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Mut und hohe Ideale

Von Hilde Schmölzer

Reflexionen
Im Wiener Türkenschanzpark steht seit 1929 ein Denkmal zu Ehren Auguste Fickerts.
© Anton-kurt/ Wikimedia Commons.

Die Wiener Lehrerin, Aktivistin und Journalistin Auguste Fickert war eine bedeutende Pionierin der Frauenemanzipation.


Eine "unbedingte und unbeugsame Natur" wurde Auguste Fickert von ihrer Mitstreiterin Rosa Mayreder genannt, die "in jedem Fall nur das Interesse der Sache" kannte, und "sich ihr mit einer Selbstverleugnung" unterordnete, "die etwas Heroisches hatte". Mit der "Sache" war die Frauenfrage gemeint, die für die glühende Verfechterin der Frauenemanzipation stets das Wichtigste gewesen ist. Persönliche Beziehungen waren demgegenüber zweitrangig, wie etwa auch ihre Lebensgefährtin Ida Baumann leidvoll erfahren musste.

Dabei wollte Fickert, die am 25. Mai 1855 in Wien geboren wurde, ursprünglich Schauspielerin oder Schriftstellerin werden. "O die Dichtkunst ist die edelste Gabe, die Gott dem Menschen gegeben. Nur durch sie bin ich zum Bewusstsein gekommen, was der Mensch ist, kann und muss. Er ist das freie Geschöpf aus des höchsten Meisters Hand, gestellt in diese Welt, sie zu beherrschen mit seinem freien Sinn, . . . er muss die Bande zerreißen, die ihn an das Niedere fesseln, muss seinen Geist, den man in Ketten legen will, frei machen . . . muss streben, Höheres zu erreichen, als dieser Welt armselige Vergänglichkeit", schreibt sie emphatisch als 17-Jährige nach einer Aufführung von Schillers "Wilhelm Tell" in ihr Tagebuch.

Gleichzeitig jedoch empfand sie damals bereits ihr Geschlecht als Hindernis, als Fessel: " O warum muss ich ein Weib sein, das nichts vermag, wie Orest die Furien, so peinigen mich diese Gedanken". Sie spricht von einem "schwere(n), dornige(n) und einsame(n) Pfad", den sie vor sich sieht, und von einer "traurigen Höhe".

Damit hat die Tochter des Werkmeisters der k.k. Hof- und Staatsdruckerei Wilhelm Fickert und seiner Frau Louise hellsichtig viel von ihrer Zukunft vorausgeahnt. Sie hat aber auch gebündelt ihr Credo, ihre Weltanschauung dargelegt, der sie ihr ganzes Leben treu bleiben sollte.

"Die befreite Frau"

Fickert war beseelt von dem tiefen Glauben an eine bessere Menschheit, zu der die "befreite Frau" einen wesentlichen Beitrag leisten sollte. Vor allem ihr wurde die Kraft zugeschrieben, die Menschheitsentwicklung positiv zu beeinflussen. Nicht nur als Teilhaberin, sondern als zentrale Schlüsselfigur sollte sie diese Höherentwicklung anstreben. Wesentlich dazu sei die Liebe einer "neuen Frau", durch die "Menschen zum zweiten Mal erlöst werden, aber nicht für das Jenseits, sondern für das Diesseits". - Hochgesteckte Ziele, die in der einen oder anderen Form damals von der Frauenbewegung ganz allgemein verfolgt wurden, und aus denen es ein nüchternes Erwachen geben musste.

Auguste Fickert besuchte zu der Zeit, als sie diese schwärmerischen Zeilen schrieb, die vierjährige staatliche Lehrerinnenbildungsanstalt St. Anna in Wien nicht aus Begeisterung für diesen Beruf, sondern um sich an der einzigen Bildungsstätte, die damals heranwachsenden Mädchen zugänglich war, für ihr eigentliches Wunschziel, nämlich den Schauspielberuf vorzubereiten. Zuvor hatte sie eine Klosterschule in Burghausen in Bayern besucht, wo sie wegen ihrer leidenschaftlichen Frömmigkeit sogar zu dem in Klöstern als Auszeichnung verliehenen Rang eines "Marienkindes" erhoben wurde. Viele Jahre später allerdings hat sie ihre Ansichten radikal revidiert und ist als Feministin aus der katholischen Kirche ausgetreten.

Vorläufig jedoch fand sie nach Ablegung der Prüfungen eine Stelle als Volksschullehrerin in Wien, fühlte sich aber unbefriedigt und unglücklich, und als sie nach dem Tod ihres Vaters für ihre alte, gichtgeplagte Mutter und drei jüngere Geschwister zu sorgen hatte, musste sie ihren Traum von einer Bühnenlaufbahn endgültig aufgeben.

Ida Baumann

Sie sehnte sich nach Liebe und Geborgenheit und wollte eine glückliche Ehe führen. Trotzdem scheinen Männer in ihrem Leben keine große Rolle gespielt zu haben. Dafür zog sie Anfang der achtziger Jahre mit Ida Baumann, ebenfalls Lehrerin und später in der Frauenbewegung tätig, in eine gemeinsame Wohnung.

Die Beziehung der beiden war wechselvoll und vor allem von Idas Seite schmerzlich, wie zahlreiche Briefe belegen. "Das Trennende zwischen uns ist jetzt, dass Du Menschen gefunden, die Dich mehr interessieren als ich und Du deshalb . . . meiner nicht bedarfst", schreibt Baumann im Juli 1893, als Fickert bereits eine bekannte Frauenrechtlerin geworden war. "Du wurdest allmählich so verletzend". Sie verließ die gemeinsame Wohnung, aber bereits 1898 sind beide wieder zusammengezogen. Ida hat ihre Freundin in den letzten Wochen und Tagen vor ihrem Tod begleitet, und sich drei Jahre danach das Leben genommen.

Bereits als Siebenundzwanzigjährige trat Auguste Fickert dem von Marianne Hainisch gegründeten "Verein der Lehrerinnen und Erzieherinnen Österreichs" bei, hielt Kontakt mit dem Schulreformer Otto Glöckel und fand in ihrem zunehmenden Engagement für die beginnende Frauenbewegung eine Möglichkeit, sich mit ihren idealistischen Vorstellungen einzubringen.

Sie wurde neben Rosa Mayreder zur treibenden Kraft innerhalb der österreichischen Frauenbewegung, verehrt, aber auch gefürchtet. "Tyrannisch nannten viele diese Frau, weil sie unnachgiebig war . . . Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich, so allerdings dachte und darnach handelte sie", meinte ihre Mitstreiterin Leopoldine Kulka in einem Nachruf.

Sie war eine starke, sehr energische und mutige Persönlichkeit. Das wird auch in ihrem Auftreten gegen die Schulbehörde deutlich, die wegen ihrer Kritik am Schulsystem (sie hatte sich für eine Trennung von Kirche und Schule eingesetzt) sowie "Religionsstörung" nicht nur mehrere Disziplinarverfahren gegen sie anstrengte, sondern ihr auch die Gehaltsansprüche kürzte und sie an eine andere Schule versetzte. Auch ihre ständigen scharfen Attacken gegen die antisemitisch und antifeministisch eingestellten Christlichsozialen und dabei vor allem gegen Lueger dürften ihre Lage nicht eben erleichtert haben. Der Sozialdemokratie stand sie nahe, ohne jedoch selbst Sozialdemokratin zu sein.

Politische Arbeit

1893 gründete Fickert den "Allgemeinen Österreichischen Frauenverein"(AÖF), einen Zusammenschluss der sogenannten radikalen bürgerlichen Frauenbewegung. Diese Gründung bedeutete insofern ein Novum, als Frauen jede politische Beteiligung verboten war. (Das sogenannte Vereinsgesetz wurde erst 1918 aufgehoben). Politisch aktiv konnten die Frauen also nur verschleiert und unter Vorsichtsmaßnahmen werden. Präsidentin des AÖF war Fickert, als Vizepräsidentinnen fungierten Rosa Mayreder und Marie Lang. Das Programm des Vereins umfasste neben der Forderung nach entsprechenden Bildungsmöglichkeiten und einer verbesserten Berufsausübung für Frauen eine Verbesserung der Rechtstellung der Frau in der Familie, Erringung des Wahlrechts, Einsatz für den Frieden und Bekämpfung der Prostitution.

Ab 1899 gab der Verein eine eigene Zeitschrift mit dem Titel "Dokumente der Frauen" heraus, die sich mit politischen Artikeln, philosophischen Essays und Aufsätzen über allgemeine gesellschaftspolitische Themen deutlich von den üblichen Frauenzeitschriften unterschied. Sie wurde vorerst von Auguste Fickert, Marie Lang und Rosa Mayreder gemeinsam, später von Marie Lang alleine herausgegeben, musste jedoch 1902 wegen finanzieller Schwierigkeiten ihr Erscheinen einstellen.

Etwa um dieselbe Zeit gründete Auguste Fickert die Zeitschrift "Neues Frauenleben", der sie sich in Hinkunft mit vollem Einsatz widmete, und die nach ihrem Tod von Leopoldine Kulka und ihrem Bruder Emil herausgegeben wurde.

Eine weitere Gründung Fickerts war 1895 die sogenannte "Rechtsschutz- Institution", in der jede Frau die Möglichkeit hatte, sich kostenlos beraten zu lassen. 1901 folgte die "Beamtinnen- Sektion", die sich eine Besserung der äußerst tristen Lage der Staatsbeamtinnen zur Aufgabe machte und ab 1904 eine eigene Beilage, "Die Staatsbeamtin" herausbrachte.

Die Arbeitsbedingungen der frisch eingestellten Telegrafistinnen und Postbeamtinnen waren tatsächlich skandalös. Sie erhielten ein durchschnittliches Monatsgehalt, das nicht einmal für bescheidene Lebensverhältnisse reichte, waren nicht in der staatlichen Krankenversicherung und hatten nur alle zwei Jahre Anspruch auf zwei Wochen Urlaub. Außerdem wurden nur unverheiratete, kinderlose oder verwitwete Frauen angestellt.

Fickert hat es nicht mehr erlebt, dass durch die Aktivitäten des Vereins die Lage der Beamtinnen tatsächlich verbessert werden konnte. Auch die Verwirklichung eines großen Vorhabens, das sie seit der Entstehung des AÖF angestrebt hatte, die Schaffung eines "Heimhofes", eines genossenschaftlich organisierten Hauses mit Zentralküche, Bibliothek und Gemeinschaftsraum für "alleinstehende" Beamtinnen konnte erst nach ihrem Tod verwirklicht werden.

Enttäuschungen

In ihren letzten Lebensjahren zeigte sich Fickert zunehmend enttäuscht; wie so viele Vertreterinnen des "visionären Feminismus" dieser Zeit hatte sie ihre Erwartungen zu hoch gesteckt. Leopoldine Kulka beschreibt in ihrem Nachruf die hohen Ansprüche Fickerts an die Frauen: "Sie dachte, sie würden weibliche Güte bringen, wo jetzt Härte waltet, mütterliche Liebe und Opfermut, wo jetzt engherziger Egoismus herrscht, reine Sittlichkeit, wo Schmutz und Rohheit, natürliche Freiheitsliebe, wo jetzt Unterdrückung ist". Stattdessen musste sie erkennen, "wie viele anstatt Opfermut Eitelkeit, anstatt Weitherzigkeit Kleinlichkeit, anstatt Reinheit Falschheit und Eigennutz, anstatt kühnem Freiheitsdurst feige Kompromissbereitschaft mitgebracht hatten. Bitter war diese Enttäuschung."

Auguste Fickert starb am 9. Juni 1910, aufgebraucht und erschöpft durch ihren bedingungslosen Einsatz, im 55. Lebensjahr. Sie wurde 1929 mit einem Denkmal im Türkenschanzpark im 18. Wiener Gemeindebezirk geehrt. Die Innschrift "Voll Mut und Tatkraft hat sie ihr Leben hohen Idealen dargebracht" stammt von Rosa Mayreder.

Hilde Schmölzer, geboren 1937, lebt als Autorin in Wien. Ihre Schwerpunkte sind Frauengeschichte und Frauenbiographien. Ihre jüngste Buchpublikation: "Dunkle Liebe eines wilden Geschlechts. Georg und Margarethe Trakl" (Francke Verlag, Tübingen).