
"Willkommen in Jaffna". Balraj, ein 67-jähriger grauhaariger Tamile mit dem charakteristischen Tika, dem hinduistischen Segnungszeichen auf der Stirn, spricht in perfektem Deutsch. Mit einem Lächeln im Gesicht zückt der alte Mann eine Vereinskarte von Borussia Dortmund aus seinem Portemonnaie und erzählt davon, dass er in den 1980er Jahren als Flüchtling nach Deutschland kam: "Ich war Maler und Anstreicher in Dortmund. Heute lebe ich wieder als Geschäftsmann in Jaffna".
Es ist keine Seltenheit, in den Straßen Jaffnas auf Deutsch angesprochen zu werden. Viele Bewohner der berüchtigten Halbinsel am nördlichen Ende Sri Lankas verließen in den Wirren des 26-jährigen Bürgerkrieges das Land, um sich woanders eine neue Existenz aufzubauen. Zwischen 1983 und 2009 wütete vor allem im Norden der Insel ein nicht enden wollender militärischer Konflikt zwischen singhalesischen Regierungstruppen und den Paramilitärs der LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam), die für eine Unabhängigkeit der mehrheitlich von Tamilen bewohnten Gebiete kämpften. Auch heute sind die Ressentiments der singhalesischen Mehrheit gegenüber der Minderheit der Tamilen im Rest des Landes noch sehr groß.
Kein Friede
"Vor kurzem war hier noch überall bewaffnetes Militär", Balraj blickt sich um, er will sich vergewissern, dass keine ungebetenen Gäste mit anhören, was er zu sagen hat. Auch nach Kriegsende war von Frieden keine Rede. Die singhalesische Regierung wollte kein Risiko eingehen und ließ den brüchigen Frieden im krisengeschüttelten Norden von einer Heerschar an Soldaten sichern.
Doch für viele Tamilen entpuppten sich die "Beschützer" vor allem als Menschenrechtsverletzer. Die Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch (HRW) warf Polizei und Armee immer wieder politisch motivierte Folter, Misshandlungen und die Ausübung sexueller Gewalt an tamilischen Zivilisten vor. Für Journalisten war es kaum möglich, offiziell in den Norden des Landes zu gelangen, und auch Touristen benötigten für die Region immer wieder eine offizielle Genehmigung des Militärs.
Mahinda Rajapaksa, der 2005 als Präsident Sri Lankas vereidigt wurde, galt vielen Singhalesen lange Zeit als Held, hatte er doch in einer blutigen Offensive 2009 die LTTE besiegt und deren gesamte Führungsriege ausgelöscht. Doch in diesen finalen Tagen des Krieges sollen sich auf beiden Seiten zahlreiche Kriegsverbrechen ereignet haben. Die Vereinten Nationen schätzen, dass in der Schlussphase knapp 40.000 tamilische Zivilisten ihr Leben lassen mussten.
"Die LTTE hatte die Menschen als Schutzschilde missbraucht, die singhalesische Armee wiederum nicht gezögert, zehntausende zivile Opfer in Kauf zu nehmen", ist sich Balraj der Schuld beider Kriegsparteien sicher. Während dieser Zeit lebte Balraj in der Hauptstadt Colombo, erst später kehrte er wieder in den Norden zurück. Das Schicksal einiger Verwandter konnte bis heute nicht geklärt werden, sie bleiben verschollen.
Diesen September legte ein UN-Bericht dar, dass auf beiden Seiten "sehr wahrscheinlich" Kriegsverbrechen begangen wurden, die Vereinten Nationen fordern nun ein Sondertribunal. Bereits im März 2014 wurde eine Resolution durch den UNO-Menschenrechtsrat verabschiedet, um die Verbrechen der letzten Kriegsmonate durch eine unabhängige Kommission untersuchen zu lassen. Doch Rajapakse versuchte diese mit allen Mitteln zu verhindern und verweigerte der UN-Kommission die Einreise nach Sri Lanka. Stattdessen sollte eine eigene "Wahrheits- und Versöhnungskommission" ins Leben gerufen werden. Im Wahlkampf kündigte der nationalistische Präsident dann an, dass sich niemand, der an der Offensive teilgenommen habe, vor einem internationalen Tribunal verantworten müsse.
Überraschende Wende
Im heurigen Jänner kam es dann zu einer völlig überraschenden Wende: Der autokratisch regierende Präsident wollte, nachdem er die Verfassung zu seinen Gunsten ändern ließ, bei vorgezogenen Neuwahlen zum dritten Mal Präsident des Landes werden. Seine Wiederwahl galt als unbestritten. Doch dann wendet sich einer seiner engsten Vertrauten, der ehemalige Gesundheitsminister Maithripala Sirisena, gegen ihn und kandidierte selbst als Präsident. Bereits im ersten Wahldurchgang konnte er das Präsidentenamt für sich entscheiden.
Viele Singhalesen wandten sich von Rajapakse aufgrund dessen offensichtlich korrupter Politik ab. Seinen Wahlerfolg verdankt Sirisena jedoch vor allem den Stimmen der muslimischen und tamilischen Minderheiten im Land, die knapp ein Viertel der Bevölkerung ausmachen. Diese erwarten von ihrem Präsidenten nun Gerechtigkeit.
"Sirisena hat nicht deshalb gewonnen, weil wir ihm so sehr mehr vertrauen als Rajapakse", ist sich Balraj sicher. Vielmehr war es wichtig, den Autokraten endlich loszuwerden. Bei vielen Singhalesen war nach dem Regimewechsel und den Ankündigungen Sirisenas, sich für mehr Meinungsfreiheit und soziale Gerechtigkeit einzusetzen, eine klare Aufbruchsstimmung spürbar.