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Maschinist des Totalitären

Von Michaela Schlögl

Reflexionen
Stil-Ikone mit zwiespältigen politischen Ansichten: Le Corbusier, hier auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1959.
© Richard Einzig/Arcaid/Corbis

Le Corbusier war Teil des Vichy- Regimes, als dessen Opfer er sich schließlich stilisierte.


Exzentrische Villen, in denen man auf Rampen von Stockwerk zu Stockwerk schreitet - weil das Raumgefühl so intensiver sei als auf einer Treppe. Flachdächer, auf denen sich Sonnendecks hinter dekorativen Schiffs-Schornsteinen verstecken - um den Preis, dass es durch die Decken regnet. Fensterbänder, über die Gesamtfassade gezogen - weil die moderne Stahl-Beton-Bauweise es erlaubt. Häuser, auf Säulen balancierend. Das waren Le Corbusiers Ideen für die Villen privater Auftraggeber. Exemplarisch: die schwebende Villa Savoye nahe Paris.

Gigantische Wohn-Maschinen, in denen Menschen "funktionieren", beziehungsweise für die Arbeit funktionsfähig erhalten werden, die erdachte er für die Masse. "Das Haus ist eine Maschine zum Wohnen . . . Ein Sessel ist eine Maschine zum Sitzen . . ." So wurde Le Corbusier weltberühmt. Seine Mega-Anlagen, sogenannte "unités d’habitation" (eine Art Vorgängermodell der Fertigteil-Plattenbauten) ernteten bald Kritik: beispielsweise die Cité radieuse in Marseille, ein Betonmonster inklusive Hotel und Wäscherei, das auch Raum für körperliche Ertüchtigung, für Sozialeinrichtungen und Geschäfte bietet. Und für Wohnungen - diese, genormt nach dem "goldenen Schnitt", sollten das gestresste Individuum der Moderne Muße finden lassen.

All diese Funktionen in einem Gebäude zu verwirklichen, dazu nützte Le Corbusier neueste Technologien, wie er sie etwa bei den Brüdern Perret in Paris kennen gelernt hatte (sie erbauten unter anderem das Pariser Théâtre des Champs Elysées in modernster Beton-Stahlbauweise). Le Corbusier holte mittels Glas und Verzicht auf Zwischenwände viel Licht in seine Gebäude. Er plante Luft-Freiräume, Atria und Aussichtsterrassen. Sogar von der Inneneinrichtung moderner Ozeandampfer bezog er Inspiration für rationelles Wohnen.

Doch der im Schweizerischen La-Chaux-de-Fonds, einem Mekka der Präzisionsuhrenindustrie, 1887 als Charles-Edouard Jéanneret-Gris geborene Technik-Freak erkannte auch die Grenzen des Fortschritts. Zumindest für sich selbst. Die eigenen Wohn-Ansprüche minimierte er, und zwar so extrem, wie er seine Mega-Wohn- und Stadtkonzepte in X-Large ausreizte. Quasi als Konzentrat seiner Planungsideen baute er für sich selbst eine schiffskabinen-ähnliche Holzhütte an der Côte d’Azur, nahe Menton. Sein Cabanon maß 3,66 mal 3,66 Meter. Gäste waren irritiert: Das Klosett, von dessen Design er schwärmte, stand inmitten des Raumes.

Le Corbusiers Büro-Mitarbeiter beschrieben seinen Führungsstil als eine Mischung aus Autokratie, Autorität und manchmal einem Quäntchen Verständnis. Kein einfacher Chef. Der Architektur-Revolutionär baute so radikal, als gelte es, sein Handwerk neu zu erfinden. Seine Ideen sprudelten auch abseits der Baustellen: Er malte, schrieb Artikel und Bücher. Der Motor seiner Geistesmaschine schien über unbegrenztes Potential, quasi über Rennpferde-stärken zu verfügen.

Dabei war Le Corbusiers Baulust ortsunabhängig. Er reiste mit dem Schiff, dem Zeppelin, dem Flugzeug, um in Japan, den Vereinigten Staaten, in Argentinien und Brasilien Gebäude-Spuren zu hinterlassen. Und nicht zu vergessen: in Moskau!

War er so unpolitisch? Oder doch: So politisch? Hat er polyglott gearbeitet und gleichzeitig politisch national gedacht?

Es ist einfach, Le Corbusiers Design-Sessel als Stil-Ikonen des 20. Jahrhunderts zu erkennen. Einfach auch, seine Häuser zu lieben - oder als Betonmonster zu verachten. Schon schwieriger gestaltet sich die Beurteilung dieses Genies aus dem politischen Blickwinkel der Nachgeborenen.

Pünktlich zu seinem 50. Todestag (am 27. August) deckte man Le Corbusiers Nähe zum Faschismus auf. 1940 sperrte der naturalisierte Franzose sein Büro in Paris, um in Vichy vorstellig zu werden. Er bot Maréchal Pétain, dem Staatschef des unbesetzten Frankreich, das mit Deutschland kollaborierte, seine Dienste an. Aus politischer Überzeugung? Oder doch aus dem starken Willen heraus, seine geniale Ideenmaschine am Laufen zu halten, sprich: aus Opportunismus?

Nietzsche-Leser

Blenden wir zurück: Schon in den 1920er Jahren etablierte sich auch in Frankreich eine neue Geisteshaltung. Als Schreibender, über die Zeitschrift "L’Esprit nouveau" ("Der neue Geist"), lernt Le Corbusier den Arzt Pierre Winter kennen. Dieser war überzeugt davon, dass nur körperlich Ertüchtigte den drohenden moralischen Niedergang Frankreichs noch hintanhalten können. Wie Le Corbusier war auch Winter begeisterter Nietzsche-Leser. Beide gehörten zu den Anhängern von dessen Vision des Übermenschen. Und um die "Mens-sana"-These in die Praxis umzusetzen, spielten Winter und Le Corbusier jede Woche gemeinsam Basketball.

1925 war Le Faisceau, die erste faschistische Kleinpartei der Dritten Republik Frankreichs, gegründet worden. Es gärte im Land. Der Ex-Monarchist Georges Valois forderte eine neue Nationale Revolution, die statt auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auf den Werten Militär, Familie und Produktivität basieren sollte. Pierre Winter wird zum Medizin-Berater der nationalrevolutionären Bewegung. Man kennt und schätzt einander innerhalb der rechten Polit-Elite, selbstverständlich hat Valois "L’Urbanisme", eines der Hauptwerke von Le Cobusier, mit größter Begeisterung gelesen. Die Intellektuellen dieses Kreises sind sich einig: Einzig der Faschismus sei die Bewegung, in der die Initiative des Einzelnen multipliziert werden könne: durch die Masse.

Wer könnte diese Ideologie architektonisch besser umsetzen als Le Corbusier? Dieser bewundert Mussolini und seine Politik der gigantomanischen Bauwerke. Nachdem innerhalb des rechten Zirkels von Industriellen und Wissenschaftern Valois eine 180-Grad-Drehung zur politisch Linken vollzogen hatte, entstand 1928 mit der parti fasciste révolutionaire eine neue Bewegung. Als ihr Führer erschien ein alter Freund Le Corbusiers: Dr. Winter. Doch Le Corbusier sympathisiert genauso mit dem rechten Redressement français, das für ein Frankreich plädiert, das von einer Elite von Unternehmern geführt wird.

Die Meinungen über die Pläne und Machenschaften von Adolf Hitler sind in diesen Kreisen geteilt. Manch einer sieht in ihm einen "spiegelverkehrten" Vertreter des Systems des Bolschewismus. Andere hegen eine geheime Bewunderung für seine antidemokratischen Bestrebungen. Sie wünschen sich, dass auch die französische Jugend endlich brenne und sich auflehne gegen die in ihren Augen morsche, heruntergekommene Demokratie. Le Corbusier beteiligt sich in verschiedenen Zeitschriften schreibend am Diskurs. 1933 schließt er sich der Redaktion von "Prélude" an, einer politischen Monatszeitschrift, die offen für eine politische Annäherung zwischen dem Italien Mussolinis und Frankreich plädiert.

Im Februar 1934 kommt es nicht nur in Wien, sondern auch in Paris zu revolutionären Demonstrationen und Gewalt. Auch Le Corbusier geht auf die Straße, schwärmt in Briefen an seine Mutter, dass Hitler "Großes gelingen könnte . . ." Die Zeitschrift "Prélude" phantasiert schon vom Ende des alten Polit-Musters Links und Rechts.

Hotel Queens in Vichy

Der Dichter Jean Giraudoux plädiert für eine Einwanderungspolitik nach dem Vorbild der USA, um die Bevölkerung moralisch und kulturell weiterzuentwickeln. Nordafrikanische und arabische Immigration lehnt er als Informations-Kommissär (eine Art Propaganda-Beauftragter) der Regierung Daladier ab. Dafür fordert er ein breitangelegtes Arbeitsprogramm für Frankreich. Es soll gebaut werden. Le Corbusier sieht die Zeit gekommen für seine neue Architektur, die Dörfer, Bauernhöfe und Städte rationalisiert und technisiert. Großen Stellenwert soll darin das Auto einnehmen. Aber auch dem Fetisch Sport werden Plätze und Hallen zugedacht.

Im Jänner 1941 zieht Le Corbusier im Hotel Queens in Vichy ein, wo er für achtzehn Monate logieren wird. Solange, bis man ihn als Kommunisten verdächtigt, weil er 1930, als Gewinner eines Wettbewerbs, in Moskau das Gebäude für den Zentralverband der Konsumgenossenschaft der Sowjetunion errichtet hat. Doch kann man ihn als Bolschewisten bezeichnen, weil er auf einem Fragebogen aus Moskau geantwortet hat: "Die Krippen und die Schulen sind die geistigen Zuchtanstalten der Kinder. Man muss daher ein günstiges Milieu schaffen für eine Selektion . . ."? - Elitedenken lässt sich offenbar links wie rechts verkaufen.

Als in Vichy politisch Unerwünschter verlässt Le Corbusier sein Büro, das ihm das Regime für Studien über Wohnprobleme und Bauangelegenheiten zur Verfügung gestellt hat. Seine Abschiedsworte: "Adieu, teures Scheiß-Vichy". Er setzt seine Studien in Paris fort. Auch während der Okkupation Frankreichs publiziert Le Corbusier, preist die Autobahnprojekte Hitlers und plädiert für ähnliche Verkehrskonzepte, die Paris über fünf Achsen "erschließen" sollten. Seine Bibel des modernen Städtebaus, die "Charta von Athen", erscheint 1943, mit einem Vorwort von Jean Giraudoux. Le Corbusier plädiert für Sonne, große Plätze und viel Grün im urbanen Raum.

Kein Zauderer

Nach der Befreiung Frankreichs 1944 wird der Eisenbahningenieur Raoul Dautry Minister des Wiederaufbaus und für Städtebau. Er schart Technokraten um sich, die sich politisch zum Gaullismus gewandt haben. Le Corbusier, der sich jetzt als Vichy-Opfer sieht, bietet Dautry an, in Marseille das erwähnte Groß-Projekt, das man Cité radieuse nennen wird, zu verwirklichen.

Le Corbusier greift zu. Ein Zauderer war er nie. Das bezeugt, neben seiner deutlichen Formensprache in der Architektur, auch sein malerisches Œuvre. Im Zeichnen "lerne man am meisten über das Leben, sein Aufblühen und Welken", hat er geschrieben. Und: "Man kennt mich als Architekten, man will mich nicht als Maler kennenlernen, dabei bin ich über die Malerei Architekt geworden." Seine Bilder haben tatsächlich etwas unverblümt Zupackendes. So muss er wohl auch privat gewesen sein: ein Macher. Als er 1929 auf einer Schiffsüberfahrt Josephine Baker kennen lernt, soll sie für ihn nackt getanzt haben. Noch im selben Jahr heiratete er ein monegassisches Mannequin. Schöne Frauen liebte er. Und er liebte seine Arbeit. Sie sah er als so notwendig an wie das Atmen: "Atmen ist eine regelmäßige Körperfunktion, sie darf nicht zu heftig und nicht zu schwach sein . . ."

Sich selbst sah er übrigens nicht als Genie, sondern als den "Typen, der tagtäglich in der Haut eines Deppen erwacht und sich den ganzen Tag abmüht, dem zu entkommen . . ."

Kritische Bücher, die zum Gedenktag (auf französisch) erschienen sind:

François Chaslin: Un Corbusier. Le Seuil.

Xavier de Jarcy: Le Corbusier, Un Fascisme français.

Marc Perelman: Le Corbusier, Une froide vision du monde.

Michaela Schlögl, geboren 1960, lebt als freie Kulturjournalistin in Wien. Zuletzt sind von ihr Bücher über Dominique Meyer und 200 Jahre Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (im Styria Verlag) erschienen.