Die Luft stank nach Feuer und nach Leichen. Viele Häuser brannten noch. Die Straßen waren voll von Schutt. Die Barockstadt Dresden hatte ihren Glanz verloren. Eberhard Renner war nach der ersten Bombardierung am 13. Februar 1945 mit seinen Eltern geflohen. Nun bahnten sie sich den Weg zurück zum Keller ihres Hauses. "Mit meinen zwölf Jahren musste ich verkohlte und nicht verkohlte Leichen sehen. Manchen war die Lunge geplatzt. Eine Frau lag zusammengekrümmt, schwarz, eine Hand ragte in die Höhe und in der Sonne leuchtete dort der goldene Ring. Ein schauriges Bild, das werde ich nie vergessen", sagt der heute 82-jährige Renner.

An diesem Wochenende gedenkt die Stadt der Bombardierungen vor 70 Jahren. Zeitzeuge Renner spricht ohne Hass oder Groll über die Angriffe, die - wie er auch erwähnt - gegen die Haager Landkriegsordnung von 1907 verstoßen haben und damit gegen das humanitäre Völkerrecht. Die Unterteilung in "Opfer" und "Täter" ist ihm zu vereinfachend. Bis heute aber hält sich ein Bild in schwarz und weiß, das Nationalsozialisten ebenso vereinnahmt und befördert haben wie später DDR-Politiker und wie es heute Neonazis und Rechtsradikale tun. Das Schwarz-Weiß-Bild speist sich aus den Erlebnissen von Augenzeugen, aus deren Überlieferungen. Die NS-Propaganda trug das Ihre dazu bei.

"Die Opfer fürchterlich hoch. Amtlich heißt es 20.000 Tote, aber was alle wissen, was man gesehen hat: man nennt 100.000 bis 200.000 und darüber", zitiert die Dresdner Historikerkommission aus einem Brief eines Augenzeugen vom 18. März 1945. Weltweit verbreiteten sich diese - wie von Anfang an feststand - übertrieben hohen Opferzahlen: Die NS-Auslandspropaganda gegen den "angelsächsischen Bombenkrieg" griff schon, bevor am 7. März 1945 die Presseabteilung des Auswärtigen Amtes die deutsche Gesandtschaft in der neutralen Schweiz angewiesen hatte, ab sofort in ihrer Pressearbeit zur "Zerstörung Dresdens" die Angabe "eher 200.000 als 100.000 Todesopfer" zu verwenden.

Grauen des Luftkriegs


Dresden erlebte zwischen dem späten Abend des 13. Februar und dem Mittag des 15. Februar 1945 als letzte deutsche Großstadt Luftangriffe der britischen und US-amerikanischen Alliierten. Die Stadt an der Elbe war von Anfang an als Ziel festgestanden, allerdings technisch nicht zu erreichen gewesen. Dresden, im östlichen Rand von Deutschland, lag in einem toten Winkel. Stück für Stück erweiterte sich der Bombenkrieg bis hin nach Dresden, dem letzten funktionierenden Zentrum der deutschen Rüstungsindustrie und dem letzten funktionierenden Verkehrsknotenpunkt. Hier wurden Torpedos zusammengeschraubt und U-Boot-Teile hergestellt. Die Dresdner Tabakindustrie produzierte Zünder.

Im Fokus der Alliierten lag aber die Moral der Bevölkerung: Die Menschen sollten kapitulieren. Wie der britische Historiker Richard Overy in seinem Buch "Der Bombenkrieg", das kürzlich auf Deutsch erschienen ist, schreibt, hätten Bomben jedoch nicht dazu beigetragen, die Bevölkerung zu brechen und gegen das Regime aufzuwiegeln - was umgekehrt bei den deutschen Angriffen auf englische Städte genausowenig geschehen sei.

Viele der Dresdner hatten nicht mehr an einen Luftschlag der Alliierten geglaubt, auch, da sich viele vor der Roten Armee Geflüchtete in der Stadt befanden. Ja, die Deutschen hatten englische Städte zerbombt - aber dass die "kultivierten Briten", wie Zeitzeuge Renner sagt, auch Dresden, das "Elb-Florenz" mit all seinen Kunstschätzen, angreifen könnten, war für viele unvorstellbar, und trug später zum Opfer-Mythos bei. In Großbritannien habe man sich indes der Diskussion, ob Luftangriffe auf zivile Ziele nicht ein Bruch des Völkerrechts seien, gar nicht mehr gestellt, sagt Militärhistoriker Matthias Rogg. "Alles, was dazu diente, den Krieg zu verkürzen und die eigenen Soldaten wieder nach Hause zu holen, war im Grunde legitimiert."

"In der neunten, zehnten Stunde kam wie immer der Fliegeralarm", sagt Zeitzeuge Renner. "Wir dachten: Wie immer. Sogar, als wir die Motoren hörten und die Christbäume schon gesetzt waren - der Himmel brannte mit Magnesium von den Markierungsbomben -, dachten wir alle, dass die nur Aufklärungsflüge machen und fotografieren."

In den vier Angriffen bis zum 15. Februar warfen die britische und US-amerikanische Luftwaffe 2400 Tonnen Sprengbomben und 1500 Brandbomben ab. Die Brände wurden zu einem Feuersturm.

Die Dresdner Behörden begannen sofort damit, die Toten zu bergen und zu registrieren. Erfasst und geschätzt wurden 18.000 bis 25.000 Tote. Auf ähnliche Zahlen - 18.000 bis maximal 20.000 Tote - kam auch die Dresdner Historikerkommission, die von 2005 bis 2010 forschte. Historiker, Gerichtsmediziner, Archäologen gingen der Frage nach, wie viele Menschen bei den Angriffen ums Leben gekommen sind.

Hartnäckig hält sich die Zahl von 200.000 Opfern, zum Teil ist von 500.000 und noch mehr die Rede. Die Zahlen wurden unter anderem aus der Differenz zweier amtlicher Zählungen abgeleitet: Vor Kriegsbeginn registrierte die Stadt 550.000 Einwohner, nach dem Krieg 350.000. Etliche der Toten - so die Legende - sollen ganz und gar im Feuer verbrannt sein, für alle Zeiten unauffindbar.