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Ewige Ruhe im Granit

Von Martin Arnold

Reflexionen
Im schwedischen Felslabor Äspö werden die Grundprobleme der Endlagerung erforscht.
© Foto: Arnold

Die skandinavischen Länder stehen der Kernenergie positiv gegenüber. In Schweden und Finnland hat man auch zielstrebig damit begonnen, die schwierige Frage der Endlagerung zu lösen.


Im Südosten Schwedens, gegenüber der Insel Gotland, befindet sich Äspö. Umrahmt von bemoosten Fichtenwäldern liegt ein Gebäudekomplex, der an ein Landschulheim erinnert. Es ist das 1995 eingeweihte "Äspö Hard Rock Laboratory", in dem Forscher für die Tiefenlagerung im potenziellen Wirtsgestein Granit experimentieren. Neben Salz (vor allem in Deutschland) und Ton (Schweiz und Frankreich) kommt Granit als Einschlussmedium für die Endlagerung in Frage. Im Gegensatz zu anderen Regionen haben die skandinavischen Länder keine Wahl, denn das Grundgestein besteht fast nur aus Granit. Es ist über eine Milliarde Jahre alt und die Tektonik ist weniger aktiv als im Alpenraum. Der Granit schließt aber andere Gesteinsformen ein und weist kleinste Risse auf, durch die das Wasser fließt.

Das Felslabor Äspö wurde Ende der 1970er Jahre gegründet. Schweden widmete sich schon früh der Endlagerfrage und führte deshalb ab 1977 erste Testbohrungen an zehn Standorten durch. Es gab heftigen Widerstand, bis die Regierung und die interessierte Industrie eine PR-Offensive lancierten. Heute sieht die Bevölkerung auch Vorteile darin, eine Endlagerstätte, beziehungsweise ein Tiefenlager zu beherbergen. Die wissenschaftlichen Versuche im Felslabor sollen Antworten auf Fragen geben wie: Gibt es Verschiebungen im Gestein, bricht Wasser durch, wie reagiert das Gestein auf Hitze?

Der tiefste Punkt des Labors liegt 450 Meter unter dem Meeresspiegel und deutlich unter dem Meeresgrund der Ostsee. Der Weg in den Hades von Äspö weist zehn Prozent Gefälle auf und ist über drei Kilometer lang. Vom Haupttunnel weg gehen zahlreiche Nischen. Sie bieten für über 50 Experimente Platz. Mehrere Länder forschen hier.

Kupfer als Mantel

Wegen der Korrosionsgefahr bei den Einschlussbehältern entschied sich Schweden für ein teures Material, um das radioaktive Material zu umhüllen: Kupfer. Im nahe gelegenen Oskarshamn steht nicht nur ein Kernkraftwerk mit drei Blöcken, sondern auch das "Canister Laboratory". Hier werden Versuche mit Kupfer gemacht. Ein Kupferkanister ist fünf Meter lang und wiegt sieben, mit Füllmaterial 25 Tonnen.

Kupfer ist nur das Material der äußeren Hülle. Im Innern werden die Brennstäbe nochmals mit Stahl umhüllt und das Ganze dann in Kupfer eingekapselt. Das Metall birgt ein Problem: Es ist sehr wertvoll und wird nicht selten gestohlen. Bei den gegenwärtigen Weltmarktpreisen würde das verwendete Kupfer in Schweden einen Wert zwischen 300 Millionen und einer halben Milliarde Euro besitzen. Nicht ausgeschlossen, dass die Gewinnung dieses Rohstoffs einmal ein Grund sein könnte, das gefährliche Lagergut zu bergen.

Falls es zur Tiefenlagerung mit Kupfer kommt, werden die im Labor vorgenommenen Qualitätstests wiederholt. Sowohl Schweden als auch das Nachbarland Finnland sind den anderen europäischen Ländern auf dem Weg hin zu einem Tiefenlager voraus. Schweden hat mit Östhammar in der Nähe des Kernkraftwerkes Forsmark einen Ort, der ein Tiefenlager für hoch radioaktive Stoffe auf seinem Gemeindeboden akzeptiert, zumal es hier bereits ein Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle gibt.

"Der Stein hat gesprochen. In Östhammar gibt es die wenigsten Einschlüsse. Außerdem steht dort auch das Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle", sagt Roland Johansson von der SKB, der für die Entsorgung nu-klearer Abfälle zuständigen Organisation in Schweden.

Die Endlagerung wird teuer, denn auch die Schweden sehen mehrere Barrieren vor, um den Austritt von Radioaktivität in die Biosphäre zu verhindern. Zwar besitzt der Granit in Östhammar weniger Einschlüsse als andernorts, ist somit kompakter, doch ein Eindringen von Wasser kann nicht für alle Zeiten ausgeschlossen werden. Deshalb entschieden sich die Schweden für Kupfer und deshalb wird hier - wie eines Tages auch in anderen Ländern - für jeden einzelnen Kanister eine eigene Kammer gebohrt.

Brennstäbe im Bad

Auch das südlicher gelegene Oskarshamn, wo das Felslabor Äspö liegt, hätte das Endlager haben wollen. Als Trost wird die Gemeinde mit mehreren Millionen Kronen entschädigt. Beide Standorte wurden in einem Auswahlverfahren als besonders geeignet definiert. Bei einer Umfrage haben sich in Oskarshamn 82 Prozent und in Östhammar 73 Prozent für das Tiefenlager ausgesprochen. Beide Gemeinden liegen in strukturschwachen Regionen. Die Bevölkerung sieht vor allem die wirtschaftlichen Vorteile. Außerdem ist der Pro-Kopf-Konsum von elektrischer Energie in Schweden doppelt so hoch wie in den deutschsprachigen Ländern, und das Land hat eine lange Tradition in der Nukleartechnik. Heute liefern zehn Kraftwerkblöcke Atomstrom. Der Ausstieg aus der Kernenergie hat in Schweden keine Mehrheit, der weitere Ausbau allerdings auch nicht.

Bis zur Tiefenlagerung befinden sich die ausgedienten Brennstäbe bei Oskarshamn in einem zentralen Zwischenlager (Clab). Aus den schwedischen Kraftwerken werden sie mit dem eigens dafür gebauten Motorschiff Sigrid nach Oskarshamn transportiert. Im Clab stehen die Brennstäbe rund 40 Meter unter der Erdoberfläche erdbebensicher in riesigen Kühlbecken mit 40.000 Kubikmetern Wasser und einer Kapazität von 8000 Tonnen. Gegenwärtig befinden sich 6000 Tonnen Kernbrennstoff im Clab, und jährlich kommen rund 200 Tonnen hinzu.

Über den vier Meter langen Brennstäben liegen acht Meter klares Wasser. Die Geometrie der quadratisch platzierten Brennstäbe und das Farbenspiel in Blautönen ist beinahe ästhetisch. Die Wärme des Kühlwassers wird über einen Wärmetauscher der Ostsee abgegeben. Im Gegensatz zum Kraftwerk gibt es im Zwischenlager keine Spaltprozesse mehr, sondern nur noch spontane Kernumwandlungen, die weiterhin Wärme abgeben.

Die Brennstäbe lagern 30 bis 40 Jahre im Wasser und werden dann für die Endlagerung in die Kupferbehälter verkapselt. Die Verpackungsanlage wird gleich neben dem Zwischenlager gebaut und soll zusammen mit der Eröffnung des Tiefenlagers in Östhammar den Betrieb aufnehmen. Bis Ende der voraussichtlichen Laufzeit der schwedischen Kernkraftwerke werden gut 6000 Tonnen hoch radioaktives Material in rund 500 Metern Tiefe unterhalb Forsmark abgelegt - vorausgesetzt, die schwedischen Behörden und die Regierung bestätigen definitiv den Standort als Tiefenlager.

Die definitive Entscheidung über das Endlager für hoch radioaktive Abfälle wird voraussichtlich 2017 gefällt. Dann könnte es 2029 den Betrieb aufnehmen - rund 30 bis 50 Jahre früher als die meisten Pendants in Europa. Die offiziellen Kalkulationen des SKB veranschlagen rund 5,5 Milliarden Euro für die Endlagerung. Aber selbst SKB-Leute gehen eher von 15 Milliarden Euro aus.

Der finnische Weg

Die SKB in Schweden arbeitet eng mit ihrer finnischen Schwesterorganisation zusammen. Der skandinavische Nachbar ist schon weiter im Aufbau eines Tiefenlagers für hoch radioaktive Abfälle. Es wird längst gebaut und trägt den Namen Onkalo. Die Zufahrtsrampe ist befestigt, doch im Tunnelinnern nach rund einem Dutzend Rechtskurven, die sich in das Erdinnere schrauben, in einer Tiefe von rund 440 Metern, ist der Tunnel noch nicht ausgekleidet. Neben dem eigentlichen Zufahrtsstollen gibt es Belüftungsschächte, Demonstrations-Tunnels und Räume für die Technik. Der Tunnel ist mit allen Nebenschächten fast zehn Kilometer lang. Über der Erde befinden sich die Büros, die Einkapselungsanlage, Wasch- und Reparaturanlagen, die Forschungsstation sowie Gebäude für die Tunneltechnologie. Onkalo wurde aus 100 Standorten ausgewählt und wird voraussichtlich 2020 den Betrieb aufnehmen. Kein anderes Land der Welt ist so weit gekommen. Wie Schweden besitzt Finnland eine relativ einfache Geologie. Das sehr alte Granitgestein verhält sich ruhig und die Erdbebengefahr ist gering. Aber natürlich gibt es auch hier die Gefahr von eindringendem Wasser. Deshalb entwickeln Schweden und Finnland die teuren Kupferbehälter gemeinsam.

Bereits in Betrieb ist das Zwischenlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle in der Nähe in Olkiluoto. Weil hier an der Südwestküste Finnlands zwei Reaktorblöcke in Betrieb sind und ein weiterer in Bau ist, nennen Atomkraftfreunde diesen Ort auch: das Disney-Land für Atomfreaks.

Olkiluoto bietet vom Atomreaktor über das Zwischenlager bis zum Endlager alles, was Anhänger dieser Energie interessieren könnte. Das Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle vermittelt eine Ahnung von der Dimension eines künftigen Endlagers für hoch radioaktive Abfälle. Sein Kernstück ist eine riesige unterirdische Halle. Dort lagern sie in großen Silos, die einzelnen Behälter aufeinander gestapelt. Von oben wirken die blanken Oberflächen der Behälter wie die sterile Umgebung eines Operationssaales. "Wir müssen natürlich sauber arbeiten. Es darf keine Radioaktivität heraustreten", erklärt Käthe Sarparanta, verantwortlich für Öffentlichkeitsarbeit beim Kraftwerkbetreiber Teollisuuden Voima Oyj (TVO).

Unzugängliche Lager

Der finnische Stromkonsum ist so hoch wie in Schweden. Viele Häuser werden mit Strom geheizt und alternative Energien aus Sonne und Wind kommen kaum in Frage. Eine gewisse Rolle in der Energieversorgung spielen Erdgas, Kohle, Torf und Erdöl, die aber alle zur CO2-Belastung der Atmosphäre beitragen. Nun soll - so das finnische Energiekonzept - mehr Kernenergie die kohlenstoffhaltigen Energieträger ersetzen. Weil deshalb die Endlagerquantität noch für längere Zeit nicht bezifferbar bleibt, planen die Betreiber des Tiefenlagers für hoch radioaktive Abfälle in einer großen Dimension.

Für die Endlagerung in Finnland ist die Firma Posiva verantwortlich. Sie will ab 2020 während 100 Jahren einlagern. Danach soll das Lager geschlossen werden und im Idealfall in Vergessenheit geraten. Der Name ist Programm: Onkalo heißt auf Finnisch: Versteck. "Für die Kennzeichnung ist die nukleare Aufsichtsbehörde der Regierung (STUK) zuständig, aber wir streben ein passives System an, dass weder ein Warnsystem noch eine Überwachung braucht", erklärt Tiina Jalonen, Verantwortliche für Forschung und Entwicklung bei Posiva. Die Firma verfolgt das Konzept, Onkalo am Schluss unzugänglich zu machen. "Diese Unzugänglichkeit ist ein Grund, warum das Endlager so tief unter der Erde angelegt wird." Onkalo - für immer versteckt?

Martin Arnold, geb. 1961, ist Journalist und Mitarbeiter des Pressebüros Seegrund in Kreuzlingen (Schweiz). Er lebt in St. Gallen.