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Im Reich der Untoten

Von Andreas Walker

Reflexionen
Luke Newberry spielt in der BBC-Serie "In The Flesh" einen Wiedererstandenen, der in seine Gemeinde reintegriert wird - mit aktuell anmutenden Folgen . . .
© BBC Three

Zombie und Mensch, davon erzählen moderne Fernsehmythen, haben die Plätze getauscht.


"Smombie" wurde unlängst zum Jugendwort des Jahres 2015 in Deutschland gewählt. Es setzt sich zusammen aus Smartphone und Zombie und meint denjenigen, der mit seinem tragbaren Telefon verschmolzen scheint. Relativ harmlos ist der "Smombie", wenn er in Bahn und Bus auf seinen kleinen Bildschirm stiert; eine reale Gefahr geht allerdings von ihm aus, wenn er mit seinem Gerät durch die Gegend taumelt und sich auf Kollisionskurs mit ahnungslosen Passanten befindet.

Bereits in den 1950er Jahren hatte der Philosoph Gotthard Günther eine Renaissance des Zombies, dessen Ursprünge im Voodoo zu finden sind, in den USA ausgemacht. Fast alles, was den Menschen als Menschen auszeichne und was man ehedem auch Geist oder Seele nannte, ließe sich objektivieren und versachlichen und - nach Günther - auch dem Toten zuweisen. Der Zombie bilde den Ausgangspunkt einer amerikanischen Metaphysik des Todes, die sich in "mechanical brains" realisiere. Mit dem epidemischen Auftreten von Zombies haben sich die Verwandten der "mechanical brains" über den gesamten Planeten ausgebreitet und bilden mit den Menschen symbiotische Einheiten, die sich dann eben wie "Smombies" verhalten.

Wiedergänger, Vampire

Inzwischen suchen uns die Untoten als Wiedergänger, Vampire oder Zombies massenhaft in Film und Fernsehen heim. Kaum eine renommierte Fernsehserie kommt mittlerweile ohne sie aus: "The Walking Dead", "Dead Set", die MTV-Zombiepersiflage "Death Valley" und auch die derzeit angesagteste Fernsehserie "Game of Thrones" sind nur einige Beispiele, in denen Untote zentrale Rollen spielen. Die Mutation der Menschen zu (potenziell heilbaren) Zombies durch ein Virus wird ebenso aufgegriffen ("Helix") wie der Kampf gegen ("Penny Dreadful") und das durchaus nicht unproblematische Zusammenleben mit Vampiren ("True Blood").

Eine recht neue Entwicklung sieht in dem Zombie nicht länger einen bewusstlosen kannibalischen Trieb, sondern einen zwar im Prinzip todbringenden Untoten, der aber über ein Reflexionsvermögen verfügt. Bereits 2005 hatte der Filmvater der Zombies, George A. Romero, in "Land of the Dead" das evolutionäre Potenzial von Zombies angedeutet, indem er der Figur "Big Daddy" neben animalischem Instinktvermögen auch Spuren von Bewusstsein verlieh. In jüngeren TV-Produktionen kann der animalische Trieb durch gezielte Nahrungs- oder Medikamentenzufuhr kontrolliert werden, sodass der Untote fast wie ein Mensch am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann. Das "mechanical brain" ist also zähmbar und hat das Potenzial, sich weiterzuentwickeln.

Im Mittelpunkt der auf The CW ausgestrahlten Fernsehserie "iZombie" steht die Medizinstudentin Olivia (Liv) Moore, die nach einer Bootsparty als Zombie erwacht. Verantwortlich für diese Transformation sind der Energydrink (!) Max Rager und die mysteriöse Droge Utopium. Nach Umwandlung in einen Zombie verändert sich Livs Aussehen: Sie bekommt aschfahles Haar und ist leichenblass. Sie arbeitet fortan als Assistentin des Gerichtsmediziners Ravi Chakrabati, den sie in ihr Geheimnis einweiht. Durch ihren Job stillt sie ihr Verlangen nach Nahrung, indem sie die Gehirne von Ermordeten verspeist. Der Zuschauer kann an dieser Stelle seine voyeuristische Lust befriedigen: Es gibt Hirn als Sushi, Bolognese, hübsch drapiertes Dessert oder Wrap . . .

Doch kein Essen ist harmlos, denn die Gaumenfreuden haben einen Nebeneffekt: Während Liv die Gehirne verdaut, übernimmt sie Eigenschaften und Charakteristika der Verstorbenen und kann durch deren Erinnerungsbilder Clive Babineaux, dem Polizisten des Morddezernats, bei der Aufklärung der Mordfälle behilflich sein. Dabei handelt es sich nicht bloß um eine Psychentransplantation durch nahrhafte Einverleibung, sondern um eine temporäre Umprogrammierung zombiehafter Psychenstruktur, die bei aller Selbstreflexion automatischen Prozessen folgt. Mit jedem Gehirn, das Liv verspeist, erhält sie neue Informationen, so wie ein Rechner mit neuen Daten gespeist wird, denen sie gegenüber ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen Priorität einräumen muss.

Zombies treten als Mediumphänomen nie einzeln auf, da macht auch "iZombie" keine Ausnahme. Sie "leben" allerdings im Verborgenen - und solange sie nicht für die Gehirne, die sie benötigen, um gesellschaftlich kompatibel zu bleiben, morden müssen, treten sie nicht in Erscheinung. Ermöglicht wird ihnen dies durch einen Lieferservice, der sie mit entsprechenden Delikatessen versorgt. Zombies sind allerdings schlecht fürs Geschäft, weshalb der Hersteller des Energydrinks Vaughn Du Clark sie sukzessive beseitigen lässt.

Der Untote muss nicht auf ewig tot sein. Durch eine spezielle, doch seltene Utopiummixtur wird ein Zombie wieder menschlich: etwa Blaine DeBeers, der als Zombie andere Zombies mit frischem Hirn versorgte und als Mensch unter dem Deckmantel eines Beerdigungsunternehmen einen Drogenhandel betreibt. Die ehedem transzendente Seele ist nicht länger auf die Spaltung von Jenseits und Diesseits angewiesen: Sie kann zwischen tot und lebendig switchen, verliert als lebendige jedoch ihre programmierbaren Fähigkeiten. Inwiefern jedoch Mensch wie Zombie physisch und psychisch verändert werden können, versucht Du Clark mit einer neuen Mixtur seines Getränks herauszufinden. Letztendlich ist das Verhältnis von Mensch und Zombie nur eine Frage des richtigen Cocktails.

Postchristliche Zeit

Noch deutlicher räumt die von der BBC produzierte Fernsehserie "In the Flesh", die 2013/2014 ausgestrahlt wurde, mit dem Mythos der Seele auf. Die Serie spielt nach einem Ereignis, das "The Rising" (Auferstehung) genannt wird. Die Zombies erheben sich aus den Gräbern, doch niemand wird mehr in den Himmel auffahren. Die Untoten sind zunächst aggressive Monster, doch ein Medikament unterdrückt die aggressiven Triebe und gibt ihnen ihr Bewusstsein wieder. Euphemistisch wird der Zustand der Zombies als Partially Deceased Syndrom (PDS) bezeichnet, abfällig nennt man sie "Rotters".

Täglich müssen sie ihr Medikament einnehmen, um sich sozial anpassen zu können. Die Untoten werden per politischem Erlass wieder in ihre Gemeinden integriert und so zieht der Protagonist Kieren Walker, der sich wegen einer unglücklichen Liebe zu einem Mann umgebracht hat, wieder bei seiner Familie ein.

"In the Flesh" thematisiert soziale Konflikte in einer postchristlichen Zeit auf mehreren Ebenen: Die Serie stellt Fragen danach, wer eigentlich der Fremde, Andere oder Außenseiter ist - was angesichts der politischen Ratlosigkeit gegenüber den Flüchtlingsströmen höchst aktuell ist. So organisieren sich einige Bürger zur militanten Human Volunteer Front, die sich zum Ziel setzt, die Untoten zu vernichten. Als sich die politische Situation verändert, werden die Zombies verpflichtet, in Gefangenenkleidung fürs Gemeinwohl zu arbeiten.

Die Radikalisierung der Politik und der Bevölkerung geht mit einer Radikalisierung der Zombies einher. Einige von ihnen benutzen gezielt eine Droge, um ihren Zombiezustand nach Bedarf hervorzurufen und Menschen zu töten. Immer wieder wird die Frage nach Schuld und Vergebung aufgeworfen, so etwa im Konflikt zwischen Kieren und seiner Schwester Jem, die mit ansehen musste, wie ihr Bruder im Zombiezustand ihre beste Freundin verspeiste. "In the Flesh" zeichnet die Mechanismen von Radikalisierungen familiär, politisch und sozial nach und wirbt dabei um Toleranz. Doch in diesen Thematiken liegt nicht die eigentliche Pointe.

Im Laufe der Serie lernt Kieren Amy kennen, die ihre Auferstehung als zweite Chance begreift. Sie wird zusehends menschlicher und kann sogar normale Nahrung zu sich nehmen, was Untote im Allgemeinen nicht vermögen. Sie schließt sich einer Gruppe von Zombies an, die einen neuen Mythos generieren: Die Auferstandenen sind der nächste Schritt in der Evolution. Eine zweite Auferstehung soll die Zombies erlösen und eine freie Zombiegesellschaft ermöglichen. Dafür muss allerdings der erste Auferstandene geopfert werden. Die Erlösung kommt nicht länger von einem menschgewordenen Gott, sondern von einem zum Menschen gewordenen Zombie. Sie ist nicht in einem transzendenten Jenseits zu suchen, sondern in einer evolutiv-technischen Entwicklung, wenn sich das mechanische Gehirn aus seinen Grenzen befreit und zu vollem Selbstbewusstsein gelangt.

Die Zombies waren einst die Verkörperung einer degenerativen Entwicklung: Der Untote war die Fratze eines unumkehrbaren gesellschaftlichen Verfalls. Der Zombie als blinder Trieb, der den Menschen verspeist, war eine Dystopie des modernen Menschen, die allegorisch dort verbildlicht wurde, wo es um ideologische Verfehlungen oder schrankenlosen Konsum ging.

Zombies als Folklore

Nunmehr indes werden die Zombiezustände als etwas behandelt, das umkehrbar ist. Es sind Infektionen, gegen die man nur ein Gegenmittel zu finden braucht. Das Seelische ist ganz im naturwissenschaftlichen Mechanismus aufgegangen. Sterblich und unsterblich sind keine Gegensätze mehr: Sie sind im Grunde das Gleiche - aus unterschiedlichen Perspektiven. Die Tür zum Totenreich wurde auf ewig geschlossen.

Zombies sind zu Folklore geworden, vor der wir uns schon längst nicht mehr gruseln. Wir gruseln uns deshalb nicht mehr, da nichts Mystisches, Magisches oder Mysteriöses hinter, über, neben oder unter dieser pragmatisch eingerichteten Welt existiert. Ein Gespür für die Bedrohlichkeit und die Fragilität der menschlichen Existenz wäre noch der letzte Nachhall eines metaphysischen Schauderns. Gotthard Günther bemerkte einmal, dass der Mensch ohne Metaphysik zum Automaten wird. Man mag sich diesen Automaten angedockt an elektronische Kommunikationsmittel vorstellen.

Im Gegensatz dazu sind es gerade die inszenierten Untoten, die zu mehr Selbsttranszendenz fähig sind als die sie umgebenden Menschen. Da Zombies die Grenze zum Tod bereits überschritten haben, werden bei ihnen metaphysische Zweifel laut, die ihre Existenz grundsätzlich in Frage stellen. Zombie und Mensch, davon erzählen uns moderne Fernsehmythen, haben längst die Plätze getauscht.

Andreas Walker, geboren 1971 in Hamburg, ist Philosoph, Autor und Sozialforscher. Zuletzt erschienen von ihm zahlreiche Arbeiten zum Hospizwesen.