Der Zeitzeuge Robert Hébras hält die Erinnerung wach. - © Wappel
Der Zeitzeuge Robert Hébras hält die Erinnerung wach. - © Wappel

Monsieur Hébras wirkt erstaunlich fit für seine 90 Jahre, die er soeben gefeiert hat und eingedenk dessen, was er in seinem Leben schon erleiden musste: Er ist einer der wenigen Überlebenden des Massakers von Oradour- sur-Glane. Oradour, ein klingender Name, der in Frankreich jedem Einzelnen einen kleinen Schauer über den Rücken jagt. Denn hier weiß man, egal welcher sozialen Schicht man angehört oder welchen Bildungsgrad man hat, wofür dieses im zentralfranzösischen Limousin gelegene Dorf steht: Vernichtung. Längst ist das Dorf, das als Symbol gilt für das Leid, das die Nazis im Zweiten Weltkrieg angerichtet haben, hier ins kulturelle Gedächtnis eingegangen, längst die Stadt, deren Einwohner von der SS auf brutalste Weise ausgerottet wurden, zu einem Lieu de Mémoire geworden. In Österreich hingegen ist diese traurige Geschichte weniger bekannt. Auf die Frage, ob er daher bereit wäre, seine Erlebnisse noch einmal zu schildern, nickt Monsieur Hébras. Ja das ist er.

Es war der zehnte Juni 1944. In Oradour war alles ruhig, vom Krieg bekam man hier nicht viel mit. Die meisten Leute hatten noch nicht einmal einen Deutschen gesichtet. Wie jeden Tag herrschte auch an diesem Morgen alltägliche Geschäftigkeit, man holte Brot vom Bäcker, erledigte diverse Einkäufe. Gegen 14 Uhr jedoch ändert sich die unbedachte Stimmung plötzlich, als deutsche SS-Soldaten mit Militär-Gefährt Oradour durchqueren. Es ist die 2. Waffen-SS Panzerdivision "Das Reich" unter dem Kommando von Heinz Lammerding, die eigentlich am Weg in die Normandie ist, wo vier Tage zuvor die Alliierten gelandet sind (ein Begriff, den man damals noch nicht verwendet). Robert Hébras, 19 Jahre jung, befindet sich auf der Straße. Als er merkt, dass die Soldaten am Ende des Dorfes anhalten und beginnen, es zu umrunden, schenkt er ihnen seine Aufmerksamkeit.

"Angst hatte niemand"


Sogleich wird allen Bewohnern befohlen, sich am Dorfplatz zu versammeln für eine Ausweiskontrolle, so heißt es. "Angst", so Monsieur Hébras, "hatte niemand, es gab eine gewisse Spannung und das ein oder andere Kind weinte." Eine geschickte Taktik vonseiten der Deutschen, wie sich im Nachhinein herausstellte. Denn würden die Einwohner von Oradour auch nur ahnen, was ihnen bevorsteht, sie würden sich mit aller Kraft wehren. Doch es gibt keinen Anlass.

Man werde nun die Häuser nach Waffen durchsuchen, anschließend würden die Einwohner wieder freigelassen. Die Frauen und Kinder werden schließlich von den Männern getrennt und vom Platz weggeführt. Die Männer teilt man in verschieden große Gruppen ein. Monsieur Hébras findet sich in der letzten, etwas größeren Gruppe wieder. Sie werden in verschiedene Scheunen im Dorf verteilt, die Gruppe von Monsieur Hébras wird in die "Grange Laudy" gebracht, die einzige, in der fünf Männer überleben werden. Nichts ahnend sitzen die Männer also in der Scheune, plaudern. Bis schließlich ein SS-Offizier durch die Menge geht und alle zum Aufstehen bringt. Es folgt ein explosionsartiger Knall, von dem man heute noch nicht weiß, woher er kam. Doch die SS-Männer sind informiert: Es ist das Signal. Sie beginnen, auf die Männer zu schießen. In allen Scheunen fallen die "Radounauds" (die Einwohner Oradours) zu Boden, aber nicht alle sind sofort tot. Auch Monsieur Hébras fällt und findet sich unter seinen blutenden Kollegen wieder. "Es ist schwer, Ihnen zu sagen, wie es sich anfühlt, wenn man das warme Blut spürt, das aus den Körpern der anderen auf einen rinnt. Da merkt man schon, was das bedeutet." Doch es ist damit noch nicht vorbei. Die SS-Männer versetzen all jenen, die noch leben, den Gnadenschuss. Monsieur Hébras bleibt unentdeckt. Anschließend verteilen sie Heu über die Körper und zünden es an. "Aber es waren nicht alle tot. Manche mussten lebendig verbrennen. . . und als das Feuer mich erreicht, bleibt mir nichts anderes übrig: Entweder ich verbrenne auch bei lebendigem Leib, oder ich befreie mich von unten und flüchte ins Freie. Mir war klar, dass ich trotzdem sterben würde, von den Soldaten getötet." Doch als Monsieur Hébras gemeinsam mit vier anderen Männern aus der Scheune kommt, sind keine Soldaten da. Die Männer schaffen die Flucht, trotz der Schusswunden. Das gesamte Dorf jedoch steht in Flammen. Und - viel schlimmer - was Monsieur Hébras noch nicht weiß: Frauen und Kinder, darunter seine Mutter und seine zwei Schwestern, wurden in der Zwischenzeit in der Kirche ebenfalls exekutiert. Eine veritable Hinrichtung auch hier: Erst eine Gasbombe mitten in die Menge platziert, anschließend die Maschinengewehrsalven und Handgranaten und schließlich auch hier das Feuer. Viele Frauen, viele Kinder mussten lebendig verbrennen. Nur eine Frau, Madame Rouffanche, schafft es, aus dem Kirchenfenster zu springen und ihr Leben zu retten, indem sie sich anschließend tot stellt. Eine zweite Frau mit ihrem Säugling, die es ihr gleichtut, wird durch die Schreie ihres Babys von der SS entdeckt und exekutiert.