchbruch verholfen werden: Man beschließe die Wörter mit einem geschlechtsneutralen x oder a oder wahlweise auch einem @, an Stelle der bisherigen Endungen. Natürlich stießen diese fortschrittlichen Ideen in den Redaktionen gleich auf große Beachtung, und seither drehen dx Professx, dx Doktox und unsa Lautsprecha ihre Runden durch die deutschsprachigen Medien.

Außer den neuen Suffixregeln enthält das Papier weitere nützliche Tipps zur Entmännlichung der Sprache, etwa dynamische Unterstriche: Sie wandern dynamisch durch ein Wort, können überall stehen, nur nicht dort, wo sie bisher standen, nämlich zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen, dann ist es nämlich ein statischer Unterstrich.

Die Anmutung solch schwungvoller Schriftbilder möge quasi nebenbei eine assoziative Wirkung erzeugen, die nachhaltig aufs Unbewusste strahlt und den resistenten, nicht nur männlichen Gehirnen durch Wiederholung einbläut, dass allen Geschlechtern gleiche Rechte, gleiche Chancen und gleiche Löhne zustehen. So die feministische Hoffnung. Auf diesen sprachlichen Wegen soll gesellschaftlich erzwungen werden, was längst gesetzlich verankert ist.

Damit nicht genug. Bei der Diskussion in Hannover sagte die sprachfeministische Vordenkerin Luise Pusch zwar kurzfristig krankheitshalber ab, aber sie glänzte auch in Abwesenheit. Ihr Skript wurde vorgelesen. Sie kennt eine Sängerin namens P!nk, und das führte zu der Idee, die feministische Sonderzeichen-Sippe durch ein Rufzeichen zu bereichern. Ganz leicht kann man nunmehr auch Pronomina gendern: W!r und !hr und !hnen und s!e.

Man kann das weiterspinnen: Auch das egoistische !ch kann hinfort sprachsensibel umgesetzt werden. Das hilft keineswegs nur jenen, die sich ihrer Geschlechtsidentität noch nicht bewusst sind oder denen, die sich noch nicht geoutet haben. Ohnedies haben wir ja sowohl männliche wie weibliche Hormone. Wer kennt schon immer so genau den aktuellen Hormonstatus? Es könnte ja das Testosteron gerade schwächer vertreten sein.

Entmännlichungsritual

Auch beim d!e könnte man noch überlegen, sowohl beim Artikel wie auch beim Relativpronomen, das Nebensätze einleitet, ob es nicht sinnvoll wäre, dieses auch zu genusdeklinieren. Unweigerlich lenkt das Rufzeichen den Blick auf die strukturellen Ungleichheiten, denen Frauen ausgesetzt sind, die Anmutung des Schriftbildes lagert sich ein im Gehirn, siehe oben und flugs - die Welt wird wieder um ein Stück objektiver.

Schon lange befürchte ich, dass ich demnächst gendersensible Post erhalte, in der jemand, um mir einen Gefallen zu tun, meinen Namen einem Entmännlichungsritual unterzieht. Da werde ich dann heißen: Thurnerin (mäßig originell, so nannten sie mich schon in der Volksschule) oder ThurnerIn (betont den femininen Aspekt in mir. Aber wie, eigentlich, kann das phallische I für das Weibliche stehen?), Thurner(in) (bezweifelt ein bisschen mein Geschlecht, könnte ja alles sein), Thurner_in (bietet mir Wahl-Möglichkeiten an), Thurnerin (woher nimmt der Absender, bestimmt ein Mann, die Gewissheit, dass ich weiblich bin? Und dann das Feminine, zwar hochgestellt, aber in Kleinbuchstaben! Das ist Diskriminierung im Gewand der Antidiskriminierung und besonders perfide - der Wolf im Schafspelz, sozusagen).

Und dann wären da noch und Thurnx, Thurna (unsexy Anmutung) und Thurn@ (wirkt nicht ganz fertig).

Die Light-Variante

Auf dem Podium an der Universität in Hannover saßen vornehmlich Frauen, im Publikum - rund neunzig Personen - saßen mindestens fünf Männer. Daraus zu schließen, dass das Thema auf wenig Interesse bei männlichen Universitätsangehörigen und Stadtbewohnern stieß, ist bestimmt nur eine weibliche Voreingenommenheit. Eines der Anliegen der Diskussion war herauszufinden, wie gesellschaftsfähig geschlechtergerechte Sprache sei. Und da wirft sich die Frage auf: Wie kann eine Sache gesellschaftsfähig sein, der sich die eine Hälfte der Gesellschaft fast gänzlich entzieht?

Auch die von mir bevorzugte Light-Variante - die Geschlechtsneutralität (z.B. Lehrpersonal statt Lehrer_innen) - wird von der linguistischen Feministik abgelehnt. Sprachästhetik statt Sonderzeichenchoreografie wäre das Anliegen, Geschlechtersymmetrie durch Entsexualisieren der Sätze. An Stelle der Sichtbarmachung des Weiblichen könnte die Unsichtbarmachung des Männlichen treten, zu Gunsten des Übergeschlechtlichen, allgemein Menschlichen. Ende der Sprachdiskriminierung durch Umformulieren wäre der Vorschlag, andere Wörter finden, den Sprachreichtum nutzen, auch wenn es zuweilen langer Umwege und vieler Worte bedarf, dass die neutrale Form nicht auf Kosten des Inhalts erfolgt.

Unschuldige Wörtchen

Aber das nennen sie pseudogenerisch. Begriffe wie "Gast" und "Mitglied" und "Person" seien nur scheinbar neutral (pseudoneutralisierend), offenbart die Broschüre, in Wirklichkeit verschleiern sie diskriminierte und privilegierte Positionierungen. Und das kleine unschuldige Wörtchen "alle": es ist besonders hinterhältig. Unter allen sind nämlich unter Umständen viele, die strukturell ausgeschlossen werden. Soziale Ungleichheiten werden durch Verwendung solcher Begriffe fahrlässig unter den Tisch gekehrt.

Die Methode, nicht das Weibliche typografisch zu betonen, sondern das Männliche zwischen den Zeilen verschwinden zu lassen (also z. B. Arbeitskräfte statt ArbeiterInnen) hat keinen Bestand vor den gnadenlosen Ergebnissen der feministischen Studien. Umfragen belegen: Wer das Wort "Mensch" hört oder liest, denkt sehr viel häufiger an einen Mann als an eine Frau. Wer gefragt wird: Welcher sozialistische Politiker fällt Ihnen ein?, nennt sehr viel mehr Männer, als wer gefragt wird: Welche/r sozialistische Politiker/in fällt Ihnen ein?

Geschlechtslosigkeit ist also keine Option im radikalfeministischen Elfenbeinturm, das Entsexualisieren der Sätze ist in fundamentalistischer Auslegung bloß eine androgegenderte Sackgasse, die endlich skandalisiert gehört.

Und das Wort "Frau" gar, man getraut sich fast nicht mehr, es zu verwenden, es wird wohl bald politisch inkorrekt geworden sein. "Keine Person ist einfach so Frau, sondern wird frauisiert und_oder frauisiert sich selbst." (AG Feministisch Sprachhandeln). Aber eigentlich kennen wir das ja schon von Simone de Beauvoir. Sie diagnostizierte, dass man nicht als Frau geboren, sondern zur Frau gemacht wird. Das war 1949. Sie hat sich allerdings im Gegensatz zu den zeitgenössischen Verfechterinnen feministischer Kampfrhetorik um die literarische Qualität ihrer Texte verdient gemacht.

"Frauisieren"

Und Frauen, die gegenderte Texte ablehnen, die zwischen grammatischem und sozialem Geschlecht differenzieren, die sich auch im generischen Maskulinum (z. B. Zuseher) oder generischen Neu-trum (z. B. Publikum) angesprochen fühlen, merken nicht einmal, dass sie genderistisch diskriminiert werden. Indem sie solche Begriffe akzeptieren und verwenden, frauisieren sie sich selbst.

Für die Kabaretts und Feuilletons, für die alten Herren und die ewigen Machos sind solch bunte Buchstabensalate natürlich ein Geschenk des Himmels, da brauchen sie nicht selbst nachzudenken. Copypasten genügt, und schon lachen alle. Aber im Grunde können die Feministinnen mit ihren bisherigen Erfolgen ganz zufrieden sein - und vielleicht wollen sie ja das eine oder andere noch einmal überdenken. Mit ihren aparten Silben-Konstruktionen landeten sie in allen Medien bis hinab zur "Bild"-Zeitung, und dx Professx ist samt Mitarbeitas in allx Satirikx Munde, auch wenn sie bloß ironisiert werden.

Einstweilen hoffen die Wissenschafterinnen und versuchen durch Studien zu beweisen, dass Gerechtigkeit in der Sprache zu Gerechtigkeit in der Gesellschaft führt. Sie halten sich an ein Sprichwort, das von einem Zitat Gandhis abgeleitet ist: "Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich, und dann gewinnst du."

Phase zwei ist erreicht.

Ingrid Thurner, geboren 1954, ist Ethnologin, Publizistin und Lehrbeauftragte am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien.