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Die Sprache als Weltmacht

Von Christian Hütterer

Reflexionen
Der bisher letzte "Gipfel der Frankophonie" fand 2014 in Dakar, der Hauptstadt des Senegal, statt und wurde von folkloristisch-kulturellen Angeboten wie diesem hier umrahmt.
© Li Jing/ Xinhua Presse/ Corbis

Das Konzept der "Frankophonie" vereint die französischsprachigen Länder der Welt.


Der amerikanische Politikwissenschafter Joseph Nye hat die Diskussion über die internationalen Beziehungen geprägt, indem er den Begriff der "soft power" einbrachte. Anders als bei der herkömmlichen Ausübung von Macht durch militärischen, politischen oder wirtschaftlichen Druck nützt im Falle der "soft power" eine Nation vor allem ihre kulturelle Anziehungskraft und ihr Wertesystem, um andere Staaten für ihre Zwecke zu gewinnen.

Als Paradebeispiel dafür gelten die USA: Filme und Fernsehserien aus Hollywood dominieren die Bildschirme, für Studenten aus aller Welt eröffnet der Abschluss einer amerikanischen Universität neue Perspektiven, und Englisch wird weltweit als lingua franca verwendet. In Europa hat in dieser Hinsicht Frankreich eine besondere Rolle eingenommen. Nach dem Zerfall seines Kolonialreiches suchte es nach einem neuen Weg, um seine Stellung unter den großen Mächten zu halten, und fand diesen in der weltweiten Förderung der französischen Sprache und Kultur, die mit dem Schlagwort "Frankophonie" bezeichnet wurde.

Unter diesem Begriff versteht man den gesamten französischen Sprachraum im weitesten Sinne, in den dazu gehörigen Staaten hat die französische Sprache aber unterschiedlich große Bedeutung, denn in manchen ist sie offizielle Staatssprache, in anderen Lehrsprache und bei manchen in der Frankophonie engagierten Ländern scheint es zumindest auf den ersten Blick überhaupt nur wenige Verbindungen zur französischen Sprache oder Kultur zu geben. Das verbindende Element dieser Staaten ist die "Organisation internationale de la francophonie" mit insgesamt 80 Mitgliedern, die von ihrem Sitz in Paris aus die Verwendung der französischen Sprache und der damit verbundenen Werte wie Frieden und Menschenrechte fördert.

Zeit der Expansion

Aber blicken wir ein wenig zurück: Der Begriff "Frankophonie" wurde vom französischen Geographen Onésime Reclus geprägt, dessen landes- und kulturkundliche Werke über Frankreich zu Publikumserfolgen wurden. Am Ende des 19. Jahrhunderts stieg die Bevölkerung in Deutschland stark an und spätestens nach der Niederlage im deutsch-französischen Krieg herrschte in Frankreich die Sorge, dass dieses Ungleichgewicht in der Bevölkerungsentwicklung die deutsche Dominanz auf dem europäischen Kontinent verstärken würde. Reclus schlug als Lösung für dieses Problem vor, die französische Expansion in Afrika fortzusetzen und die Bevölkerung der Kolonialgebiete zu assimilieren. So sollte durch die Verbreitung der französischen Sprache eine möglichst bevölkerungsreiche französische Nation geschaffen werden.

In einem seiner Werke zu diesem Thema, das den Titel "France, Algérie et ses colonies" trug, verwendete Reclus zum ersten Mal den Begriff der Frankophonie. Reclus’ Vorstellungen gerieten allerdings bald in Vergessenheit und wurden erst Jahrzehnte später wiederentdeckt.

Als Nachwirkung des Zweiten Weltkrieges, in dem Soldaten aus den Kolonien eingesetzt wurden von denen viele ihr Leben ließen, wurde gleichzeitig mit einer Staatsreform in Frankreich das Kolonialreich in die sogenannte "Union française" umgewandelt. Diese umfasste Frankreich und alle überseeischen Gebiete, denen prinzipiell die gleichen Rechte wie dem Mutterland zugestanden wurden. In der Umsetzung dieser Union wurden diese Versprechungen allerdings nicht erfüllt, was die Ablehnung der französischen Herrschaft in den Kolonien weiter wachsen ließ.

Die Kriege in Indochina und Algerien und die daraus entstandenen innenpolitischen Zwänge erforderten schon zwölf Jahre später eine weitere Reform des Staates und damit auch der Beziehungen zwischen Frankreich und seinen Kolonien. Während in Frankreich selbst die V. Republik eingerichtet wurde, wurde zugleich die "Union française" in die "Communauté française" umgewandelt. Dieser Staatenbund, in dem Frankreich militärisch und außenpolitisch dominierte, eröffnete den Kolonien den Weg in die Eigenständigkeit. Es folgte das "Afrikanische Jahr" 1960, in dem vierzehn französische Kolonien ihre Unabhängigkeit erlangten.

Aber noch während die Auflösung des französischen Kolonialreiches voranschritt, kam bereits von einer anderen Seite ein Impuls zur Zusammenarbeit der französischsprachigen Regionen: In Québec wurde eine internationale Vereinigung frankophoner Journalisten gegründet, die durch ihre berufliche Tätigkeit Einfluss auf die weitere Entwicklung haben sollten. Weitere Initiativen zur Zusammenarbeit der französischsprachigen Länder auf den Gebieten der Kultur und Bildung folgten und trugen dazu bei, den Zusammenhalt dieser Länder zu stärken. Dabei waren es gerade einige der früheren französischen Kolonien, die die Zusammenarbeit vorantrieben. Der erste Präsident des unabhängigen Senegal, Léopold Senghor, befand etwa: "Unter den Trümmern des Kolonialismus haben wir dieses wunderbare Werkzeug gefunden: die französische Sprache." Aber nicht alle teilten Senghors Meinung; so sah etwa der Präsident von Guinea in dieser Kooperation lediglich eine neue Verpackung für den französischen Imperialismus.

Multilaterale Konzepte

1966 präsentierte Hamami Diori, der erste Präsident Nigers, zum ersten Mal das Konzept einer weltweiten Organisation der Frankophonie, doch just Frankreich verhielt sich in der Person seines Präsidenten Charles de Gaulle zurückhaltend. Offiziell wollte de Gaulle vermeiden, dass ihm neokolonialistische Tendenzen vorgeworfen würden, tatsächlich plante er, den französischen Einfluss in den ehemaligen Kolonien durch bilaterale Verträge mit diesen abzusichern. Vor allem die afrikanischen Staaten trieben die multilaterale Zusammenarbeit aber weiter voran und so traten im Jahr 1967 zum ersten Mal die französischsprachigen Parlamentarier aus aller Welt zusammen.

Die Bedeutung und Nutzung der französischen Sprache war aber nicht nur in Afrika ein umstrittenes Thema. Zur gleichen Zeit spitzte sich in Nordamerika der Konflikt zwischen der überwiegend französischsprachigen Provinz Québec und der kanadischen Zentralregierung zu. Präsident de Gaulle trug dazu bei, denn er reiste zur Weltausstellung nach Montréal und erinnerte dort an die historischen und kulturellen Bindungen zwischen Frankreich und Québec. Eine Rede vom Balkon des Rathauses von Montréal beendete er unter dem Jubel der Zuhörer und zum Ärger der kanadischen Regierung mit den Worten "Vive le Québec libre!" Erst nach langen Verhandlungen in Kanada selbst konnte ein Weg zur Teilnahme Québecs an weiteren frankophonen Aktivitäten gefunden werden.

1970 fand in Niger eine Konferenz statt, bei der die 21 teilnehmenden Staaten die "Agentur für die kulturelle und technische Zusammenarbeit" gründeten. Damit entstand die erste internationale frankophone Institution, und in den folgenden Jahren wurde eine ganze Reihe unterschiedlicher Spartenorganisationen gegründet - als Beispiel sei der Internationale Rat der französischsprachigen Radio- und Fernsehsender genannt. 1984 gründeten die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten Frankreichs, Belgiens und der Schweiz den Fernsehkanal TV5, der heute das mediale Spiegelbild der Frankophonie ist und in 200 Ländern der Welt empfangen werden kann. Eine weitere Maßnahme, um die Frankophonie einem breiteren Publikum zu öffnen, war im Jahr 1989 die Einführung der "Spiele der Frankophonie", bei denen die Teilnehmer in sportlichen und kulturellen Disziplinen um Medaillen kämpfen und zugleich die französischsprachigen Länder einander näherbringen sollen.

Nach de Gaulle war es Präsident François Mitterrand, der dem Konzept der Frankophonie große Bedeutung beimaß, denn damit konnte er außenpolitische Erfolge feiern und die internationale Stellung Frankreichs verbessern. 1986 berief Mitterrand zum ersten Mal einen Gipfel der Frankophonie ein, und brachte damit einen neuen Impuls für die Zusammenarbeit. Um die Kooperation besser gestalten zu können, wurde schließlich die "Organisation internationale de la francophonie" gegründet, unter deren Dach die vielfältigen, themenorientierten Vereinigungen der Frankophonie neu strukturiert wurden. Heute ist diese Organisation in der internationalen Politik etabliert und umfasst derzeit insgesamt 80 Staaten, Österreich ist darin seit mehr als zehn Jahren als Beobachter engagiert.

Afrikas Dominanz

Wie viele Menschen weltweit Französisch sprechen, ist zwar schwer zu schätzen, aber die Organisation de la francophonie geht von etwa 274 Millionen aus. In den kommenden Jahren wird diese Gruppe aber beträchtlich wachsen: Da ein Großteil der französischsprachigen Weltbevölkerung in den geburtenstarken Ländern Afrikas lebt, soll die Zahl der Frankophonen bis zum Jahr 2050 auf 700 Millionen ansteigen. Mit diesem Wachstum geht aber auch eine geographische Verschiebung Hand in Hand: Bis zum Ende des letzten Jahrhunderts lebte mehr als die Hälfte der französischsprachigen Menschen in Europa. Schenkt man den Berechnungen der Organisation de la francophonie Glauben, dann werden bald 85 Pozent der frankophonen Menschen in Afrika leben.

Der Organisation sind die Herausforderungen, die aus dieser demographischen Entwicklung erwachsen, bewusst. Beim letzten Gipfel der Frankophonie, der 2014 in Dakar stattfand, wurde als strategisches Ziel für die nächsten Jahre festgelegt, die weltweite Bedeutung der französischen Sprache zu erhöhen und die Rolle der Organisation de la francophonie in der internationalen Politik zu stärken.

Zugleich widmete sich der Gipfel vor allem den Fragen der Frauen und der Jugend in den frankophonen Ländern. In diesem Zusammenhang forderte zuletzt auch die Generalsekretärin der Organisation, die Kanadierin Michaëlle Jean, massive Investitionen in die Bildung, denn "dies sind Investitionen in die Stabilität unserer Staaten und der Welt, dies sind Investitionen in den Frieden."

Angesichts der mannigfaltigen Krisen, von denen nicht wenige der frankophonen Länder erschüttert werden, ist zu hoffen, dass die Organisation der Frankophonie tatsächlich zur positiven Entwicklung der betroffenen Staaten beitragen kann.

Christian Hütterer, geb. 1974, ist Politikwissenschafter und Historiker. Dissertation über internationale Zusammenarbeit im Ostseeraum, lebt in Brüssel.