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Gestirne auf Todeskurs

Von Christian Pinter

Reflexionen
Künstlerische Darstellung eines rasch rotierenden Schwarzen Lochs, gut sichtbar die strudelähnliche Akkretionsscheibe und der Jet. Grafik: NASA/JPL-Caltech

Schwarze Löcher verschlingen unter bestimmten Bedingungen ganze Sterne. Im Zentrum unserer Milchstraße, 26.000 Lichtjahre von der Erde entfernt, knurrt einem gigantischen Loch gerade der Magen.


Im Schoß fast jeder großen Galaxie steckt ein supermassereiches Schwarzes Loch, ein dunkles Objekt mit Millionen bis Milliarden Sonnenmassen. Manche verschlingen gerade Sterne, andere wiederum hungern. Auch inmitten unserer Milchstraße lauert ein solches "Monster". Es ist allerdings auf Diät gesetzt.

Nichts sonst krümmt die Raumzeit so radikal wie ein Schwarzes Loch. Die Physik steht dort Kopf. Dem unmittelbaren Nahbereich, der vom sogenannten "Ereignishorizont" begrenzt wird, kann nichts entkommen - selbst das Licht ist gefangen. Was sich hinter diesem Ereignishorizont abspielt, bleibt uns verborgen. Seinetwegen erscheint das Schwarze Loch ausgedehnt und mutet wie eine rundliche, dunkle Silhouette vor dem Sternenhintergrund an. Deren Radius wächst mit der Masse des Lochs und schrumpft mit seiner Umdrehungsgeschwindigkeit.

Wird ein derartiges, supermassereiches Objekt großzügigst gefüttert, verwandelt es sich in einen Quasar. So nennt man die aktiven Zentren ferner Milchstraßen, die jeweils um vieles kräftiger gleißen als alle Sterne ihrer Heimatgalaxie zusammen. Materie, die auf ein Schwarzes Loch zuströmt, nimmt rasant Fahrt auf. Deshalb kann sie nicht auf kurzem Weg hineinfallen, sondern wird in enge Umlaufbahnen gezwungen. Sie verhält sich augenscheinlich wie das Wasser im Waschbecken: Zieht man den Stöpsel, bildet das Nass einen Strudel, anstatt sofort im Abfluss zu verschwinden.

Magnetschleuder

Von der Schwerkraft eingefangene Teilchen formen die Akkretionsscheibe (lat. accretio, Zunahme) rund ums Schwarze Loch. Darin werden sie abgebremst, von Turbulenzen und der gegenseitigen Reibung. Speziell im innersten Teil der Scheibe sorgt die Reibung für extreme Temperaturen - bis hin zu einer Million Grad Celsius. Masse verwandelt sich dort 20 Mal effizienter in Energie als bei der Kernfusion. Röntgenstrahlung wird ausgesandt. Aber auch im sichtbaren Licht strahlt eine reich gefüllte Akkretionsscheibe heftig auf.

Brutale Hitze ionisiert die Scheibenmaterie: Die elektrisch geladenen Plasmateilchen generieren ein gewaltiges Magnetfeld. Die Partikel sind auf Bahnen mit verschiedenen Radien unterwegs, und damit in unterschiedlichem Tempo. Deshalb werden die magnetischen Feldlinien aufgespult wie Spaghetti um eine Gabel. Dies kräftigt das Feld zusätzlich. Eigentlich sollten die Bahnen der Teilchen immer enger werden - gleich Spiralen. Doch das Magnetfeld stellt sich dem endgültigen Absturz der Materie entgegen und schleudert einen erheblichen Teil davon wieder zurück in den Raum. Die unnachgiebige Strahlung der Akkretionsscheibe assistiert dabei.

Manche Partikel werden vom Magnetfeld gepackt und rechtwinkelig zur Akkretionsscheibe weggeschleudert: Sie formen zwei gebündelte Teilchenströme über den Rotationspolen des Schwarzen Lochs - die sogenannten "Jets". Letztlich entkommt ein Gutteil der einstürzenden Materie: Sie treibt hinaus in ferne Gefilde der betroffenen Galaxie und reichert diese mit Elementen wie Kohlenstoff, Stickstoff, Silizium, Magnesium oder Eisen an. Das wäre an sich sogar förderlich für die spätere Bildung erdähnlicher Planeten. Doch die Zahl an Sterngeburten sinkt, zumal sich erwärmtes Gas ungern zu Sonnen zusammenballt.

Bloß jene Teilchen, die es wirklich bis zum innersten Rand der Akkretionsscheibe schaffen, überschreiten den Ereignishorizont - und verschwinden auf Nimmerwiedersehen. Sie vergrößern die Masse des Schwarzen Lochs und damit seine Anziehungskraft. Der gravitationelle Einflussbereich wächst entsprechend. Allerdings verläuft er sich selbst bei einem Objekt von 100 Millionen Sonnenmassen schon nach etwa 30 Lichtjahren. Allesverschlingende kosmische "Staubsauger" sind Schwarze Löcher nur im Science-Fiction-Film.

Unser Exemplar

Vom supermassereichen Schwarzen Loch inmitten unserer eigenen Milchstraße trennen uns 26.000 Lichtjahre. Es liegt in Richtung des Sommersternbilds Schütze (lateinisch: Sagittarius). Dichte Staubwolken verstellen den Blick. Deshalb rücken Astronomen dem galaktischen Zen-trum mit Infrarot-, Mikrowellen- oder Radioteleskopen zu Leibe. Wie sie herausfanden, drängen sich die Sterne dort tausendmal enger zusammen als in unserer Nachbarschaft. Im zentralsten Abschnitt rasen die Riesensonnen auf unterschiedlich geneigten Bahnen dahin, nicht ganz unähnlich den Mitgliedern eines Bienenschwarms. Von den stellaren Heißspornen gehen starke Sternwinde aus; gewaltige Mengen an Gas und Staub werden so freigesetzt.

Im Brennpunkt

Das Schwarze Loch thront im Brennpunkt des Sternengewurls. Es machte sich ursprünglich als quasi punktförmige, also "sternähnliche" Radioquelle bemerkbar: Man taufte sie "Sagittarius A Stern" oder kurz "Sag A*". Mit den leistungsfähigsten Teleskopen der Europäischen Südsternwarte (ESO) vermaßen Astronomen die Umlaufbahnen der ihr am nächsten gelegenen Sterne. Die hetzen in nur 12 bis 15 Jahren einmal um Sag A* herum. Daraus ließ sich die Masse der Schwerkraftfalle berechnen: Sie übertrifft jene unserer Sonne 4,3 Millionen Mal.

Obwohl rund um dieses Schwarze Loch ein ziemliches Gedränge herrscht, stürzen Sterne nur selten hinein. Deren Bahngeschwindigkeit ist einfach zu hoch. Es bedarf schon gegenseitiger Störungen, um Sonnen auf Todeskurs zu schicken. Kommen Doppelsterne der Schwerkraftfalle zu nahe, wird einer der beiden Sternpartner mitunter dingfest gemacht, der andere mit rasanter Geschwindigkeit aus der Milchstraße katapultiert: Einer dieser Hyperschnellläufer hetzt mit 1,8 Millionen Kilometern pro Stunde davon.

Sobald sich die andere, eingefangene Sonne dem Schwarzen Loch auf etwa 15 Lichtminuten (knapp 300 Millionen Kilometer) Abstand nähert, beginnt ein dramatischer Wandel: Die dem Loch zugewandte Sternseite spürt jetzt wesentlich mehr Anziehungskraft als die abgewandte: Die resultierenden Gezeitenkräfte reißen den Stern innerhalb kurzer Zeit auseinander. Ein Teil seines Gases reichert Monate später die Akkretionsscheibe an, die nun enorm an Leuchtkraft gewinnt. Derartiges passiert vermutlich aber bloß einmal in Zehntausenden von Jahren.

Kleine Imbisse

Wie der äußerst matte Glanz seiner Akkretionsscheibe verrät, hungert unser Schwarzes Loch gerade. Gelegentlich registriert man stundenlange Aufhellungen in seinem Umfeld, bis zum 400-Fachen der dort üblicherweise gemessenen Röntgenstrahlung. Dann gönnt sich Sag A* wenigstens einen Imbiss: Vermutlich zerlegt es einen berggroßen Kometenkern oder einen Kleinplaneten - Objekte, die es zuvor einem nahen Stern gestohlen hat.

Wie neuere Beobachtungen im Röntgenbereich verraten, besitzt auch unser Schwarzes Loch schwache Materiejets über seinen Rotationspolen. Sie könnten nach und nach jene beiden Blasen gefüllt haben, die man ober- und unterhalb der Milchstraßenebene entdeckt hat. Diese Gebilde sind jeweils 25.000 Lichtjahre weit und bestehen aus hochenergetischen Teilchen.

Rein rechnerisch bekommt Sag A* jährlich so viel Gas aus Sternwinden serviert, dass man damit die Erde aufwiegen könnte. Dürfte es sich diesen Fraß wirklich einverleiben, stiege der Glanz seiner Akkretionsscheibe im Röntgenlicht ums Millionenfache. Tatsächlich kommt aber nicht einmal ein Prozent der Materie dort an. Die starken Magnetfelder halten fast alles auf Distanz. Sie lassen Sag A* darben.

Der hohen Temperaturen wegen sollte sich in seiner Nachbarschaft nur selten Gas zu neuen Sternen zusammenfinden. Doch das Gegenteil ist der Fall: Im galaktischen Zentrum existieren überraschend viele junge Sterne. Es zählt sogar zu den Regionen mit den höchsten "Geburtenraten" innerhalb der Milchstraße. Astronomen machen dort ganze Haufen von Riesensonnen aus. Nur 2 bis 2,6 Lichtjahre vom Schwarzen Loch entfernt, werden Dutzende dieser Sterne sogar von zirkumstellaren Scheiben umkränzt. Eine solche Scheibe aus Gas und Staub zierte einst auch unsere Sonne; daraus gingen ihre Planeten hervor. Es ist ein Rätsel, wie diese potenziellen "Kreißsäle" den extremen Verhältnissen im Milchstraßenzentrum trotzen können.

Gestrichene Spektakel

Würde seine Akkretionsscheibe heller strahlen, wüssten die Himmelsforscher noch mehr über die Bedingungen im Umfeld von Sag A* zu berichten. Doch dazu müssten sie das Loch erst füttern. Entsprechend groß war die Aufregung, als man im Jahr 2011 die Materiewolke G2 entdeckte. Wie Rechnungen ergaben, sollte sie den Ereignishorizont des Schwarzen Lochs in nur 27 Milliarden Kilometern Distanz passieren. Das entspricht etwa einem Lichttag oder dem 180-fachen Abstand zwischen der Erde und der Sonne. Während des intimen Vorbeiflugs würde sich die Wolke auflösen wie Sirup in einem Wasserglas, hofften Astronomen. Ein Teil des Wolkengases sollte später in Richtung des Schwarzen Lochs stürzen und die Akkretionsscheibe dramatisch aufleuchten lassen.

Immer wieder richtete man die Großteleskope nun auf die Zen-tralregion der Milchstraße. Doch G2 zog 2014 völlig unbeschadet am Schwarzen Loch vorbei. Jener junge Stern, dessen Winde die Wolke hervorgebracht haben dürften, ist darin offenbar noch immer versteckt. In Staub gehüllt und unserem Blick entzogen, hat er das Gebilde mit seiner Anziehungskraft zusammengehalten - so verlässlich wie ein Schäferhund seine Herde.

Die Gezeitenkräfte kamen dagegen nicht an. Die Wolke blieb intakt, anstatt sich aufzulösen. Das erwartete Dinner für Sag A* entfiel. Und so musste schließlich auch die heiß ersehnte Lichtshow abgesagt werden.

Christian Pinter, geboren 1959, lebt als freier Journalist in Wien und schreibt seit 1991 astronomische Artikel für die "Wiener Zeitung". Autor des astronomiegeschichtlichen Sachbuchs "Helden des Himmels.Geschichten vom Kosmos und seinen Entdeckern." Mehr im Internet unter: www.himmelszelt.at